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Die soziale Komponente des Essens: Kochaktion im Rahmen des Projekts „Municipal Kitchens“.

© Johann Arens

Ausstellung „Municipal Kitchens“: Vom gemeinsamen Speisen und einer sozialeren Stadt

Im Kunstverein nGbK wird gemeinsam gekocht und über die Politik unserer Ernährung nachgedacht. Unter anderem gibt es eine geheime Supermarkttour.

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Was ist der Zustand unserer Ernährungssysteme? Welche Beziehung hat man als Städter noch zu seinem Essen? Wie fühlt es sich an, nicht nur zu zweit oder in der Familie, sondern wirklich in Gemeinschaft zu kochen und zu essen? Diesen Fragen geht die Ausstellung „Municipal Kitchens“ der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (nGbK) nach, wohlwissend, dass im Essen viel mehr steckt als Nahrungsaufnahme und Sattwerden.

Das Herzstück des Projekts bilden Kochaktionen in einer vollausgestatteten Küche in den Räumen der nGbK und gemeinschaftlich organisierte Mahlzeiten in einer Kücheninstallation von Another Provision. Das gemeinsame Speisen erfreut sich großer Beliebtheit, und Workshops wie „Slow-Cooking“ oder rund um Lebensmittel wie Kartoffel, Süßkartoffel und Maniok, bei denen es auch um Themen wie Kolonialismus, Migration und Widerstand geht, sind meist schnell ausgebucht.

Gemeinsames Schnippeln und Plaudern 

„Municipal Kitchens“ besteht aber auch aus einer Ausstellung mit interessanten, überwiegend dokumentarischen Videoarbeiten, die soziale, politische und ökonomische Aspekte rund um das Thema Ernährung beleuchten. Hier kommen viele, wenig bekannte Fakten und Geschichten zum Vorschein. In einer Filmarbeit von Franziska Pierwoss erzählt ein Supermarktbetreiber im Libanon sehr offen über die Probleme in einem Land mit extremer Inflation und dysfunktionalem Staat, in dem die Preise für Lebensmittel explodieren. Tausend Prozent mehr für Zucker und Kichererbsen bei gleichbleibendem Lohn.

„Municipal Kitchens“, neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK): Wandinstallation mit Videos und Getränkeregalen von Myvillages.

© Benjamin Renter

Lokale Initiativen in Berlin und Deutschland werden in Videos vorgestellt, etwa der Frauentreff Brückenhof in Kassel, der in der migrantisch geprägten Nachbarschaft das gemeinsame Herstellen von Käse und anderen Lebensmitteln organisiert. Essen ist vielleicht der kleinste gemeinsame Nenner, der Menschen in aller Welt und über Generationen und Zeiten hinweg verbindet.

Deshalb eignet sich das Thema besonders gut, um in Kontakt und ins Gespräch zu kommen, wo es sonst vielleicht wenig Gemeinsamkeiten gibt. Auch von ungerechter Nahrungsmittelverteilung und Ausbeutung ist die Rede, etwa in einer Installation von Elia Nurvista zum Handel mit Palmöl, das zwar in Indonesien hergestellt, dort aber kaum verwendet wird.

Mit Bourdieu im Supermarkt

Ein Projekt ist aus Kassel von der Documenta 15 herübergeschwappt, wo es ja 2022 eigentlich um Kollektivität und geteilte Ressourcen gehen sollte und dann der Antisemitismus-Skandal vieles überdeckte. Jetzt also ein ungestörter Blick auf das Projekt Myvillages, das drei Künstlerinnen aus Deutschland und den Niederlanden bereits vor zehn Jahren gestartet haben, mit dem Ziel, das Ländliche in neue Kontexte zu bringen. Myvillages präsentieren in einer Installation eine Reihe von selbst gebrandeten Kräuterlimonaden, ihre „Company Drinks“, die in Zusammenarbeit mit lokalen Communitys gebraut und vermarktet werden, zum Wohle der Gemeinschaft. Die Zutaten hierfür werden selbst gepflückt, in urbanen Parks oder vor den Toren der Stadt.

Alicja Rogalskas Audiowalk durch Supermärkte nennt sich „Pretend You’ve Got No Money“.

© Courtesy Alicja Rogalska

Die Künstlerin Alicja Rogalska bietet eine verdeckte Audiotour durch einen örtlichen Supermarkt an, um den habitualisierten Umgang mit Essen und Nahrungsbeschaffung für kurze Zeit zu unterbrechen. Direkt unter den Räumen des nGbK befindet sich eine Kaufland-Filiale, die sich für die Tour anbietet, es geht aber auch in jedem anderen Supermarkt.

Rogalska lässt beim Gang durch die Regale Bourdieus Theorie der Klassen- und Geschmacksunterschiede ebenso einfließen wie Mussolinis Nudelverbot oder Fakten zum Bananenhersteller Chiquita, der um seiner Handelsinteressen willen Gelder an eine kolumbianische Terrorgruppe zahlte. Ein aufrüttelnder Exkurs in Sachen Lebensmittelpolitik.

Lehrreich und unterhaltsam ist Annett Gröschners Recherche. Die Berliner Autorin und Stadterkunderin erzählt in ihrem textlichen Beitrag über die ehemalige Zentralmarkthalle am Alexanderplatz, die vom nahegelegenen Güterbahnhof mit frischen Waren versorgt wurde. Das tote Gleis am Stadtbahnviadukt zwischen Friedrichstraße und Alexanderplatz, das man so oft passiert und selten hinterfragt, ist ein Relikt aus dieser Zeit.

Die frühen Berliner Märkte unter freiem Himmel fanden wegen ihrer speziellen Soziologie Eingang in verschiedene literarische Werke, Gröschner zitiert E.T.A. Hoffmann oder Walter Benjamin. Marktschreierinnen mit Berliner Schnauze, Ganoven, Wucherer und Polizeirazzien sind guter Stoff für Geschichten.

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