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Eigene Idee von Körperpolitik: Für die Tänzerin Dominika (Jennifer Lawrence) ist der Schritt zur Spionin ein kleiner.

© 20th Century Fox

Jennifer Lawrence in „Red Sparrow“: Dein Körper gehört dem Staat

Kalter Krieg Redux: Jennifer Lawrence spielt in dem Spionage-Thriller „Red Sparrow“ einen neuen Typus von Actionheldin.

Von Andreas Busche

Staat und Individuum. Star und Starkörper. Francis Lawrence’ Spionagethriller „Red Sparrow“ nimmt den Begriff der Körperpolitik auf unerwartete, so perfide wie perverse Weise wörtlich. Der Regisseur und seine Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence haben dieses Spannungsverhältnis schon in dem erfolgreichen „Hunger Games“-Franchise ausgetestet. Jennifer Lawrence machte die Reihe zur teuersten Schauspielerin in Hollywood, ihre Figur Katniss Everdeen, die sich in einer blutgeilen Reality-TV-Show zur Revolutionärin aufschwingt, etablierte aber auch einen neuen Typus von weiblichem Heldenkörper im Blockbusterkino, abseits aller Lara-Croft-Klischees. Katniss’ Emanzipationsgeschichte – aus gutem Grund fand die Figur unter jungen Mädchen riesigen Zuspruch, nicht nur als Stilikone – ist Ausdruck einer Verweigerung, den eigenen Körper einem männlichen Regime zur Ausbeutung zur Verfügung zu stellen.

Die Parallelen zu „Red Sparrow“ liegen auf der Hand, obwohl der Ton der beiden Filme extrem unterschiedlich ausfällt. „Euer Körper gehört dem Staat“, verkündet am Anfang die russische Ausbilderin (eine eisige Charlotte Rampling) den Rekruten, jungen Männern und Frauen, die ihr Leben in den Dienst des Vaterlands stellen. Ihre Körper sind ihre Waffen in einem obszönen psychologischen Wettrüsten. Die Prämisse des Agentenfilms schrammt haarscharf an der billigen Pulp-Fiktion aus Groschenheften vorbei: Die titelgebenden roten Spatzen werden an der Militärakademie in der Kunst der Verführung geschult, mit vollem Körpereinsatz. Auf dem Lehrplan stehen das Knacken von Schlössern und der exzessive Konsum von SM-Videos sowie die gelegentliche sexuelle Erniedrigung vor versammelter Klasse.

Doppeltes Spiel mit offenem Visier

Dominika Egorova (Jennifer Lawrence) erweist sich schnell als gelehrige Schülerin mit einem unzerstörbaren Willen. Die ehemalige Ballerina am Bolschoi-Ensemble versteht ihren Körper einzusetzen, aber ihre Treue gilt nur vordergründig dem Staat. Ihre Mutter ist todkrank, sie lässt sich von ihrem Onkel Vanya (Matthias Schoenaerts), einem hohen Tier beim Nachrichtendienst SWR, erst in eine Falle locken und dann widerwillig verpflichten, um die medizinische Versorgung ihrer Mutter zu gewährleisten. Sie soll einen amerikanischen Agenten bespitzeln, der Kontakt zu einem Maulwurf an der Spitze des SWR hat. Nathaniel Nash (Joel Edgerton) ist bei seinen Vorgesetzten nicht wohlgelitten. Er hat seine Tarnung auffliegen lassen, weil ihm bei einer geheimen Operation sein Gewissen in die Quere kam. Nun wird er auf Dominika angesetzt, die er als Informantin gewinnen soll. Es ist ein doppeltes Spiel mit offenem Visier auf beiden Seiten.

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Als Analogie auf die inhumanen Praktiken des Agentengeschäfts ist die Idee einer „Hurenschule“, wie Dominika ihre Ausbildung nennt, grenzwertig kolportagehaft – was nicht verwundert, die Bestsellervorlage stammt aus der Feder eines ehemaligen CIA-Agenten. Francis Lawrence nimmt die hanebüchene Prämisse dann wiederum erstaunlich ernst. „Red Sparrow“ besitzt streckenweise eine düstere Eleganz, die immer wieder ihre gefährliche Kehrseite offenbart. Die Grenzen von Sex und Gewalt sind so fließend wie die wechselnden Allianzen zwischen den gegnerischen Parteien. In einer Szene foltert Lawrence ihren Geliebten mit einem chirurgischen Gerät, sie häutet ihn an seiner für sexuelle Reize empfänglichsten Stelle: der Innenseite seiner Schenkel. Der Sadismus, den der Film offen zur Schau stellt, ist drastisch für Hollywood-Verhältnisse. Sex und Gewalt haben Exploitation-Charakter, sollen aber wohl ein atmosphärisches Bild vom Stand der Weltpolitik zeichnen – zumindest in den Konfliktzonen, in denen der Kalte Krieg noch physisch ausgetragen wird. „Red Sparrow“ ist dabei auf haptische Weise anachronistisch, Datenleaks etwa werden auf klobigen Floppy Discs übermittelt.

Da Lawrence auch sonst auf die typischen Requisiten des modernen Überwachungskinos wie Mobiltelefone oder Satellitenbilder verzichtet, bleibt die zeitliche Verortung von „Red Sparrow“ vage. Und verstärkt damit den Eindruck, dass die Welt gerade wieder in die Ära des Kalten Krieges zurückfällt. Schoenaerts mit seinen spitzen Gesichtszügen spielt den Geheimdienstchef als Wiedergänger des jungen Putin; dass er zudem seiner Nichte an die Wäsche will, ist nur ein weiteres spekulatives Detail, mit dem der Film sein Terrain moralisch absteckt. Jennifer Lawrence überstrahlt diesen Sumpf menschlicher Niedertracht, sie trägt ihre blonde Ponyfrisur wie einen Schutzhelm. Dominika will weder Hure noch Heldin sein. Sie stellt gegen das männliche Regime bloß eigene Regeln auf.

In 18 Berliner Kino. OV: Cineplex Karli, CineStar Sony Center, Rollberg, UCI Colosseum, UCI Friedrichshain

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