
© Bandenfilm/Johannes Praus
Der Kinodokumentarfilm „Im Prinzip Familie“: Seelen kitten in Brandenburg
Daniel Abmas bewegender Dokumentarfilm erzählt vom schwierigen, aber warmherzigen Miteinander in einer Jugendhilfe-WG.
Stand:
Im Haus am See kommt sogar ein junger Fuchs vorbei, um gute Nacht zu sagen. Doch die friedliche Abendstimmung auf der mit Lichterketten geschmückten Terrasse täuscht. So konfliktfrei ist die Brandenburger Idylle gar nicht.
Stunden zuvor gab es richtig Ärger, nachdem Herr Gerecke, der Erzieher, die fünf Jungs, die hier in einer Wohngruppe der Jugendhilfe leben, von der Schule abgeholt hat. Im Kleinbus hat einer von ihnen, Kelvin, noch Scherzfragen gestellt, es wurde viel gelacht. Zu Hause, im Haus am See, bricht dann Streit aus. Die Kamera von Johannes Praus richtet sich diskret auf das Treppenhaus. Von oben, aus dem Off, tönt Kelvins aggressives Toben und Schreien.

© Bandenfilm/Jonas Ludwig Walter
Schnitt. Herr Gerecke sitzt an seinem Dienstbericht und protokolliert: „Streit über Tauschkarten. Situation eskaliert. Kinder erst um 20.30 Uhr im Bett. Jugendhilfe hat Gespräch für Hilfeplan Niklas bestätigt. Teilnahme Kindsmutter unklar. Rufnummer nicht mehr aktiv.“
Wenige Szenen des Dokumentarfilms „Im Prinzip Familie“ genügen, um die Bandbreite von Gefühlslagen und Problemen zu umreißen, mit denen es die fünf Kinder, zwei Erzieher und eine Erzieherin zu tun haben, die in dieser WG zusammenleben.
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Der in Berlin lebende, niederländische Filmemacher Daniel Abma hat in Babelsberg Regie studiert, sich auf Sozialstudien spezialisiert und Land und Leute schon in früheren Filmen porträtiert.
„Im Prinzip Familie“, der auf dem letzten Dokfilm Festival in Leipzig viel Aufmerksamkeit fand und seither zahlreiche Auszeichnungen erntete, ist kein kühles Porträt des komplexen Apparates der Kinder- und Jugendhilfe. Abma hat aus seiner mehr als ein Jahr währenden Langzeitbeobachtung einen leisen Empowerment-Film gemacht, der seinen Protagonisten nahe kommt, aber zugleich diskret von ihrem Alltag und den Befindlichkeiten erzählt.

© Bandenfilm/Jonas Ludwig Walter
Im Mittelpunkt stehen Kelvin und Niklas. Letzterer lebt bereits seit fünf Jahren in der WG. Ihren größten Wunsch teilen alle Kinder hier: Beide möchten so schnell wie möglich wieder nach Hause.
Der Job von Herrn und Frau Wagner und Herrn Gerecke ist es, gemeinsam mit Jugendamt, Psychologinnen, Sozialarbeitern dafür die Voraussetzungen zu schaffen. Sprich: Mütter und Väter, die ihrer Fürsorgepflicht bisher nur unzureichend nachgekommen sind oder sie gar komplett vernachlässigt haben, auf mehr Zuverlässigkeit und Verantwortungsgefühl einzuschwören. Und den Kindern während ihres Aufenthalts ein funktionierendes, quasi familiäres Zusammenleben zu organisieren und jedem einzelnen der Jungs Sicherheit und Orientierungshilfe zu geben. Samt reichlich Kuscheln und Reden.

© Bandenfilm/Johannes Praus
Kelvin, der als Sohn einer Frau aus Kamerun „auf dem Mittelmeer“ geboren wurde, wie Herr Wagner erzählt, hat es besonders schwer. In der Schule erfährt er Rassismus. Seine Mutter, die, wenn er sie abends anruft, überfordert und abgelenkt wirkt, hat zwei kleinere Kinder. Kelvin spricht Deutsch, sie Französisch, die Sprachbarriere schafft zusätzliche Entfremdung. „Kelvin ist ein verlorenes Kind, das nicht weiß, wo es hingehört“, stellt eine Psychologin fest. Seine heftigen Ausraster in der Schule bescheren ihm sogar einen Klinikaufenthalt.
Die wichtige Arbeit von Erziehern
Niklas’ Mutter, die im Film nur von hinten oder mit Sonnenbrille zu sehen ist, möchte den Sohn weder zu sich holen, noch ihn dem Stiefvater überlassen, der sich im Gegensatz zu ihr kümmert. An den erschöpften Gesichtern der Erzieher und Erzieherinnen bei Gesprächen mit den teils nur telefonisch zu erreichenden Eltern lässt sich ablesen, dass ihr Alltag regelmäßig einem Kampf gegen Windmühlenflügel gleicht.
In kurzen Interviews erzählen diese stillen Helden der Pädogogik auch ein wenig von sich. Dass Herr Gerecke mal Bundeswehr-Scharfschütze im Afghanistan-Einsatz war, sieht man dem jungenhaften Hoodie-Träger wahrlich nicht an. Trotzdem bleibt die Beobachtung das tragende stilistische Mittel.
Geerdet werden die oft bewegenden Szenen von kontemplativen Naturimpressionen (Johannes Praus ist mit „Im Prinzip Familie“ für den deutschen Kamerapreis nominiert). Sie sprechen davon, dass das Seelen kitten in einer schönen, von städtischen Ablenkungen freien Umgebung gleich ein bisschen besser funktioniert.
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