
© Yelizaveta Vlasenko
Ausstellungsreihe „Was nehmen wir mit?“ im Polnischen Institut: Smartphones zum Anbeißen
Mit „White Noise“ geht die neue Ausstellungsreihe im Polnischen Institut in die zweite Runde. Kuratorin Marta Smolińska sorgt nach den stickigen PIS-Jahren für Frischluft im Kunstbetrieb.
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Trolle trollen durch unseren Alltag. Meist unbemerkt, wirbeln sie in digitalen Gefilden Informationsnebel auf, den wir nur mühsam durchdringen und bewusst oft nicht wahrnehmen können. In den Bildern von Celina Kanunnikava nehmen die unsichtbaren Digitalisate Gestalt an. Doch nicht als niedliche Illustration der mythologischen Dämonen, sondern als „White Noise“, zugleich Titel der Ausstellung im Polnischen Institut im Rahmen der sechsteiligen Reihe „Was nehmen wir mit?“.
Kanunnikava hat die Leinwand mit Myriaden kleiner Punkte im Weiß-Grau-Schwarz-Bereich übersät, die sich zu einer Art Schneegestöber zusammenballen oder in ihrer Punktdichte an die Störbilder historischer Fernseher erinnern. Doch die 1988 in Polen geborene Künstlerin zielt in die konkrete Gegenwart. Sie greift Themen wie Emanzipation, Überwachung oder Machtmissbrauch auf oder den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Bereits 2015 entstand ihre Arbeit „Bericht vom Schlachtfeld“. Gemalt in Reaktion auf die im Jahr zuvor erfolgte Annexion der Krim durch Putin. Jegliche Form einer Berichterstattung geht allerdings im schwarzweißen Tosen der unzähligen Tupfen unter. Nur ein markanter roter Punkt suggeriert die vermeintliche Liveübertragung — ohne Informationsgehalt.

© Yelizaveta Vlasenko
Das „Weiße Rauschen“, ursprünglich ein Terminus aus der Akustik für Geräusche im gleichmäßigen, niedrigen Frequenzbereich, findet heutzutage auch Einzug in psychosoziale Kontexte wie der Psychoakustik oder Entspannungstraining. In der Technik minimiert es Störgeräusche, und auf den Menschen kann es eine beruhigende, meditative Wirkung entfalten.
Im Falle der sogenannten sozialen Medien, die mittlerweile vor allem junge Menschen als bevorzugte Nachrichtenquelle nutzen, verdichten sich Wahrheit, Desinformation und Fake News zu einer Kakophonie, die in Zeiten schier unüberschaubarer Informationen sedierende Funktionen übernimmt. Dagegen will die Ausstellung Zeichen setzen und wachrütteln, das Bewusstsein der Betrachtenden für die subtilen, bisweilen auch offensichtlichen Machenschaften schärfen.
Ganz direkt verweist Vitalii Shupliak auf die Gefahren der digitalen Instrumentarien. Der 1993 in der Ukraine geborene Künstler, der in Posen und Braunschweig studiert hat, baut Objekte und Installationen aus Smartphones, deren Oberflächen er uns als Zerrspiegel entgegen hält oder die er mit Schokolade überzieht. Was im ersten Moment zum Hineinbeißen verlockt, wie schmackhafter Krokant oder Nüsse aussieht, entpuppt sich als hinterlistige Verführung aus Glassplittern.
Shupliak zielt auf das Suchtpotenzial und die Durchdringung unseres Alltags, der ohne die digitalen Daseins-Erweiterungen immer weniger zu bewerkstelligen ist. Längst sind die mobilen Allrounder zum „Objekt des täglichen Kultus“ geworden, wie Kanunnikava eines ihrer Acryl-Bilder nennt, dessen Punkte sich schlicht aus dem RGB-Farbraumsystem mit den Grundfarben Rot, Grün und Blau zusammensetzen.
„Die Ausstellungsreihe ,Was nehmen wir mit?’ soll einen Neuanfang markieren!“, sagt Kuratorin Marta Smolińska. In diesem Sinne greift die zweite Ausgabe „White Noise“ rund um Desinformation und Fake News einen Kernaspekt der EU-Ratspräsidentschaft Polens auf, in deren turnusmäßig sechsmonatiger Amtszeit unter anderem die Sicherheit von Informationen im Fokus steht. Smolińska möchte mit ihrer Ausstellungsreihe ein neues Publikum ansprechen.
Tatsächlich war es in Zeiten der PIS-Regierung ruhig um das Polnische Institut geworden. Seit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Donald Tusk weht ein frischer Wind auch durch die Kultureinrichtung. „Nach acht Jahren politischer Einflussnahme haben wir uns die Räume wieder zurückerobert“, freut sich die umtriebige und bestens vernetzte Kunsthistorikerin, die als Professorin und Leiterin des Lehrstuhls für Curatorial Studies und Theorien der Kunst an der Magdalena-Abakanowicz-Universität der Künste in Posen lehrt.
Zuletzt hat sie als Co-Kuratorin an der Ausstellung „Zerreißprobe“ in der Neuen Nationalgalerie mitgearbeitet. Den Auftakt ihrer Ausstellungsreihe machte „Wendepunkt(e) und wie weiter?“, ein künstlerischer Blick in die jüngere Vergangenheit. Gezeigt wurden Fotografien von Karin Sanders, die 1990 im polnischen Lódz unter dem Titel „White Passageways“ entstanden, sowie hintersinnige Neon-Botschaften von Michał Martychowiec und Fotografien historischer Einschnitte. Jetzt rauscht es weiß.
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