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Musik verbindet. Seit 2016 bildet die Barenboim-Said-Akademie Stipendiaten aus dem Nahen Osten aus. Zur Akademie gehört der von Frank Gehry entworfene Pierre Boulez Saal.

© Peter Adamik

Barenboim-Said-Akademie: Ein Bildband feiert 20 Jahre West-Eastern Divan Orchestra

Musik für den Frieden: Nächstes Jahr ist 20. Jubiläum des West-Eastern Divan Orchestra. Ein Bildband schildert die Erfolgsgeschichte von der Gründung bis zur Barenboim-Said Akademie.

Die Ausstellung wurde vor zwei Jahren eröffnet, der Katalog kam erst kürzlich heraus. Das Format: Übergröße, 20,5 mal 31,4 Zentimeter. Das Gewicht: ein gutes Kilo. Als Bettlektüre ist „Der Klang der Utopie“ eher ungeeignet. Aber dafür ist dieses Buch auch nicht gedacht. Auf dem Einband leuchtet die längst zur Marke gewordene beschwipste Spiegelei-Skizze von Frank Gehry. Drinnen tut sich, auf schwerem, besten Papier, eine Fülle von tiefenscharfen Bildern auf, groß und klein, bunt und schwarz-weiß, scharf und unscharf. Viele kleine Textbeiträge, Zitate, Erinnerungssplitter oder Grußworte, die einander ergänzen oder duplizieren, stehen zwischen diesen Fotos Spalier wie die Gratulanten bei einem Fest. Und was gilt es zu feiern? Ein Wunder!

Alles fing damit an, dass 1999 in Weimar der Grundstein für das West-Eastern-Divan-Orchester gelegt wurde, liebevoll abgekürzt „WEDO“ – was seinen tieferen Sinn erst offenbart, wenn man es englisch ausspricht, mit Ausrufezeichen: „We do!“ Vorige Woche hat das Orchester eine umjubelte Nordamerikatournee beendet, im nächsten Jahr feiert es seinen 20. Geburtstag. Es gehört heute zu den erfolgreichsten, effektivsten und populärsten Jugend- und Nachwuchsorchestern weit und breit.

Anfangs stand das Projekt auf wackligen Beinen

Wer bei den beiden ersten sommerlichen Workshops in Weimar dabei war, als erstmals Musikstudenten aus Israel und Palästina, Ägypten, Syrien und dem Libanon im Musikgymnasium Belvedere aufeinandertrafen, der wird sich daran erinnern, wie gefährdet das Unternehmen damals war. Außer dem verrückten Maestro Barenboim und seinem Freund Edward Said glaubte keiner so recht an eine Fortsetzung des Projekts.

Allzu zart und zerbrechlich schien es, politisch umstritten, musikalisch chaotisch. Suchtrupps der Staatskapelle waren in den Nahen Osten gereist, um Auditions zu veranstalten, einige der angehenden jungen Musiker, die sie nach Weimar einluden, hatten gerade erst gelernt, einigermaßen sauber in der ersten Lage zu spielen. Und wie sollten sie miteinander reden? Arabisch? Hebräisch? Es wurde also in Weimar vor allem energisch gecoacht und trainiert, bis zur Sehnenscheidenentzündung. Doch am Ende musizierten bei den ersten öffentlichen Konzerten in der Weimar-Halle alle gemeinsam, Staatskapellenprofis neben Anfängern, die erste Symphonie von Johannes Brahms und das dritte Klavierkonzert von Beethoven auf eine Weise, die sich hören lassen konnte.

„Wer die Sprache der Musik erlernt, der wird fit gemacht für den Dialog“, so hatte Daniel Barenboim das einmal formuliert, und es sollte sich bewahrheiten. Er war Realist genug, um zu wissen und zu predigen, dass Kriege mit den Mitteln der Musik nicht zu verhindern sind. Und zugleich doch Visionär genug, um darauf zu bestehen, dass gemeinsames Musikmachen Frieden stiften könne, im Kleinen: „Musik allein kann selbstverständlich nicht den israelisch-arabischen Konflikt lösen. Jedoch gibt sie dem Einzelnen das Recht und die Verpflichtung, sich vollständig auszudrücken und dabei dem Nachbarn Gehör zu schenken.“

An diesem Hoffnungsfaden hing der Beginn des Divan-Orchesters, hing auch die frisch gegründete Barenboim-Said-Foundation. Es sind längst dicke Seile und aus den Seilen wiederum Netzwerke geworden, finanzieller und organisatorischer Art, die das Fundament bilden für die Barenboim-Said-Akademie in Berlin Mitte und für Berlins jüngsten Konzertsaal, entworfen von Frank Gehry, benannt nach Pierre Boulez.

Diese Akademie ist eine Musikhochschule mit Pilotcharakter, wie es noch keine vorher gab: mit einem Curriculum, das nicht nur Musizieren lehrt, nicht nur das Nachdenken über Musik, sondern auch das Denken in Musik und, was vielleicht das Wichtigste ist: wie sich in der Freiheit der musikalischen Gedanken die Welt und das Leben abbilden, von ihrer besseren, utopischen Seite. Der Konzertsaal ist der für die Öffentlichkeit haptisch erfahrbare Raum dieses Experiments. Wer ihn betritt, der spürt diese Energie.

Wie es dazu kam, wird im ersten Kapitel der Dauerausstellung und im Bildband erzählt. Das zweite Kapitel dokumentiert die Barenboim’schen Education-Projekte in Ramallah und Berlin; das dritte widmet sich Idee und Gründung der Akademie; das vierte Entwurf, Bauphase und Betrieb des Saals. Einige Bilder sind winzig klein, andere Fotos stark vergrößert worden und im Panoramaformat gedruckt, dergestalt, dass der Falz mitten durchs Bild geht oder, im Falle der dokumentarischen Schwarz-Weiß-Bilder, die Rasterung zu erkennen ist. Das gibt dem Abgebildeten, Personen wie Situationen, eine aktuelle Unmittelbarkeit und betont die historische Kraft, die davon ausgeht. Zum Beispiel die Hand, die auf eine Notenskizze zeigt, zwei Takte in D-Dur, es ist Beethovens Freudenmelodie, die Europahymne, die mit der Verbrüderungsparole. Alle Menschen? Darunter steht, mit Filzstift: „… also auch Israelis und Palästinenser …“. Oder die kleine Musikkindergarten-Zeichnung: „Herr Barenboim“, mit Pfeil. Ein Strichmännchen sitzt entspannt am Flügel und tritt das Pedal. Er ist es, unverkennbar.

Der Klang der Utopie. Herausgegeben von Daniel Barenboim und Michael Naumann. Henschelverlag Berlin, 224 Seiten, 29,95 Euro.

Eleonore Büning

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