
© MAX BURKHALTER
Buchpremiere mit Jonas Hassen Khemiri: Der Fluch und das Rockefeller Center
Jonas Hassen Khemiri stellt seinen großartigen Roman „Die Schwestern“ im Renaissance-Theater vor. Mit dabei: Daniel Kehlmann und Schauspielerin Luise Wolfram.
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Wo soll man anfangen, wo aufhören, mit einer strikten Empfehlung für diesen Roman des schwedischen Erzählers Jonas Hassen Khemiri, dieser epischen, über 730 Seiten langen Saga über Heimat, Familie, Freiheit, das Rasen der Zeit und der Klammer, die das Leben gegen alle Widerstände zusammen hält?
Mit den Charakteren der drei Mikkola-Schwestern Ina (die Korrekte), Evelyn (die Träumerin) und Anastasia (die Überdrehte), deren Leben sich immer wieder mit dem des vierten Protagonisten, Jonas, schneidet?
Mit den verschiedenen Orten, Stockholm, Tunis, Paris, Berlin, New York, mit zig Umzügen, Partys, Basketballspielen, Bingewatching, Dates und Todesfällen, vor denen Khemiri mühelos den Vorhang hebt und wieder senkt? Mit der über allem schwebenden Frage, ob das Leben vorbestimmt ist oder vollkommenes Chaos, dem erst das Geschichten-Erzählen einen Sinn verleiht?
Wie die Schwestern hat Sinnsucher Jonas einen tunesischen Migrationshintergrund und wächst mit einem abwesenden Vater auf. Wie sie sucht Jonas seinen Platz in der Welt, mit New York und dem Rockefeller Center als Sehnsuchtsort, an dessen Bau ein Vorfahre der Mikkolas beteiligt sein soll.
Dass man nichts falsch, aber auch nichts richtig machen kann
Es dreht sich um einen Fluch, der auf den drei Schwestern lastet oder lasten soll, demnach man alles verliert, was man liebt. Und um das Leben in migrantischen Communitys, wo man gleichermaßen dazugehört und nicht dazugehört, man nichts falsch, aber auch nichts richtig machen kann.
Der Roman ist wohl Autofiktion (Jonas teilt den Vornamen mit dem 46-jährigen Erzähler) und in erstaunliche Formen gegossen. Khemiri, der in New York kreatives Schreiben lehrt, strukturiert den Text in sieben Teile.
Jeder Teil beschreibt einen immer kürzeren Zeitraum, 2000 bis 2035, von einem Jahr bis hin zu einer Minute, mit dem Ziel, wie Evelyn sagt, „dass das unser Gefühl reflektiert, je älter wir werden, desto schneller würde die Zeit vergehen“.
Dazu die Sprache: teils atemlose Prosa, Bandwurmsätze, Gedankenströme, dann wieder knappe, pointierte Dialoge. Khemiris im Juli auf Deutsch bei Rowohlt erschienener Roman ist mit Jonathans Franzens „Korrekturen“ verglichen worden. So schöne Wutausbrüche/Monologe wie der unserer Lieblingsschwester Evelyn (Seite 599ff!) bringt Franzen nicht.
Mit diesem Roman kann man getrost ein Wochenende auf dem Lesesofa verbringen. Und dann ins Renaissance-Theater gehen, wo Khemiri auf Daniel Kehlmann und Schauspielerin Luise Wolfram trifft.
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