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Drei der 16 Überlebenden: Emy Roeders „Schwangere“ (1918), Karel Niestraths „Frommer Mann“ (1924) und Otto Freundlichs „Kopf“ (1925) (v.l.n.r.).

© Museum für Vor- und Frühgeschichte, SMB / Andreas Henkel / VG Bild-Kunst Bonn, 2025

Berliner Skulpturenfund im Petri Berlin: Überlebende aus dem Bombenschutt

Von den Nazis verfemt, dann zufällig wiederentdeckt. Die als „entartet“ diffamierten Skulpturen der Moderne, die 2010 als Sensationsfund um die Welt gingen, sind wieder in Berlin zu sehen.

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Eine Schicksalsgemeinschaft nennt Landesarchäologe Matthias Wemhoff sie. Und genau so sehen die 16 Skulpturen auch aus, die nach ausgedehnten Touren durch deutsche und europäische Museen jetzt endlich wieder im Zusammenhang und in der Nähe des einstigen Fundortes zu sehen sind. Sie haben etwas mitgemacht, sind ramponiert, unvollständig, mit Ruß und Grünspan bedeckt.

Was war das für eine Sensation, als sie 2010 bei den Bauarbeiten für die U-Bahnlinie 5 am Roten Rathaus entdeckt wurden. Aufgetaucht aus dem Bombenschutt im Keller des zerstörten Hauses Königstraße 50. Und nach einigem Rätselraten von Archäologen und Kunsthistorikerinnen, die zuerst vermuteten, dass ein Kunsthändler in dem Wohn- und Geschäftshaus ansässig war, als Skulpturen aus der berüchtigten Propaganda-Schau „Entartete Kunst“ 1937 in München identifiziert.

Mit diesem Hetzbegriff diffamierten die Nationalsozialisten Kunstwerke der klassischen Moderne, die nicht dem heroischen Gestus der eigenen Kunstauffassung entsprachen.

Ein hochaktuelles Thema, wie Matthias Wemhoff bei der Vorbesichtigung feststellt. Auch in den USA sei die Regierung von Donald Trump dabei, Druck auf Museen auszuüben, um die Darstellung von Geschichte in ihrem Sinn zu säubern und das eigene Kunstverständnis durchzusetzen.

Auch im Petri Berlin zu sehen. Otto Baums „Stehendes Mädchen“ von 1930, Marg Molls „Tänzerin“, um 1930, Naum Slutzkys „Weibliche Büste“, um 1930, Karl Ehlers’ „Mädchen mit Traube“ (1933), Gustav H. Wolffs „Stehende Gewandfigur“ (1925) und Karl Knappes „Hagar“ von 1923 (v.l.n.r.).

© Otto Baum, Marg Moll/VG Bild-Kunst Bonn, Naum Slutzky, Karl Ehlers, Gustav H. Wolff, Karl Knappe, Foto: 2025 Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte / Andreas Henkel

Kuratorin Marion Bertram, die stellvertretende Direktorin des Museums für Ur- und Frühgeschichte, erläutert die drei Kategorien, in welche die Nationalsozialisten die von ihnen als „entartet“ bezeichnete Kunst einstuften. Kategorie eins umfasste Werke, die ins Ausland gegen Devisen verkauften werden sollten. Kategorie zwei, zu der die Arbeiten des Berliner Skulpturenfunds gehören, wurde in „Lehr“- also Propagandaausstellungen und ebensolchen Filmen zur Schau gestellt. Und Kategorie drei schlicht zerstört.

Die Nazis verkauften und zerstörten

Rund 16.000 Objekte gingen auf diese Weise verloren, der Großteil waren allerdings Gemälde und Grafiken, keine Skulpturen. Umso wertvoller sind die Überlebenden dieser Kultur-Barbarei, die in Berlin gefundenen Plastiken, die damit gleichzeitig Zeitzeugen sind.

Im Schutt entdeckt. „Weibliche Büste“ von Naum Slutzky bei der Wiederauffindung im Oktober 2010

© Landesdenkmalamt Berlin / Manuel Escobedo

Das Original. So sah Naum Slutzkys, „Weibliche Büste“ (1931) aus, als sie im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe konfisziert wurde.

© Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Es ist eine gute Idee, dass das vor drei Monaten eröffnete Archäologie-Zentrum seine erste Sonderausstellung diesen versehrten Schönheiten widmet. Zwar werden sie hier im fünften Stock in Glasvitrinen, umgeben von Texttafeln und Fotos zu den Umständen des Funds, der Ausstellung „Entartete Kunst“ und dem Originalzustand schlichter präsentiert als bei der dramatischen Erstausstellung 2012 im Griechischen Hof des Neuen Museums. Aber das tut der berührenden Wirkung etwa der von Grünspan bedeckten „Hagar“ von Karl Knappe und des stirnlosen „Kopfes“ von Otto Freundlich keinen Abbruch. Besonders wenn man weiß, dass Freundlich, einer der 14 präsentierten Bildhauer und Bildhauerinnen, 1943 im KZ Majdanek oder Sobibor ermordet worden ist.

Skulpturen am Rande des Grabungsfeldes im August 2010. Am Grubenrand rechts: „Die Einfältigen“ von Karel Niestrath, Otto Baums „Stehendes Mädchen“, Marg Molls „Tänzerin“ und am Grubenrand in der Mitte Otto Freundlichs „Kopf“,

© u.a. Marg Moll/VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Foto: Landesdenkmalamt Berlin / Matthias Kümmel

Für einen Archäologen sei es faszinierend, dass aus dem 20. Jahrhundert dasselbe übrig bleibe wie aus der Antike, nämlich Skulpturen aus Bronze, Stein und Keramik, sagt der Landesarchäologe Wemhoff. Andere Materialien haben den Brand und den Sturz aus dem vierten Stock, in dem das Reichsprogaganda-Ministerium ein Magazin unterhielt, in den Keller des Hauses nicht überstanden.

Blick in die Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München: Die „Dada-Wand“ mit Werken von Müller, Nolde, Pechstein, Schmidt-Rottluff, Kirchner, Grosz, Voll, Schwitters, Haizmann, Klee, Herzog, Kandinsky, Feininger und Marg Molls „Tänzerin“ am rechten Bildrand.

© Zentralarchiv, Staatliche Museen zu Berlin / VG Bild-Kunst Bonn, 2025

Dass es sich bei einigen der verwitterten und bis zur Unkenntlichkeit mit Mörtel beschmierten Plastiken, die wie das kraftvolle Bildnis der Schauspielerin Anni Mewes von Edwin Scharff teils zufällig von Baggerschaufeln rollten, um Objekte aus der „Entartete Kunst“-Schau handelt, wurde erst klar, als das Kopfteil von Emy Roeders Skulptur „Schwangere“ zum Vorschein kam.

Fotografien aus der Münchner Ausstellung 1937 belegen, dass auch Marg Molls grandiose „Tänzerin“, die als Fundstück teils restauriert und teils im korrodierten Zustand nun zu sehen ist, und Richard Haizmanns Marmor-Abstraktion „Figur“ dort ebenfalls gezeigt wurden.

Dass deren obere Hälfte überhaupt aus dem Schutt geborgen wurde, sei nur diesen Fotos zu verdanken, sagt Matthias Wemhoff. Sonst hätte niemand das aufgefundene Teil-Stück als Kunst erkannt. Es gleicht einer späten Wiedergutmachung, diese von den Nationalsozialisten verfemten und von den Alliierten zerbombten Werke nun in musealer Weihe ausgestellt zu sehen.

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