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Leonie Benesch wird auf der Berlinale als European Shooting Star ausgezeichnet.

© Jeanne Degraa

Das Handwerk muss stimmen: Shooting Star Leonie Benesch auf der Berlinale

Eine Lehrerin und eine Meeresforscherin unter Druck. Shooting Star Leonie Benesch ist mit dem Drama „Das Lehrerzimmer“ und der Serie „Der Schwarm“ auf der Berlinale vertreten.

Mathe und Sport, eine ziemlich gefürchtete Kombination bei Lehrkörpern. Doch Carla Nowak kommt damit gut bei den Mädchen und Jungen ihrer siebten Klasse an. Sie ist um die 30, neu an der Schule und brennt vor Engagement und Idealismus. Nowak ist eine Frau mit angespanntem Blick und nervös bebenden Nasenflügeln, die alles richtig machen will, was prompt nach hinten losgeht.

Charlie Wagner ist eher das Gegenmodell. Die trotzige Meeresbiologin übertritt dauernd die Vorschriften, als sie auf einem Forschungsstützpunkt auf den Shetlandinseln auffälligen Phänomenen der Tiefsee nachspürt. Ruppig wie sie ist, legt sie sich mal mit Fischern und mal mit ihrer Institutsleiterin an. Vor dem Blau des Meeres und der Monitore leuchtet ihr Schopf wie eine wütende Flamme.

In Wirklichkeit sind Leonie Beneschs Haare längst nicht so feuerrot. Mal abgesehen davon, dass sie an diesem Februarmorgen mit einer Wollmütze auf dem Kopf am Tresen eines Neuköllner Cafés steht. Angesprochen auf die Pumuckl-Perücke, die sie als Charlie Wagner in der Serie „Der Schwarm“ trägt, lacht sie. „Sie wird mir ermöglichen, dass ich weiter in Ruhe durch Berlin spazieren kann.“ Oder im Café einen Tee ordern, wie jeder andere Schillerkiez-Hipster.

Benesch ist Jahrgang 1991, in Hamburg geboren und wird an diesem Montag auf der Berlinale als European Shooting Star 2023 ausgezeichnet. Die Jury ist begeistert von der „Noblesse und Aufrichtigkeit ihres Charakters“ Carla Nowak, den sie in Ilker Çataks Film „Das Lehrerzimmer“ spielt, der im Panorama zu sehen ist. Neben diesem differenzierten Schuldrama, das dem konfliktreichen Miteinander von Lehrerinnen, Schülern und Eltern deutlich mehr Zwischentöne entlockt, als das Sönke Wortmanns Beiträge zur Bildungsmisere schaffen, ist Benesch auch mit „Der Schwarm“ auf dem Festival vertreten.

Ein feiner Arthouse-Film und eine Serie, die die Miete zahlt, das ist nebenbei auch Leonie Beneschs Idealvorstellung eines glücklichen Darstellerinnenjahres, wie sie freimütig erzählt. Anders als der Titel „Shooting Star“ vorgaukelt, bastelt sie schon mehr als 14 Jahre an ihrer Karriere. Wobei das nach beinharter Planung klingt. Dabei hat Leonie Benesch nach ihrem fulminanten Kinodebüt mit 17 in Michael Hanekes Meisterwerk „Das weiße Band“ immer wieder innegehalten, „erstmal mein Abi fertiggemacht“ und immer wieder die eigene Berufswahl hinterfragt.

Und dann doch in Serien wie „Babylon Berlin“, „The Crown“, „Spy City“, „In 80 Tagen um die Welt“ und in Filmen wie „Persischstunden“ von Vadim Perelman mitgespielt, der 2020 auf der Berlinale lief. Sie sei dankbar, Teil dieser Branche zu sein, sagt Leonie Benesch, aber sie drehe sich viel um sich selbst und sei manchmal ziemlich albern. Mit dem Nimbus der Schauspielerei, den andere ihrer Zunft beschwören, hat sie wenig am Hut. „Die Schauspielerei sehe ich als Arbeit, ein Handwerk, mehr nicht, aber auch nicht weniger.“

