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Pariser Trio 1929. Richter, Eisenstein, Man Ray (von links).

© Estate Hans Richter/2013 Man Ray Trust/Artists Rights Society,New York/ADAGP, Paris

Ausstellung: Der Alleskünstler

Maler, Filmer, Netzwerker: Der Martin-Gropius-Bau widmet Hans Richter eine Retrospektive.

Ein Ausstellungshaus im Ausnahmezustand: Gerade erst wurde die große Wols-Schau eröffnet, nächste Woche hat Ai Weiwei im Martin-Gropius-Bau seinen Auftritt, da startet im obersten Geschoss zuvor noch die Hans-Richter-Retrospektive. Kuratoren, Handwerker, Kritiker geben sich die Klinke in die Hand. Wenn dabei nicht die Aufmerksamkeit für einen immer schon ein wenig ins Hintertreffen geratenen Künstler wie Richter zu kurz kommt. Hans Richter, der Avantgardist und Alleskünstler, das Kommunikationstalent und Multimedia-Genie, saß in gewisser Hinsicht immer schon zwischen allen Stühlen.

Höchste Zeit für die Wiederentdeckung dieser Schlüsselfigur der Moderne. Sie nimmt ihren Ausgang in den USA. Das Los Angeles County Museum erarbeitete die Retrospektive, der Nachlass des Künstlers befindet sich heute in kalifornischem Privatbesitz. In den Vereinigten Staaten sei er immer noch sehr beliebt, erklärte Kurator Timothy O. Benson zur Eröffnung. In Hollywood wurde schließlich Richters später in Venedig preisgekrönter Film „Dreams That Money Can Buy“ (Träume zu verkaufen) uraufgeführt.

In Berlin aber, wo Richter 1888 zur Welt kam, begann er seine Karriere als Maler und Gestalter, in seiner Geburtsstadt radikalisierte er sich unter dem Eindruck traumatischer Kriegserlebnisse, hier entwickelte er zusammen mit dem Schweden Viking Eggeling die Idee des abstrakten Films. Nach Berlin, wo man ihn zuletzt vor dreißig Jahren mit einer Ausstellung würdigte, gehört er also mindestens so sehr wie nach Hollywood. Mit gewaltiger Verspätung ernannte ihn auch erst die Akademie der Künste zu ihrem Mitglied, da war der Künstler bereits in seinen Achtzigern.

Der große Bruch mit Berlin kam für Richter wie für so viele mit den Nationalsozialisten, schon 1933 verwüstete die SA sein Atelier, ließ seine Sammlung mitgehen. Gerade in Moskau angekommen, kehrte Richter gar nicht mehr nach Hause zurück. Die Flucht führte kreuz und quer durch Europa, bis 1940 die Ausreise nach New York durch eine Einladung des Museum of Non-Objective-Painting gelang, dem späteren Guggenheim. Ein Leben auf dem Sprung hatte Richter schon zuvor geführt, in Bewegung blieb er bis zuletzt. Er pendelte zwischen Connecticut und seinem Wohnsitz im Tessin hin und her, wo er 1976 mit 87 Jahren starb. Die größte Konstante in diesem Reiseleben waren die vielen „Begegnungen“, so die Überschrift seiner drei Jahre vor dem Tod herausgegebenen Memoiren – und diejenige der Ausstellung im Gropius-Bau.

Collage mit Türklingel. „Nicht Hand noch Fuß“ (1955/56).

© Estate Hans Richter

Richter, der Ruhelose, spiegelt sich in den vielen Beziehungen, die er mit den Großen der Kunstgeschichte knüpfte: zunächst mit den Expressionisten Ludwig Meidner und Oskar Kokoschka in Berlin, dann den Dadaisten Hans Arp und Hugo Ball in Zürich, den Suprematisten El Lissitzky und Malewitsch, mit dem er einen Film drehen wollte, den Konstruktivisten Theo van Doesburg und Laszlo Moholy-Nagy, den Filmpionieren Sergej Eisenstein und Werner Ruttmann, den Mitemigranten Marcel Duchamp und Max Ernst in New York.

