
© Andreas Klaer
Beinfreiheit an Berliner Spielstätten: Kunst darf gerne auch mal wehtun, aber bitte nicht immer nur am Knie
An manchen Berliner Spielstätten bekommt die Kunst den Raum, den sie zu ihrer Entfaltung braucht. Nur das Publikum nicht.

Stand:
Kunst darf auch mal wehtun, das wird wohl niemand bestreiten. Kunst kann geradezu unerträglich sein – und bitteschön, wieso nicht. Überschreitet sie mal die persönliche Leidens-, Kitsch-, Schmerz-, Pathos-, was-auch-immer-Grenze, kann man schließlich einfach gehen. Immer. Die Ausgangstür hat nach deutschem Recht stets klar erkennbar und frei zugänglich zu sein. Der Raum, in dem die Kunst stattfindet, unterscheidet sich vom Leben also schon dadurch, dass er garantiert ohne Konsequenzen verlassen werden kann – allen Bemühungen Kunstschaffender zum Trotz, Kunst und Leben zusammenzuführen.
So ist das in der Theorie. In der Deutschen Oper ist das anders. Zum Beispiel neulich bei Rebecca Saunders’ „Lash“: fantastische Musik, eine tolle Bühne des britischen Künstlers Ed Atkins. Im Libretto Sprachbilder, verstärkt durch eindrückliche Videos, die den menschlichen Körper sezieren. Schmerz ist eines der Themen dieser (wie fast jeder) Oper – wer publikumsseitig welchen empfindet, liegt nicht daneben.
Zu groß für manche Berliner Spielstätten
Es sei denn, der Schmerz rührt von der Knieregion her. Ich bin mit 1,98 Meter zu groß für die Deutsche Oper – wie fürs Kino Moviemento, das HAU Hebbel am Ufer und manche andere Bühne der Stadt, wo sich meine Knie schmerzlich in die Rückenlehne des Vordermenschen bohren – auch zu dessen Ärger. Knieschoner aus dem Skateboard-Fachgeschäft sind übrigens nicht nur aus Stilgründen keine Option, da sie den Oberschenkel auch noch um die Dicke des Polsters verlängern – und Platzmangel ist ja das Problem. Wir großen Menschen buckeln uns in Sälen ohne Höhenstaffelung ohnehin schon so weit es geht zusammen, um denen hinter uns nicht die Sicht zu versperren, mangelnde Beinfreiheit aber zwingt zum aufrechten Sitzen.
Gegen die Knie drückt der Vordersitz, von oben drückt die Höflichkeit dagegen – so eingepfercht hielt ich bei „Lash“ die zwei Stunden ohne Pause durch. Das ist nicht immer so. Zu gehen ist allerdings auch nicht so einfach wie in der Theorie, denn in den zu knappen Sitzreihen sind auch Menschen mit kürzeren Beinen gezwungen aufzustehen, um einen durchzulassen – das schafft Unruhe und nervt den ganzen Saal. Und so liegen Kunst und Leben dann doch näher beieinander als man vielleicht meint: Aus beiden gibt es kein einfaches Entkommen. Mit einem Unterschied: In die Häuser muss ich im Zweifel gar nicht erst gehen.
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