Gelernt hat sie es übrigens in Großbritannien, an der Londoner Guildhall School of Music and Drama, was ihren Rollen in internationalen Projekten, wie dem auf Englisch gedrehten „Schwarm“ zugutekommt. Acht Jahre hat sie insgesamt in London gelebt, um dann wieder an ihren alten Wohnort Berlin zurückzukehren. Auch des Brexits und seiner Folgen wegen. „Es macht mich sehr wütend, was die Tories die letzten Jahre veranstaltet haben.“ Verglichen mit London sei Berlin derzeit der entspanntere Ort, hier existiere in der Politik noch ein sozialer Gedanke. „In London sieht und spürt man, dass es den Menschen, die nicht das Glück haben, zur reichen Bubble zu gehören, richtig schlecht geht.“

Leonie Benesch in „Das Lehrerzimmer“ von İlker Çatak.
Leonie Benesch in „Das Lehrerzimmer“ von İlker Çatak.

© Alamode Film

Ihre präzise und nuancierte Schauspielkunst, mit der sie in „Das Lehrerzimmer“ fast jede Szene trägt, verdankt sie der Ausbildung an der Guildhall School. Nie habe sie mehr über Sprache und Bewegung gelernt. „Britische Schauspielschulen waren schon immer wahnsinnig darauf bedacht, Menschen gehen und sprechen gleichzeitig beizubringen“, amüsiert sich Benesch, die die dort gepflegte technische Herangehensweise schätzt, „in der mehr über Handwerk als über Kunst gesprochen wird.“

Ihre kindliche Schullaufbahn hat sie an Waldorfschulen absolviert. Den dortigen Ansatz, Kinder nicht mit sechs Jahren zu bewerten und ihnen auch Bewegung und Kunst statt Mathe und beizubringen, findet sie nach wie vor gut. Anders als die Corona-leugnerischen Tendenzen vieler Anthroposophen. „Wir brauchen Alternativen zu unserm Schulsystem oder müssen es grundlegend reformieren, aber nicht zwingend nach dem Vorbild Waldorfschule.“

„Das Lehrerzimmer“ erzählt die ganz alltägliche Geschichte eines Kontrollverlusts, einer Entgleisung. Diebstähle erschüttern die Schule. Direktorin und Kollegium sind leidgeprüft und suchen ihr Heil in einer „Null-Toleranz-Politik“. Sie befragen Schüler, lassen sich „freiwillig“ Geldbeutel zeigen. Junglehrerin Nowak ist empört. Wer sagt denn, dass Schüler:innen die Schuldigen sind? Nowak stellt eine Falle und lässt ihre Jacke mit Portemonnaie im Lehrerzimmer hängen. Und schneidet tatsächlich auf dem Laptop einen Diebstahl mit, was für weitere halbgare Verdächtigungen und immer heftigere Grabenkriege an der Schule sorgt.

Dass, was Carla Nowak keinesfalls sein möchte, nämlich eine autoritäre Lehrerin, hat für ihre Darstellerin zumindest als Jugendliche gut funktioniert. „Ich lasse mich gern von Leuten anschreien, wenn sie Recht haben.“ Auf der Schauspielschule habe es immer seinen Grund gehabt, wenn der Lehrer mal laut wurde. Ihrer Figur Nowak hingehen, kann man anderthalb Stunden dabei zuschauen, wie sie hinter der Stirn Druck aufbaut. Sie dampft förmlich, so sehr ringt sie um Beherrschung, so sehr bemüht sie sich um Raumkontrolle.

İlker Çataks Drehbuch sei ihrer Meinung nach ein Kommentar zur Art und Weise gesellschaftlicher Debattenkultur, sagt Benesch. Es werde viel krakeelt und mit 140-Zeichen-Statements um sich geworfen, aber es fehle an echtem Dialog. „In ‚Lehrerzimmer‘ missverstehen sich die Menschen und während Lehrer und Eltern über die Kinder debattieren, geraten die Kinder völlig aus dem Fokus.“ Gerade die Idealistin Carla Nowak ist nicht davor gefeit, außer Sport und Mathe auch ein höheres moralisches Level als ihre Kompetenz zu reklamieren. Dank Leonie Beneschs Spiel folgt man der Lehrerin gebannt auf den zusehends hilflosen Pfad der Selbstzerlegung.

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