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Symposium zur Nan Goldin-Retrospektive als Türöffner: Berlin sendet ein Zeichen in die Kunstwelt
Trotz turbulenter Ausstellungseröffnung fand das Symposium statt und ließ sich nicht von Aktivisten kapern. Es warb für mehr Empathie im Nahostkonflikt und könnte der Eskalation im Kunstbetrieb ein Ende setzen.

Stand:
„This Will Not End Well“ hatte Nan Goldin als prophetische Aussage ihre seit vier Jahren geplante Retrospektive überschrieben. Damals konnte niemand ahnen, in welche Turbulenzen die Ausstellung an ihrer Berliner Station die Neue Nationalgalerie stürzen würde, denn die jüdische Künstlerin unterstützt die BDS-Bewegung, die zum Boykott Israels aufruft.
Nach der vom Bundestag kürzlich verabschiedeten Antisemitismus-Resolution „Nie wieder ist jetzt“ hätte die amerikanische Fotografin eigentlich kein Podium in einer mit öffentlichen Geldern geförderten Institution mehr bekommen sollen. Ihr offenkundiges Sympathisieren mit der Initiative „Strike Germany“ machte den Auftritt noch fragwürdiger.
Doch was die Politik fordert, muss der Kunstbetrieb nicht zwingend umsetzen. Dort regte sich früh Widerstand gegen die Gesinnungsschnüffelei. Nan Goldin in der Neuen Nationalgalerie trotzdem zu zeigen, ist ein deutliches Statement. Sie bei der Eröffnung sprechen zu lassen, wohl wissend, dass sie die Gelegenheit nutzen würde, um ihre streitbare Meinung öffentlichkeitswirksam kundzutun, bezeugt Mut.

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Direktor Klaus Biesenbach musste erleben, wie Aktivisten seine Erwiderungsrede niederschrien. Kein guter Start für eine Ausstellung, die Vertretern gegensätzliche Meinungen den Raum wieder öffnen will, nachdem es in den vergangenen Monaten andernorts zu Ausladungen kam, Preisverleihungen zurückgezogen wurden.
Umso größere Bedeutung gewann das Symposium „Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung“. Der vom muslimisch-jüdischen Ehepaar Saba-Nur Cheema und Meron Mendel organisierte „Diskussionsraum zum Nahostkonflikt“ sollte die Nan Goldin-Ausstellung arrondieren und Wege aus der Polarisierung weisen.
Dass die Veranstaltung tatsächlich stattfand, allen Absagen diverser Redner und den Torpedierungen durch „Strike Germany“ zum Trotz, war ein erster Erfolg. Es könnte ein Wendepunkt in der Kontroverse sein, die lang erwartete Gegenbewegung zur bisherigen Eskalation: nicht länger radikale Stimmen den Ton bestimmen zu lassen, die Zwischentöne hörbar zu machen.
Dieses Zeichen dürfte wahrgenommen werden, denn es geht von der Neuen Nationalgalerie als wichtigstem Ausstellungshaus der Bundesrepublik aus – mit Nan Goldin als einer weltbekannten Künstlerin. Die Botschaft gilt auch der internationalen Kunstwelt, die den Manövern in deutschen Museen häufig verständnislos folgte. Proteste gehören dazu, sie müssen ausgehalten werden, schwor Meron Mendel das Symposium ein. Einen Konsens konnte es erwartungsgemäß nicht herbeiführen, der Fortschritt bestand vielmehr darin, ins Gespräch miteinander gekommen zu sein.
Die Spaltung des Kunstbetriebs lässt sich vermutlich nie mehr revidieren, „gut“ wird es sicher nicht mehr, in Anlehnung an Nan Goldins Ausstellungstitel. Der Nahostkonflikt lässt sich hier nicht lösen. Aber Kunsträume könnten wieder Orte der Toleranz und Empathie sein. Genau dafür wirbt eigentlich auch Nan Goldins Ausstellung, die Porträts ihrer Freunde aus der LGBTQ-Community in Momenten von Euphorie und Verzweiflung zeigt.
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