Die Ausstellung führt die Freunde noch einmal zusammen, diesmal mit Richter als Fixpunkt. Aus insgesamt 150 Arbeiten, 50 allein von den Weggefährten, entsteht ein kolossales Kaleidoskop der Moderne. Richter, der unermüdliche Netzwerker, ist vielleicht nicht der beste Maler, der originellste Collagist, der begnadetste Fotograf, das zeigt der Vergleich mit den Kollegen schnell. Herausragend sind jedoch seine Leistungen auf cineastischem Gebiet.

Mit der Retrospektive kehrt der Avantgardist des Films nun dorthin zurück, wo er schon einmal Kunstgeschichte schrieb. 1929 fand im ehemaligen Kunstgewerbemuseum, dem heutigen Martin-Gropius-Bau, die legendäre Film- und Fotografie-Ausstellung statt, Richter organisierte das Filmprogramm. Einen besseren Kenner, einen engagierteren Kämpfer für den Film als gleichberechtigter Kunstform gab es nicht.

Wer seine Filme nun sieht, die ausschnittweise in allen Sälen an die Wände projiziert werden, ist sofort hingerissen von der Dynamik der Schnitte, den überraschenden wie synkopierten Montagen. Die Clips zeigen einen Drive, der es noch heute mit jedem Werbespot aufnehmen könnte. Ihre Zeitlosigkeit trotz heute längst ausrangierter Schreibmaschinen, auf denen im Stakkato getippt wird, altmodischer Bowlerhüte, die auf geheimnisvolle Weise durch die Luft fliegen, kommt durch die ihnen innewohnende Musikalität zustande.

Der italienische Komponist Ferruccio Busoni hatte Richter auf Bachs Präludien aufmerksam gemacht, tastend übersetzte er dieselben Prinzipien von Bewegung und Gegenbewegung auf Papier in Form von abstrakten Reihungen, die bereits einem Storyboard ähneln. Von dort war es nur ein konsequenter Schritt, den Faktor Zeit einzubeziehen und die Einzelbilder das Laufen zu lehren. Der erste abstrakte Film entstand: „Rhythmus 21“. Das Publikum reagierte damals empört und wollte den Pianisten prompt verprügeln.

Eine innere Melodie meint man in Richters Filmen immer zu hören, eine Verspieltheit, eine Lust an der Irreführung, die noch aus den Züricher Dada-Jahren herrührt. In Marcel Duchamp fand er das passende Pendant. Einer der schönsten Filmausschnitte der Ausstellung zeigt die beiden schon älteren Herren in einer Türöffnung, wie sie sich gegenüberstehen. Auf geheimnisvolle Weise winken sie einander zu, geben sich fast die Hand und kommen doch nicht zusammen. Duchamp entzieht sich regelmäßig wieder, Richter reibt sich jedes Mal wieder darüber rätselnd das Kinn.

Den Glauben an die Weltsprache der Abstraktion, an eine Verständigung der Menschen mithilfe der Kunst behielt Richter bis zum Schluss. Nachdem er jahrelang nicht mehr gemalt hatte, holte er nach seiner Emigration in die USA die Farben wieder heraus.

Wie zu Beginn in Berlin malte er Rollenbilder von bis zu fünf Metern Länge, kombiniert mit Zeitungsartikeln, auf denen die Invasion in der Normandie, der „Sieg im Osten“ in abstrakter Form dargestellt sind. Aus den kantigen harten Formen in Grau, Schwarz und Weiß werden zum Ende hin amorphe, bunte Strukturen. Das mag in gewisser Hinsicht naiv erscheinen und trug doch ein Künstlerleben lang.

Martin-Gropius-Bau, bis 30. Juni, Mi–Mo 10–19 Uhr. Katalog im Prestel Verlag, Museumsausgabe 29 €, im Buchhandel 49,95 €.

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