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Die Titelfiguren von „Fangirl“, „Die geheimnisvollen Akten der Margo Maloo“ und „Wonderball“.

© Carlsen, Reprodukt, Schreiber & Leser

Gratis-Comic-Tag 2022: Monsterjäger, Superkiller und ein Fangirl in der Krise

Am 14. Mai ist wieder Gratis-Comic-Tag. Wir stellen drei ausgewählte Titel vor, die es an diesem Tag umsonst gibt.

35 Hefte, die 19 deutschsprachige Comicverlage für diesen Tag produziert haben und verschenken: Das Angebot dürfte am 14. Mai erneut viele Fans und Neugierige in Fachgeschäfte, Buchläden und Bibliotheken locken.

Das Werbemotiv zum Gratis-Comic-Tag hat in diesem Jahr Julia Briemle gezeichnet.
Das Werbemotiv zum Gratis-Comic-Tag hat in diesem Jahr Julia Briemle gezeichnet.

© Gratis-Comic-Tag

Einst nach US-Vorbild hierzulande eingeführt, findet der Gratis-Comic-Tag nach einer Corona-Pause jetzt zum zwölften Mal statt. Es gibt Veröffentlichungen für Kinder und Erwachsene aus den Bereichen Manga, Superhelden, frankobelgische Abenteuer, Disney und Independent zu entdecken.

Viele Händler bieten ein Rahmenprogramm an. So liest der Hamburger Zeichner Jan Soeken ab 20 Uhr im Comicladen Modern Graphics in der Kastanienallee 79, Prenzlauer Berg, aus seinem Buch „Slocum“, Eintritt frei. In der Sammlerecke Esslingen wird Frauke Berger ihr neues Buch „Das Schiff der verlorenen Kinder“ vorstellen und signieren.

Und im Dortmunder schauraum comic + cartoon, wo derzeit eine Ausstellung über Horror-Comics zu sehen ist, laden die Veranstalter mit Bubble Tea und Sitzsäcken dazu ein, sich vor Ort in die geschenkten Comics zu vertiefen.

Wir stellen im Folgenden drei ausgewählte Titel vor, die sich lohnen - einen Überblick über das gesamte Programm, alle teilnehmenden Geschäfte und Institutionen sowie Sonderaktionen gibt es auf der Website www.gratiscomictag.de.

Magicat im Realitäts-Schock: „Fangirl“

Der Roman „Fangirl“ der US-amerikanischen Autorin Rainbow Rowell erschien 2015 und avancierte im englischsprachigen Raum innerhalb kürzester Zeit vom Geheimtipp zum Bestseller. Die südkoreanische Zeichnerin Gabi Nam hat nach einer Adaption von Sam Maggs eine Mangaversion des Romans vorgelegt, deren erster Band im März 2022 auf Deutsch erschienen ist (Carlsen Manga, 224 Seiten, 7,50 Euro).

Eine Szene aus „Fangirl“.
Eine Szene aus „Fangirl“.

© Carlsen

Vor allem Jugendliche, die sich selbst als introvertiert und wenig mainstreamaffin betrachten, sahen in Rowells Geschichte offenbar eine wohltuend realitätsnahe Alternative zu anderen US-amerikanischen Jugendbüchern - geht es doch darin meist darum, sich auf der Beliebtheitsskala unter Gleichaltrigen nach oben zu arbeiten.

Denn die Protagonistin in „Fangirl“ will alles andere, als ihren Mitmenschen zu gefallen. Als sie zum ersten Mal den Campus als Collegestudentin betritt, möchte die 19- jährige Cath am liebsten sofort wieder nach Hause.

Fremde Menschen und ungewohnte Orte machen sie nervös, sicher fühlt sie sich nur hinter ihrem Laptop, an dem sie unter dem Pseudonym „Magicat“ schon seit Jahren regelmäßig Fanfiction über Simon Snow, eine Harry Potter ähnliche Figur, für ihre Online-Fangemeinde verfasst.

Ganz im Gegensatz dazu blüht Caths eineiige Zwillingsschwester Wren in der neuen Situation auf, will aber mit Cath erst einmal möglichst wenig zu tun haben. Während sich Cath wochenlang von Müsliriegeln ernährt, um nicht in die Mensa gehen zu müssen, feiert Wren eine Party nach der anderen. Nach und nach begegnen schließlich auch Cath ein paar Menschen, die sie aus ihrem Schneckenhaus hervorlocken.

Ähnlich wie der Roman legt auch Gabi Nams Mangaversion den Fokus auf die Entwicklung ihrer Figuren.

