
© ourtesy Filmgalerie 451, Nachlass/Estate Christoph Schlingensief, Berlin
Auftakt zum Gallery Weekend: Nationalgalerie feiert mit Nebelskulptur und Schlingensief
Mutig, visionär und genau auf den Punkt: Die Neue Nationalgalerie hat jetzt Werke von Christoph Schlingensief in ihrer Sammlung.
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Die Häppchen verschwinden im Nebel. Mit Ansage. Nationalgalerie-Direktor Klaus Biesenbach rät, sich schnell noch am Buffet zu bedienen, bevor Fujiko Nakayas Nebelskulptur alles einhüllt. Am Freitagmorgen waren Künstler, Sammler, Kuratoren und Politikprominenz etwa in Gestalt der scheidenden Kulturstaatsministerin Claudia Roth im Skulpturengarten der Neuen Nationalgalerie versammelt.
Das Museum feierte den Auftakt des Gallery Weekends mit zwei Wegbereitern der Kunst: Der bald 92-jährigen japanischen Bildhauerin Fujiko Nakaya und Deutschlands einflussreichem Theatermann Christoph Schlingensief. Unterm Dach des Museums befinden sich jetzt Werke von beiden. Beziehungsweise wabert eines davon draußen im Garten.

© Neue Nationalgalerie – Stiftung Preußischer Kulturbesitz / David von Becker
Nakaya entwickelte ihre Idee für eine Bildhauerei, die aus nichts als Nebel besteht, im Jahr 1970. Und auch das System zur Herstellung reinen Wassernebels hat sie, Mitglied des New Yorker Kollektivs „Experiments in Arts and Technology (E.A.T.)„ sowie Tochter eines Physikers, selbst entwickelt. Die 2018 mit dem wichtigen Praemium Imperiale-Preis ausgezeichnete Künstlerin war vor kurzem sogar höchstpersönlich in Berlin, um die Neufassung ihres Werks zu begleiten.

© dpa/Soeren Stache
Jetzt steigt weißer Nebel aus den Wasserbecken im Skulpturengarten auf und umhüllt die schweren Arbeiten von Henry Moore und Wolfgang Mattheuer. Auch die Gesichter der Umstehenden versinken für einen kurzen Moment im weißen Dampf, bevor der Wind die feinen Tröpfen mitnimmt, in die Luft steigen lässt und gen Himmel schickt. Alles wird hier zur Skulptur, die Besucher, die Architektur, die Natur. Ein paar Minuten nur dauert das Spektakel.
Auch Aino Laberenz ist da, die Frau, die mit Regisseur und Theatermann Christoph Schlingensiefs verheiratet war, und die der Nationalgalerie nun sein Werk „Deutschland 99“ geschenkt hat. Völlig zu Recht ist endlich eine Arbeit dieses visionären Denkers in der Sammlung der Nationalgalerie. Dort gehört es auch hin. Es ist kaum zu fassen, wie präzise Schlingensiefs (1960-2010) Aktionen zur damaligen Migrationspolitik, zu Rechtsruck und Nationalismus 25 Jahre später auch noch die Gegenwart kommentieren.
Schlingensief mit angeklebten Schläfenlocken
In einem Kabinett in der Dauerausstellung „Zerreißprobe“ ist nun unter anderem Schlingensiefs Film „Deutschland versenken“ aus dem Jahr 1999 zu sehen. Er zeigt Christoph Schlingensief in New York, als er mit angeklebten Schläfenlocken, schwarzem Hut und Mantel den Hudson River befährt und an der Freiheitsstatue niederkniet, als Reminiszenz an Willy Brandts Kniefall in Warschau. All das am 9. November, Erinnerungsdatum für Pogromnacht und Fall der Mauer.
Schlingensief wirft eine Urne mit der symbolischen Asche Deutschlands in den Fluss, außerdem einen Koffer mit 99 Dingen, die so schwer sind wie Deutschlands Geschichte oder wie der Kopf einer Reporterin. Schlingensief, nie um eine Antwort verlegen, antwortet auf die Frage einer Journalistin nach dem genauen Inhalt des Koffers: auch ihr Kopf, ihre Gedanken zu Deutschland seien dort drin.
Schlingensief war nie zynisch
Auch das Ende des 20. Jahrhunderts war von einem Anstieg rechter Tendenzen in Deutschland geprägt. Schlingensief markierte mit dieser Aktion, die Teil seines umfassenderen Projekts „Deutschlandsuche 99“ war, das sinnbildliche Ende Deutschlands. Nicht ohne darin auch einen Neuanfang für das „wiedervereinigte, globalisierte Deutschland“ zu sehen. Er war nie zynisch, sondern ein positiver Denker, sagt Klaus Biesenbach, der die Hudson-Performance produziert und Schlingensief nach New York ans PS1 vermittelt hat.
Zum anschließenden Artist Talk ist auch Matthias Lilienthal gekommen, der viele Jahre mit Schlingensief am Theater gearbeitet hat und der jetzt an der ehemals gemeinsamen Wirkungsstätte, der Berliner Volksbühne, die Position des Intendanten übernimmt. Und so sitzen zwei recht unterschiedliche Weggefährten auf dem Podium, die sich an Anekdoten mit ihrem rastlosen, genialen Freund erinnern, der die Film-, die Theater-, die Kunst- und die Opernwelt gleichermaßen aufgemischt hat – mit seinen Frechheiten, Wahrheiten und unerträglichen Bildern, die er den Menschen vor die Nase gesetzt hat. Etwa bei der Aktion „Bitte liebt Österreich“ in Wien auf dem Platz vor der Staatsoper, wo Flüchtlinge in einem Container sitzen, und der Deutsche die Österreicher auffordert, per Telefonabstimmung über deren Abschiebung zu entscheiden.
Einen solch’ wilden Bilderstürmer hat es in der Kunst seither nicht mehr gegeben, findet Klaus Biesenbach. Matthias Lilienthal hingegen sieht durchaus Nachfolger, eine wie die österreichische Choreografin und Performerin Florentina Holzinger sei auf dem besten Wege dazu.
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