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Der Dirigent und Komponist Wilhelm Furtwängler mit den Berliner Philharmonikern bei einem Konzert anlässlich des Presse- und Funkballs in Berlin.

© dpa

Angebliche NS-Vergangenheit: Buch soll Dirigent Wilhelm Furtwängler rehabilitieren

Wilhelm Furtwängler galt lange als NS-Karrierist. Doch wirklich bewiesen wurde das nie. Nun will ein Buch den Dirigenten rehabilitieren.

Er gilt bis heute als bedeutendster Vertreter des „deutschen Klangs“, jenes tiefgründelnden, satten romantischen Tons, der so tut, als sei die Musik allem Politischen, Lebensweltlichen enthoben, der ihre Autonomie behauptet: Wilhelm Furtwängler, legendärer Chefdirigent der Berliner Philharmoniker von 1922 bis 1935 und 1952 bis 1954. Doch ein Schatten lastet auf diesem Klangideal, und das liegt auch an Furtwänglers zwiespältiger Rolle im Nationalsozialismus. Er verließ Deutschland nicht und leitete die Philharmoniker weiter, wenn auch nicht mehr als Chefdirigent. Viele Emigranten haben ihm das vorgeworfen.

Die Frage, wie nah Furtwängler dem Regime tatsächlich stand, konnte bisher – etwa von Fred Prieberg in „Kraftprobe“ (1986), Misha Aster in „Das Reichsorchester“ (2007) oder Dietrich Fischer-Dieskau in „Jupiter und ich“ (2009) – nie eindeutig geklärt werden. Vor allem der Film „Taking Sides“ von István Szábo (2001) verunklarte das Bild: Harvey Keitel als (fiktiver) amerikanischer Major verhört Furtwängler, nennt ihn einen „Bandleader“ und „Scheißkerl“, der so Beleidigte bricht zusammen – als einer, der offenbar schwere Schuld auf sich geladen hat.

Vor allem diesen Film will Klaus Lang, langjähriger Musikredakteur beim ehemaligen SFB, mit „Wilhelm Furtwängler und seine Entnazifizierung“ widerlegen. Und er ist näher dran als alle Autoren vor ihm. 2008 entdeckte er im Berliner Landesarchiv das Protokoll einer Sitzung des von den Alliierten installierten „Ausschusses für Entnazifizierung der Kunstschaffenden“ vom 17. Dezember 1946 in der Charlottenburger Schlüterstraße 45. Es war die Hauptverhandlung gegen Furtwängler, der das Verfahren selbst beantragt hatte – um den „Berg von Lügen“ (Lang) abzubauen, der sich angehäuft hatte. Lang hat daraus ein Theaterstück gemacht und für das jetzt erschienene Buch, das leider etwas lieblos lektoriert wurde, umfangreiche Erläuterungen und ein Personenregister hinzugefügt.

Der Text erinnert an Walter Braunfels’ Oper „Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna“, die ebenfalls auf Prozessakten basiert: Hier spricht Furtwängler selbst, Lang hat nichts verändert, nur gestrafft. Der Leser wird Zeuge, wie ein weltweit verehrter Dirigent darum kämpft, seinen Ruf zu retten und wieder in Deutschland arbeiten zu dürfen. Und er lernt, nicht dem ersten Schein zu vertrauen. Da ist etwa das berühmte Foto, auf dem sich Furtwängler in der Alten Philharmonie beim ersten Konzert nach seinem Rücktritt 1935 vor den NS-Größen verneigt, die unangekündigt in der ersten Reihe Platz genommen hatten: „Das Bild wurde als Hauptbeweis dafür genommen, dass ich Nazi war. In Wirklichkeit war es das Beweisstück meines Widerstandes, da ich eben den (Hitler-)Gruß nicht machte.“ Den „Führergeburtstagen“ versuchte er mit Krankschreibungen zu entgehen. Auch weigerte er sich, auf dem Reichsparteitag 1938 die „Meistersinger“ zu dirigieren. Begründung: Terminschwierigkeiten. Daraufhin ließ Hitler ihm das komplette Orchester und Personal der Wiener Staatsoper nach Nürnberg einfliegen. „Da konnte ich nicht mehr Nein sagen.“

Der Regisseur Boleslaw Barlog, einer der 13 an jenem 17. Dezember vernommenen Zeugen, wirft sich für Furtwängler in die Bresche: „Er war in den ganzen 12 Jahren überhaupt der Grund, dass ich gesagt habe: Ich brauche nicht zu verzweifeln an diesem Volk, es ist noch ein Rest von Gutem und Edlem zurückgeblieben.“ Die öffentliche Meinung blieb skeptisch: „Wer sich nicht von dem Wunsche leiten lässt, den hervorragenden Dirigenten wieder am Pult zu sehen, wird bemerken, dass sein geheimer Widerstand sich nicht gegen Gaskammern, Geiselerschießungen und tausendfache Greuel richtete“, urteilte der Tagesspiegel 1947.

Furtwängler wurde schließlich, nach zermürbendem Warten, entnazifiziert. Was bleibt, ist das Bild eines in höchstem Maße unpolitischen Menschen, der die Kunst über alles stellte und sein Orchester nicht der Barbarei überlassen wollte. Dass das Regime das ausnützte, nahm er in Kauf. Dabei agierte er oft ungeschickt – ein Mensch in unmenschlichen Zeiten. Udo Badelt

— Klaus Lang:

Wilhelm Furtwängler und seine Entnazifizierung. Shaker Media Verlag, Aachen 2012. 296 Seiten, 18,90 €

Wilhelm Furtwänglers NS-Vergangenheit ist bisher nicht vollständig geklärt. Ein neues Buch soll das ändern.
Wilhelm Furtwänglers NS-Vergangenheit ist bisher nicht vollständig geklärt. Ein neues Buch soll das ändern.

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