Das Titelbild der  „Fangirl“-Ausgabe zum Gratis-Comic-Tag.
Das Titelbild der  „Fangirl“-Ausgabe zum Gratis-Comic-Tag.

© GCT

Nam, die bisher in erster Linie Manga für den koreanischen Markt produziert hat, setzt für diese Adaption gekonnt auf einfühlsame Charakterzeichnungen: sympathisch wirkende jugendliche Gesichter, in denen sich eine breite Palette an Emotionen widerspiegelt, stehen im Fokus der Geschichte, atmosphärische Andeutungen müssen oft als Panel-Hintergründe genügen, um eine Szene zu verorten.

Zu Beginn jedes Kapitels tauchen Szenen aus Caths Fanfiction über Simon Snow als Manga im Manga auf, die zwar verdeutlichen um was es in Caths Geschichten geht, in ihrer Regelmäßigkeit allerdings den Lesefluss eher stören als ihn zu bereichern. Zuweilen wirkt zudem das Erzähltempo etwas zu gemächlich um den Spannungsbogen oben zu halten.

Dennoch: Zwischen Wohnheimzimmer, Hörsaal, Bibliothek und Mensa lässt es sich eintauchen in eine stimmungsvolle Mischung aus gemütlich-leichtem Uni-Ambiente und psychologischer Tiefgründigkeit, die sich als humorvolle, zu Herzen gehende Zwischendurchlektüre durchaus lohnt.

Meisterin der Monster: „Die geheimnisvollen Akten der Margo Maloo“

Der junge Charles zieht im ersten Band von Drew Weings Comicserie „Die geheimnisvollen Akten der Margo Maloo“ mit seinen Eltern in ein ehemaliges Hotel in der Großstadt Echo City, das sein Vater als Handwerker restaurieren soll. Es dauert nicht lange, bis der oft sich selbst überlassene Charles dahinter kommt, dass in dem weitläufigen Gemäuer sowie im Rest von Echo City überall Trolle, Geister, Oger, Kobolde, Vampire und andere Monster leben.

Eine Szene aus dem ersten Band von „Die geheimnisvollen Akten der Margo Maloo“.
Eine Szene aus dem ersten Band von „Die geheimnisvollen Akten der Margo Maloo“.

© Reprodukt

Denn die Wahrheit ist: Es existiert eine ganze Monstersubkultur, ja, eine ungeheuerliche Parallelgesellschaft zum menschlichen Alltag, die eigene Regeln und Sorgen kennt - und eigene Supermärkte oder sogar eine Bar hat, die von einem Echsenmenschen geführt wird. Um in seiner neuen Nachbarschaft voller lebendiger Albträume zurecht zu kommen und nicht als Monsterfutter zu enden, hat der eifrige, ein bisschen altkluge Blogger Charles nur eine Chance: Er muss sich Hilfe holen.

[Ein weiterer Comic, den es am 14. Mai gratis gibt, ist der Band „Rubeus Khan“ aus der „Donjon“-Reihe. Hier gibt es einen Artikel von Comiczeichner Bela Sobottke über dieses Album.]

Auftritt Margo Maloo. Die ist so jung wie Charles, nichtsdestotrotz aber eine äußerst erfahrene Monstermediatorin, die alle möglichen Kreaturen in Echo City kennt und schon seit Jahren zwischen Kindern und Schrecken vermittelt.

Charles hängt sich mit journalistischer Neugierde an die zunächst eher abweisende Margo und folgt ihr als Sidekick in eine gefährliche, faszinierende Schattenwelt, wo Gentrifizierung etwas anderes bedeutet - nämlich, dass die Lebensräume der Menschen und der Monster einander immer öfter überlappen, meistens mit schlechtem Ausgang für die verdrängten Kreaturen ...

Das Titelbild der Gratis-Comic-Tag-Ausgabe von „Die geheimnisvollen Akten der Margo Maloo“.
Das Titelbild der Gratis-Comic-Tag-Ausgabe von „Die geheimnisvollen Akten der Margo Maloo“.

© Reprodukt

Der amerikanischen Autor und Zeichner Drew Weing, Jahrgang 1978, startete 2014 „Die geheimnisvollen Akten der Margo Maloo“ als fortlaufenden Webcomic. Zwei digitale Halbseiten ergeben im gedruckten Album der deutschen Ausgabe jeweils eine ganze Seite, und das funktioniert bestens. In beiden Versionen kreiert Weing nämlich bunte Seiten mit der Lässigkeit von Cartoons und der Dynamik von Animationsserien, dicht vollgepackt mit Panels, Details und Energie.

