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Der scheidende Direktor des Filmmuseums Rainer Rother in den neuen Räumlichkeiten im ehemaligen E-Werk.

© Erik Weiss

Deutsche Kinemathek: Rainer Rother geht in den Ruhestand

Über 30 Jahre pflegte er als Leiter des Zeughauskinos und Direktor der Kinemathek die deutsche Filmgeschichte in Berlin. Zuletzt wurde Rainer Rother mit der Berlinale Kamera geehrt.

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Das Vermächtnis wiegt über vier Kilogramm und umfasst gut 600 Seiten. Die Geschichte des deutschen Films ist schon formatbedingt nicht Coffee-Table-tauglich, das Wort „Ziegel“ noch eine schmeichelhafte Beschreibung. Für Rainer Rother bedeutet das enzyklopädische Werk „Der deutsche Film“ aber nicht nur die Bilanz seiner Arbeit und die der Deutschen Kinemathek, die er fast 20 Jahre leitete. Es war ihm auch eine Herzensangelegenheit. Weil es für sein Credo als Verantwortlicher eines Museums steht, das über eine Vielzahl von Sammlungen und Kolleginnen und Kollegen verfügt. Er betrachtet das Buch als Gemeinschaftswerk.

Rother hat sich immer als Teamplayer verstanden, schon in seiner Zeit beim Zeughauskino im Deutschen Historischen Museum, dessen Leitung er 1992 – zu seiner eigenen Überraschung – übernahm. Er hatte mit Christoph Stölzl, dem ersten DHM-Direktor, bloß über das Kino gefachsimpelt, als ihm einfiel, dass sich früher im alten Zeughaus, noch vor DDR-Zeiten, ja mal ein Kinosaal befunden hatte. Die Idee für das Zeughauskino war geboren. Damit hat Rother über 30 Jahre, in Berlin und darüber hinaus, die Geschichte des deutschen Films begleitet und geprägt, durch Filmreihen, Berlinale-Retrospektiven und Ausstellungen, Publikationen und seinen unermüdlichen Einsatz für das Filmerbe.

Die Multimedia-Installation „Der deutsche Film“ in der Völklinger Hütte war die letzte große Ausstellung von Rainer Rother an der Kinemathek.

© Hans-Georg Merkel/Weltkulturerbe Völkllinger Hütte

Ende April zieht sich Rainer Rother in den Ruhestand zurück – nicht vom Kino zwar, aber von 19 bewegenden Jahren als Künstlerischer Direktor der Kinemathek und des Museums für Film und Fernsehen. Auf seine Nachfolgerin Heleen Gerritsen warten zehn spannende und herausfordernde Jahre am neuen Interimsstandort im ehemaligen Technoclub E-Werk. Rother zeigt sich weiterhin optimistisch, dass künftige Bundesregierungen an den Plänen für ein neues Filmhaus auf dem Parkplatz vor dem Gropius Bau festhalten werden. Das Filmhaus wird sein anderes großes Vermächtnis sein, an dem er die letzten zehn Jahre gearbeitet hat.

Martin Scorsese und Loriot im Museum

Mit Rother geht in Deutschland auch der letzte Leiter eines Filmmuseums in den Ruhestand, der die Umbrüche in der Filmgeschichtsforschung, der Professionalisierung der Museumsarbeit und nicht zuletzt die Digitalisierung des Filmerbes aktiv begleitet und gefördert hat. Stetige Überarbeitungen öffneten die Sonderausstellung mit ihrem starken (und männlich dominierten) Weimar-Kanon durch die Einbeziehung des Exilkinos, des Jungen Deutschen Films und nicht zuletzt des Fernsehens für ein breiteres Verständnis deutscher Mediengeschichte.

So gehörten zu den erfolgreichsten Ausstellungen seiner Ära einerseits die von der Kinemathek 2012 kuratierte Werkschau von Martin Scorsese, aber auch die große Loriot-Show 2008. In der Rezeption der Filmgeschichte gibt es für Rother, der unter anderem eine lesenswerte Abhandlung über Leni Riefenstahl geschrieben hat, auch keine Trennung von Kunst und Politik.

Es geht darum, Filme als Erzählen über Geschichte, aber auch als Zeugnis aus der Geschichte zu verstehen.

Rainer Rother

Rothers Ausstellungen „Einigkeit und Recht und Freiheit. Wege der Deutschen 1949–1999“ im Gropius Bau (damals noch für das DHM) und die multimediale Installation „Der Deutsche Film – 1895 bis heute“, die die Kinemathek bis vergangenen Oktober in der Weltkulturerbestätte Völklinger Hütte präsentierte, unterstreichen, wie sehr sich die Anforderungen an die Vermittlung von Filmgeschichte in den vergangenen Jahren gewandelt haben. „Es geht darum, Filme als Erzählen über Geschichte, aber auch als Zeugnis aus der Geschichte zu verstehen“, sagt er über sein Verständnis des Kinos. Dazu gehören auch die technischen Veränderungen in der Filmproduktion.

Unter Rother wurden Home Videos, Familienfilme und Amateuraufnahmen (oft auf Super8-Material gedreht), in die Sammlung der Kinemathek – und damit in den Kanon des deutschen Kinos – aufgenommen. Es war die Vorwegnahme der Idee, dass die Bildproduktion und der Bilderdiskurs dank immer besserer Handykameras und sozialer Medien über kurz oder lang die traditionellen Hierarchien der Medien aufheben würde.

Das gilt auch für die Rezeption des Kinos. Eines von Rothers Lieblingsobjekten in der Sammlung der Kinemathek sind die handgeschriebenen Filmtagebücher einer Berliner Kinogängerin, die ab den 1940er Jahren zu jedem Film, den sie im Kino sah, ihre Gedanken aufgeschrieben hatte. Amateur-Filmkritiken gewissermaßen, nicht unähnlich späteren Filmblogs im Netz.

Die letzte Würdigung für Rothers langjähriges Engagement war im Februar die Auszeichnung mit der Berlinale Kamera, womit sich auch ein biografischer Kreis geschlossen hatte. Seit Anfang der 1980er Jahre pilgerte der Germanistikstudent Rother aus Hannover jedes Jahr nach Berlin, bis er für das Kino verloren war. Dass diese Verbundenheit mit dem Festival auf Gegenseitigkeit beruht, macht den Abschied etwas leichter. Die Kamera bekommt einen besonderen Platz in der heimischen Filmbibliothek.

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