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Die französische Schriftstellerin Annie Ernaux, die bei jedem Boykottaufruf Israels mitmacht.

© dpa/Horst Galuschka

Boykottaufruf gegen israelische Verlage: Eine einseitige Rolle spielen

Prominente Schriftsteller und Schriftstellerinnen unterzeichnen einen Aufruf zum Boykott israelischer Verlage und Kulturinstitutionen. Darunter Judith Butler, Sally Rooney, Naomi Klein.

Gerrit Bartels
Ein Kommentar von Gerrit Bartels

Stand:

Das im Jahr 2008 gegründete palästinensische Literaturfestival (PalFest) ist sicher kein Highlight im globalen Literaturkalender; doch der Boykottaufruf, den das Festival jetzt mit gleichgesinnten Institutionen wie „Books Against Genocide“, „Publishers For Palastine“ oder „Writers Against The War on Gaza“ initiiert hat, stößt international auf viel Resonanz bei prominentesten Autoren und Autorinnen. Das Ganze ist, wie das PalFest triumphiert, vielleicht wirklich „der größte kulturelle Boykott Israels in der Geschichte.“

In dem Begleitbrief des Festivals heißt es: „Wir haben eine Rolle zu spielen. Wir können uns nicht guten Gewissens mit israelischen Institutionen zusammentun, ohne ihre Beziehung zu Apartheid und Vertreibung zu hinterfragen. (...) Wir werden nicht mit israelischen Kulturinstitutionen zusammenarbeiten, die sich an der überwältigenden Unterdrückung der Palästinenser mitschuldig machen oder stumme Beobachter geblieben sind.“

Wir werden nicht mit israelischen Kulturinstitutionen zusammenarbeiten, die sich an der überwältigenden Unterdrückung der Palästinenser mitschuldig machen oder stumme Beobachter geblieben sind.

Aus dem Begleitbrief des Literaturfestivals PalFest

Rooney lehnte Übersetzung ins Hebräische ab

Zu den israelischen Kulturinstitutionen zählen auch Verlage, Festivals und Literaturagenturen, und die Liste der Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die den Boykottaufruf unterzeichnet haben, enthält inzwischen weit über tausend Namen. Darunter viele prominente und bekannte antiisraelische Autoren und Autorinnen wie Judith Butler, Sally Rooney, Naomi Klein, Pankraj Mishra, Rachel Kushner, Arundhati Roy, Annie Ernaux oder Kamilla Shamsie.

Rooney beispielsweise, die gerade mit ihrem neuen Roman „Intermezzo“ Erfolge feiert, lehnte es 2021 ab, die Rechte für die hebräische Übersetzung ihres Romans „Schöne Welt, wo bist du“ an einen israelischen Verlag zu verkaufen. Oder Judith Butler: Die in Berkeley lehrende Rhetorikprofessorin spricht gern davon, dass die Hamas-Attacken am 7. Oktober ein „Aufstand“ gewesen seien, „ein Akt des bewaffneten Widerstands“, das verstehe sich, wenn man „ehrlich und historisch korrekt“ sein will.

Doch zu Rooney, Butler und Co gesellt sich andere Literaturprominenz, die hier womöglich erstmals ihren Namen unter einen Brief setzt, in dem es zu Israels Vorgehen in Gaza unter anderem heißt: „Dies ist ein Genozid.“

Kein Satz zum 7. Oktober

Dabei sind also auch der britische Literaturnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah, der amerikanische Schriftsteller Jonathan Lethem, der US-amerikanisch-chinesische Literaturnobelpreisanwärter Ha Jin und andere auch in Deutschland bekannte Autoren und Autorinnen wie Percival Everett, Ben Lerner, Ocean Vuong, Tea Obreht, Hari Kunzru oder Leslie Jamison.

Sie alle scheinen einverstanden damit zu sein, wenn es in dem Brief heißt: „Israelische Beamte sprechen offen über ihre Motivation, die Bevölkerung von Gaza zu eliminieren, die Eigenstaatlichkeit der Palästinenser zu verhindern und palästinensisches Land zu beschlagnahmen. Dies folgt auf 75 Jahre Vertreibung, ethnische Säuberung und Apartheid.“

Und weiter: „Die Kultur hat eine wesentliche Rolle bei der Normalisierung dieser Ungerechtigkeiten gespielt. Israelische Kulturinstitutionen, die oft direkt mit dem Staat zusammenarbeiten, waren jahrzehntelang entscheidend daran beteiligt, die Enteignung und Unterdrückung von Millionen Palästinensern zu verschleiern, zu tarnen und zu verbrämen.“

Nach den Erfahrungen mit ähnlichen Boykottaufrufen nicht zuletzt durch die BDS-Bewegung und erst recht seit dem 7. Oktober dürfte es an dieser Stelle fast überflüssig sein zu erwähnen, dass vom Angriff der Hamas und ihrem tausendfachen Morden am 7. Oktober in diesem Brief des palästinensischen Festivals keine Rede ist. Nichts vom Treiben der Hamas vor dem 7. Oktober im Gaza-Streifen, nichts von der Hisbollah, den Huthi-Rebellen oder Iran.

Nun ist es das eine, israelische Verlage zu boykottieren (deren Verfehlungen und propagandistische Beteiligungen an militärischen Strategien und den Besetzungen in palästinensischen Gebieten der Brief ebenfalls aufzählt); das andere aber das Verhalten gegenüber beispielsweise internationalen Literaturfestivals, die mit israelischen Verlagen kooperieren oder israelische Schriftsteller und Schriftstellerinnen einladen: Werden diese auch boykottiert?

Ernaux und „Strike Germany“

Canceln Jonathan Lethem, Ha Jin oder Leslie Jamison ihre Auftritte auf Festivals, wenn dort auch Lizzie Doron oder Etgar Keret eingeladen sind? Wie verhalten sie sich bei Preisen, auf deren Short-oder Longlists Israelis oder israelfreundliche Autoren und Autorinnen gelistet sind? Wie weit geht die Solidarität mit dem palästinensischen Volk?

Vielleicht dann doch nur so weit wie bei Annie Ernaux, als diese sich Anfang des Jahres einem Boykottaufruf gegen öffentlich geförderte deutsche Kulturinstitutionen anschloss, „Strike Germany“. Da versicherte Ernauxs deutscher Verlag, der Berliner Suhrkamp Verlag sogleich, dass die Autorin die Veröffentlichung oder Inszenierung ihrer Texte nicht boykottieren möchte.

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