
© imago/Rolf Zöllner
Architekturhistoriker Bruno Flierl gestorben: Machender Denker
Er ging 1950 in die DDR, um am Sozialismus mitzubauen, und blieb dem System gegenüber dennoch kritisch: Im Alter von 96 Jahren ist der Architekturhistoriker Bruno Flierl gestorben.
Stand:
Fein und sehr genau sprechend, scheinbar immer freundlich lächelnd selbst bei den kühnsten Thesen – das war Bruno Flierl. Jedenfalls jener Bruno Flierl, der nach 1990 schnell als fast großväterlich weiser Doyen all derjenigen anerkannt war, die sich in der neuen Bundesrepublik in irgendeiner Art und Weise mit der Architektur- und Planungskultur der unter gegangenen sozialistischen Staaten beschäftigten.
Dabei war der 1927 im schlesischen Bunzlau Geborene da längst pensioniert, nicht nur aus gesundheitlichen Gründen, sondern auch, weil die Oberen der DDR-Architekturpolitik ihn 1984 endlich los sein wollten: Seine dauernde Kritik am schematischen Plattenbau, an der Vernachlässigung der Altstädte zugunsten des Neubaus, seine frühen Mahnungen vor den ökologischen und sozialen, psychologischen, vor allem aber wirtschaftlich und kulturell verheerenden Folgen kamen nicht gut an.
Weiser Doyen
Er eckte oft an – und wusste doch um den Wert des Kompromisses. Kein unbedachter Macher, sondern ein machender Denker war er, der noch in den letzten Kriegstagen eingezogen wurde und in französische Kriegsgefangenschaft geriet. Dort blieb Bruno Flierl bis 1947, lernte das Modell westlicher Liberalität kennen, wurde von Frankreich begeistert – und von der Vielfalt und Widersprüchlichkeit Amerikas, die er erst in den 1990ern auf ausgedehnten Reisen selbst erleben konnte.
1950 nämlich war Flierl nach dem Studium an der West-Berliner Hochschule der Künste selbstbewusst in die DDR gegangen, um am Sozialismus mitzubauen. Und machte zunächst Karriere: Schon 1952 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Bauakademie, als diese die technologische Bauforschung voranbringen, aber nach Wunsch der SED auch die Stildebatte in Richtung auf die stalinistische „Nationale Tradition“ zwingen sollte. Als sich zu Beginn der 1960er der Druck zu lockern schien, war Flierl für zwei Jahre von 1962 bis 1964 Chefredakteur der Zeitschrift Deutsche Architektur. Das lange so doktrinäre Blatt öffnete sich, wurde zum Debattenforum – bis die SED die Zügel wieder anzog.
Mit zwingender Stimme
Flierl wurde abgesetzt und nach einer kurzen Pausierung beim Chefarchitekten Ost-Berlins bis 1979 Leiter des Instituts für Theorie der Architektur und des Städtebaus an der Bauakademie, leitete von 1975 bis 1982 auch die einflussreiche Arbeitsgruppe „Architektur und Bildende Kunst“ im Bund Deutscher Architekten, lehrte an der Humboldt-Universität.
1984 wurde er pensioniert, widmete sich seinen Forschungen zum Turmbau. Und dann kam der Zusammenbruch der DDR, die Wiedervereinigung, kamen die gewaltigen Debatten mit Hans Stimmann und den Konservativen, die den Wiederaufbau Berlins am stark idealisierten Bild der Kaiserzeit orientieren wollten, kamen die Debatten um die Zukunft jenes Rohbaus, der nach der notwendigen Asbestsanierung vom Palast der Republik geblieben war. Mittendrin, mit leiser, zum Zuhören zwingender Stimme und zur kultivierten Rücksicht mahnender, immer zierlicher werdender Körperlichkeit: Bruno Flierl.
Die Spree-Insel weiterdenken
Er konnte auf ein schon zu DDR-Zeiten entstandenes breites Netzwerk bauen, vor allem aber auch darauf, dass er dank seines Alters, seiner unbezweifelbaren Kenntnisse und seines freundlichen Auftretens zum Moderator in einer extrem aufgeheizten Debatte wurde. Dass er dabei etwa in der Kommission, die über die Möglichkeiten eines Nachbaus der Schlossfassaden befinden sollte, auch gnadenlos als politisches Feigenblatt benutzt wurde, nahm er hin – und verfasste zu deren architektur-, stadtbauhistorisch und künstlerisch eher flach gedachten Votum ein Sondervotum, das seither immer wieder zitiert wurde: Er forderte darin nämlich nicht nur den Weiterbau de Palastgerüsts, sondern auch ein neues Nachdenken über diesen vom 20. Jahrhundert so radikal neu gestalteten Ort Spree-Insel.
Flierl wusste, was er konnte, genau deswegen war er nicht frei von Selbstzweifeln. Und so betrachtete er seine oft zwei, drei Generationen jüngeren Zuhörer als Mit-Forschende, als Kollegen mit nicht weniger, sondern anderem Wissen. Dass gerade die Politik seine Anregungen meist verwarf, belastete ihn zu DDR-Zeiten offenbar sehr – nach 1990 kaum noch. Er scheint zu sich gefunden zu haben, ausgerechnet in dem Staat, der seinem Lebensprojekt DDR nachfolgte. Am Montag Abend verstarb Bruno Flierl nach Angaben der Familie friedlich in einem Berliner Altersheim.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: