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Das Vertrauen in die Medien ist in Ostdeutschland besonders gering. Foto: Bernd Wüstneck/dpa

© dpa/Bernd Wüstneck

Das mediale Bild vom Osten Deutschlands: Einmal „Zonen-Gaby“, immer AfD?

Negativschlagzeilen dominieren das mediale Bild Ostdeutschlands. „Abgeschrieben? – Der Osten in den Medien“ heißt eine aufschlussreiche Dokumentation in der ARD.

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„Tagesthemen“-Moderator Ingo Zamperoni zeigt auf eine Deutschlandkarte, im Westen ist sie schwarz, im Osten blau eingefärbt. Die Karte reflektiert die Ergebnisse in den Wahlkreisen bei der Bundestagswahl am 23. Februar dieses Jahres. Der mediale Blick auf die fünf Bundesländer im Osten der Republik gehorcht einem Tenor: Was ist da los, wo die blau-braunen Deutschen leben?

Der Politikwissenschaftler Christopher Pollak von der Uni Leipzig zeigt eine andere Deutschland-Karte, auch sie nimmt die Ergebnisse der Bundestagswahl auf. Aber mit einem großen Unterschied: Je Bundesland wird gezeigt, wie viel Prozent die verschiedenen Parteien erzielt haben. Und schon ändert sich das Bild, Deutschland ist nicht länger schwarz-blau, sondern überaus bunt.

„Zonen-Gaby“ auf dem Cover der „Titanic“

Mit diesem Karten-Spiel steigt die „ARD-Story“ ins Thema ein: „Abgeschrieben? – Der Osten in den Medien“. Die MDR-Dokumentation von Anett Friedrich und Christoph Peters will zunächst zeigen, dass sich der besonders an Fest- und Wahltagen aufgerufene „Sonderfall Ost“ über 35 Jahre entwickelt und verstetigt hat. Was mit der „Zonen-Gaby“ 1989 auf dem Cover der „Titanic“ begann, entwickelte sich mit zahlreichen „Spiegel“-Titeln wie dem „Milliardengrab Aufschwung“ oder der „Bild“-Schlagzeile zum vermeintlich von Neonazis ermordeten Jungen in Sebnitz zum Ost-Image, zum Ossi-Klischee. Negativschlagzeilen dominieren das mediale Bild. Dabei entgeht der Beitrag nicht der Gefahr, die Rückschau derart reißerisch zu gestalten, wie es die Schlagzeilen selber gewesen waren.

Christoph Dieckmann war lange Zeit der einzige ostdeutsche Journalist im Berliner Büro der „Zeit“.

© MDR/Hoferichter&Jacobs

Hajo Schumacher, von 1990 bis 2000 „Spiegel“-Autor, berichtet von einem „Kampfauftrag“, wenn er in den Osten geschickt wurde. Die Berichterstattung sei von einer „holzschnittartigen Polarisierung“ geprägt gewesen. Christoph Dieckmann, geboren in Rathenow und im Berliner Büro der „Zeit“ lange Jahre der einzige ostdeutsche Redakteur, stellt fest, dass das mediale Bild „fremdbebildert und fremdbeschriftet“ worden sei. „Die DDR-Medien wurden abgeschaltet wie die DDR untergegangen ist.“ Der Westen habe über den Osten geschrieben, während der Osten nichts über den Westen behaupten konnte, weil er keine Medien gehabt habe, so Dieckmann.

Wahr ist, dass die Treuhand die zehn, teilweise sehr auflagenstarken Bezirkszeitungen der SED an 13 westdeutsche Verlagskonzerne verkauft hat. Für die Autoren Friedrich und Peters ein weiterer Beleg, dass damit ein Verständnis vom Osten Deutschlands transportiert und publiziert wurde, das mit dem Selbstverständnis der Ostdeutschen nicht rückgekoppelt war. Bilder wurden reproduziert, Muster weitergetragen. Ein Fazit dieser ARD-Story: Diese Eindimensionalität und Marginalisierung sind ursächlich dafür, dass das Vertrauen in die Medien im Osten bei nur 65 Prozent liegt (bei 81 Prozent im Westen).

Mit Hilfe von KI hat das ARD-Story-Team tausende Presseartikel der vergangenen 35 Jahre systematisch ausgewertet. Sichtbar wird dabei die Gleichförmigkeit der medialen Zuschreibungen. Lagen einst die Merkmale „bodenständig“ oder „benachteiligt“ auf den Spitzenpositionen, wurden sie um 2000 herum von „unternehmerisch“ oder „herausfordernd“ abgelöst, so ist das Pendel 2024 zu „völkisch“ oder „ausländerfeindlich“ geschwungen. Ob die Beschreibungen tatsächlich zutreffen oder die Zuschreibungen im Vokabular der überkommenen Vereinfachungen verharren, darüber klärt die ansonsten so seriöse wie aufschlussreiche Dokumentation nicht auf.

Auffällig ist, dass der Fokus der 45-minütigen Dokumentation deutlich auf den überregionalen Printerzeugnissen liegt. Sie berichten für die Westleser über den Osten – und machen damit im Osten keine Auflage. 2021 hat die „FAZ“ nur 3,4 Prozent, der „Spiegel“ 2021 nur 3,9 Prozent, die „Zeit“ nur sechs Prozent ihrer Auflage zwischen Rostock und Zwickau verkauft.

Es hätte dem Beitrag gut angestanden, auch zu analysieren, welches Bild die im Osten erscheinenden und ausstrahlenden Medien über Brandenburg, Sachsen & Co. transportieren. Immerhin erwähnen Friedrich und Peters, dass mittlerweile die Berichterstattung über den Osten vorrangig von Journalisten aus dem Osten geleistet wird.

Ulrich Wolf („Sächsische Zeitung“) und Josa Maria-Schlegel („Leipziger Volkszeitung“) betonen die Notwendigkeit, dass Lebenswelt und Medienwelt im Osten nicht länger auseinander klaffen dürfen, dass Differenzierung die Simplifizierung ablösen müsse. Beide zeigen sich optimistisch, dass dies, wenn auch langsam, passiert. Den einen Osten gibt es eben nicht. Was es gibt, das ist der Osten im Plural.

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