Zudem garniert Weing seine erfrischend pazifistische Variante junger Monsterjäger mit reichlich Witz, Atmosphäre und Charme. So erschafft er einen feinen All-Age-Titel, sehr gelungene Urban Fantasy und nicht zuletzt einen Comic für Fans von Zeichentrickserien wie „Hilda“ und „Willkommen in Gravity Falls“.

Bislang sind von „Die geheimnisvollen Akten der Margo Maloo“ bei Reprodukt zwei Bände auf Deutsch erschienen (Übersetzung Matthias Wieland, Handlettering Michael Hau, 64 bzw. 72 S., je 18 €.), der dritte Band ist für Mai 2022 angekündigt. Beim Gratis-Comic-Tag gibt es einen Auszug aus dem ersten Band.

Den Superkillern auf der Spur: „Wonderball“

Inspektor Spadaccini ist ein harter Hund. Nach seiner Zeit in der Armee kommt er zum Secret Service, wo er 1963 beim Attentat auf US-Präsident Kennedy in der ersten Reihe steht. Zwanzig Jahre später ist der starrsinnige, gewaltbereite Spadaccini bei der Polizei der kalifornischen Metropole San Francisco – und die Hauptfigur der fünfteiligen Comicreihe „Wonderball“, die ab 2016 auf Deutsch bei Schreiber & Leser erschienen ist.

Eine Seite aus „Wonderball“.
Eine Seite aus „Wonderball“.

© Schreiber & Leser

Die Presse bezeichnet Spadaccini als Crazy Cop, seine Kollegen nennen ihn dagegen Wonderball, da Spadaccini eine abwegige Vorliebe für die Süßigkeit hegt, die man als amerikanisches Überraschungs-Ei bezeichnen kann. Im Sommer 1983 wird Spadaccini mit einem seltsamen Fall konfrontiert, der Erinnerungen an Dallas weckt.

Mitten in San Francisco legt ein Scharfschütze auf Passanten an und tötet neun Opfer in neun Sekunden. Seine Ermittlungen machen Spadaccini schnell selbst zur Zielscheibe einer Gruppe, die verschleiern möchte, dass sie bereits vor dem Attentat auf Präsident Kennedy leistungsfähige, oft jedoch mental instabile Superkiller erschaffen hat ...

[Die Comic-Adaption von Sebastian Fitzeks „Der Augensammler“ steht ebenfalls auf dem Programm des Gratis-Comic-Tages - die Tagesspiegel-Rezension des Buches gibt es hier.]

Im Grunde ist „Shooter“ ein klassischer, plakativer Verschwörungs-Thriller mit einer ausgesprochen mainstreammäßigen Science-Fiction-Komponente. Handwerklich ist die Geschichte der französischen Szenaristen Jean-Pierre Pécau und Fred Duval straighte Krimi-Kost. Wer ein Faible für das Action-Kino der 80er hat, wird gut unterhalten.

Dazu passen auch die Zeichnungen des 1949 in Neuseeland geborenen Colin Wilson, der zu den beliebtesten Künstlern im Alben-Bereich zählt. Seine Karriere begann Wilson mit Science-Fiction-Beiträgen zu Figuren wie Judge Dredd für das legendäre britische Comic-Magazin „2000 AD“, das Ende September seine 2000. Ausgabe feierte.

Das Titelbild der „Wonderball“-Ausgabe zum Gratis-Comic-Tag.
Das Titelbild der „Wonderball“-Ausgabe zum Gratis-Comic-Tag.

© GCT

Darüber hinaus bebilderte Wilson die von Ed Brubaker verfasste Superhelden-Spionage-Miniserie „Point Blank“, Krimis wie das verfilmte „Blei im Schädel“ von Autor Matz, „Star Wars“-Comics und die Alternativwelt-Serie „Tag X“, die ebenfalls mit dem Kennedy-Attentat begann. Außerdem zeichnete der Neuseeländer die europäischen Comic-Ikonen Tex und Blueberry, Letzterer unsterblich gemacht von Wilsons Vorbild Jean „Moebius“ Giraud.

Wilson und harte Kerle mit Ecken und Kanten, das passt immer gut zusammen – und macht auch das routiniert bebilderte „Shooter“ zu einer gefälligen Lektüre. Die Reihe liegt mit insgesamt fünf Bänden abgeschlossen auf Deutsch vor (Schreiber & Leser, jeweils 54/56 Seiten, pro Band 14,95 €). Beim Gratis-Comic-Tag gibt es einen Auszug aus dem ersten Band.

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