
© Port au Prince Pictures/Noaz Deshe
Leben im Limbo: Der Mikrokosmos Flüchtlingslager im Kinodrama „Xoftex“
Noaz Deshe erzählt in „Xoftex“ vom Mikrokosmos Flüchtlingslager. In dokumentarische Alltagsszenen mischen sich Elemente aus dem Horror- und Fantastikfilm.
Stand:
Xoftex, das ist eine Verballhornung von Softex. Die marode, aufgelassene Fabrik des gleichnamigen Toilettenpapierherstellers in der Nähe von Thessaloniki ist 2016 unrühmlich bekannt geworden. Als Standort eines Flüchtlingslagers, in dem – ähnlich wie im Camp Moria – inhumane Zustände herrschten.
Der Berliner Regisseur, Kameramann und Musiker Noaz Deshe hat sich in dieser Hochzeit der Migration über das Mittelmeer als Helfer bei Seenotrettungsaktionen und bei der Belieferung von Camps mit Lebensmitteln und Kleidung beteiligt. Er besucht auch Softex und lernt im Zelt des Roten Kreuzes Menschen kennen, die im Lager leben.
Es dauert nicht lange, bis er selber Theater- und später auch Film-Workshops im Lager gibt. Dabei lernt er auch den jungen Syrer Ali Abbas kennen, der davon träumt, mit seinen Freunden einen Zombiefilm im Camp zu drehen.
Deshe dokumentiert seine Erlebnisse mit der Kamera und lässt sich zu dem Spielfilm „Xoftex“ inspirieren, in dem die meisten Rollen von Asylsuchenden gespielt werden. Aus dem Filmmaterial, das er sammelt, wird ein Dokumentarfilm über das Schicksal des Asylbewerbers Ali Abbas, der heute in Schweden lebt. Diese reale Person dient auch als Inspiration für die fiktive Figur von Nasser (Abdulrahman Diab). Der Teenager ist ein palästinensischer Syrer, der sich mit seinem älteren Bruder Yassin (Osama Hafiry) einen Container im Lager teilt.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
„2017 betrug die Wartezeit auf einen Asylbescheid in Griechenland 12 bis 18 Monate“. Diesen Satz stellt Noaz Deshe seiner Erkundung des Mikrokosmos Flüchtlingslager voran. Dieser Wartestand, das Leben im Limbo zwischen zwei Ländern, zwischen dem zurückgelassenen Leben in Syrien und der ersehnten Zukunft in Schweden oder Frankreich ist das Drama von Nasser, Yassin und ihren Freunden.
Elemente aus Horror und Fantasy
„Xoftex“ kombiniert Elemente eines Sozialdramas mit horrorhaften, fantastischen Szenen, in denen Nassers Subjektive, sein Kopfkino, die Bilder und Töne seiner Flucht über das Mittelmeer zum beherrschenden Stilelement werden. Je mehr die Zeit im Lager fortschreitet, je depressiver Nasser auf den ausweglos scheinenden Zustand reagiert, desto stärker werden seine Alpträume und Halluzinationen.

© Port au Prince Pictures/Noaz Deshe
Die aufgelassene Fabrik, die endlosen Containerstraßen, die sich direkt hinter einem Güterbahnhofsgelände aneinanderreihen: Xoftex ist alles andere als ein einladender Ort, aber keineswegs ein chaotischer. Die Hierarchien unter den Bewohnern und Bewohnerinnen sind klar.
Es gibt Außenseiter wie die Drogendealer und Schleuser, die von außen in das Lager eindringen, um ihre Geschäfte zu machen. Und es gibt den Vorbeter der syrischen Community, der als graue Eminenz fungiert, der Lagerleitung diplomatisch gegenübertritt und auf den Versammlungen zu hören bekommt, dass man seine Probleme – etwa mit aggressiven Kerlen – lieber untereinander löst.

© Port au Prince Pictures/Noaz Deshe
Nasser, Yassin und ihre Kumpels drehen Handyvideos, um die Agonie der leeren Tage zu durchbrechen. Darunter auch imaginäre Nachrichtenclips mit Comedyanstrich, in denen sich einer sogar als Rakete kostümiert. Auch einen Zombie-Film hat Nasser in Vorbereitung, denn wie die Zombies fühlen sie sich. Traumatisiert vom Krieg und der Gefahr auf dem Mittelmeer, gezeichnet von Verlusten und demoralisiert vom Wartestand.
Weil es nichts zu tun gibt, reden sie: Darüber, dass sie nach Frankreich oder Schweden wollen, aber keineswegs nach Polen oder Bulgarien. Darüber, wie man sich im Interview der Asylbehörde am besten verkauft. Immer wieder schießen Gerüchte ins Kraut, an die auch Nasser trotz seines Faibles für Physikvideos glaubt. Etwa, dass die Griechen das Trinkwasser vergifteten, um die Geflüchteten loszuwerden. Agonie schürt Aggression und Paranoia.

© Port au Prince Pictures/Noaz Deshe
Als Trost dient Nasser immer wieder das Besuchen des mit Teppichen ausgelegten Moscheezelts, in dessen Mitte ein tapferes Bäumchen sprießt und jene Verwurzelung verheißt, die den Heimatlosen fehlt.
Dass Noaz Deshe trotz seiner Aktivisten-Vergangenheit in „Xoftex“ darauf verzichtet, die Moralkeule zu schwingen, ist das Plus seines Dramas. Dessen irreale Fantasy-Anteile verleihen ihm zusammen mit dem dräuenden Sound und dem Mut zu viel dystopischer Dunkelheit zunächst einen interessanten, experimentellen Touch.
Den unterstützt auch die Kamera, die zuerst dokumentarisch nah an den Protagonisten klebt, um dann durch die Containerdorf-Gänge zu gleiten. Mit zunehmender Verrätselung gibt der Regisseur jedoch die Logik seiner Geschichte preis. So als sollte die Inszenierung im letzten Filmdrittel noch mal belegen, was man da schon weiß: Ganz offensichtlich sind Bewusstseinszersplitterung und Wahnsinn der Preis eines Lebens im Limbo.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: