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Kultur: Deutsche Literatur auf dem Weltmarkt: Abschreckung oder Gütesiegel - Eine Berliner Debatte

Deutsche Literatur galt lange Zeit als Trauerspiel. Zu abstrakt, zu ideologisch, zu provinziell, so klagte man allenthalben.

Deutsche Literatur galt lange Zeit als Trauerspiel. Zu abstrakt, zu ideologisch, zu provinziell, so klagte man allenthalben. Weltliteratur, das waren die anderen. Nun soll alles anders sein. Gerüchte über astronomische Vorschüsse für unbekannte Debütanten machen die Runde, Schriftsteller dürfen sich neuerdings wie Stars fühlen. Der Betrieb schwelgt in neuer Euphorie: Die Deutschen wollen wieder erzählen! Wie anders sah das noch vor Jahren aus. Wenn Arnulf Conradi etwa in New York Lizenzen amerikanischer Titel einkaufte, musste er immer wieder "eine demütigende Erfahrung" machen: Keiner fragte ihn nach seinen Autoren. Heute freut sich der Chef des Berlin Verlages öfter mal über die Frage: "Hast du was für uns?" Das gestiegene Interesse im Ausland, von dem Conradi am Mittwoch im Literaturhaus Berlin bei einem Treffen der Literaturvermittler berichtete, beflügelt die Phantasie der Kultur-Exporteure: Taugt deutsche Literatur wieder auf dem Weltmarkt?

Auch der von der literaturWERKstatt Pankow initiierte Literaturexpress in dessen Windschatten die Expertenrunde tagte hat neben 100 Autoren vor allem das wohl meinende Anliegen einer internationalen Vernetzung der Literaturen an Bord. Doch während der Sonderzug unbeirrt nach Pankow roll blieben die Experten im Literaturhaus skeptisch. So enttäuschte der britische Übersetzer Martin Chalmers die Erwartungen. In England erreiche man mit dem Label "deutsche Literatur" vor allem eines: Abschreckung. Vor Bernhard Schlinks "Vorleser" und Patrick Süskinds "Parfüm" hieß der letzte wirkliche Erfolg "Die Blechtrommel". Auch die italienische Literaturwissenschaftlerin Maria Gazzetti, Leiterin des Literaturhauses in Frankfurt am Main, blieb zurückhaltend. Zwar kenne der italienische Leser inzwischen Enzensberger, Herta Müller und F.C. Delius. "Aber davon, dass Deutschland sich auf seine eigene Literatur besinnt, hat Italien noch nicht viel gemerkt." Dies liege auch an der Krise des italienischen Feuilletons, das in Folge der Medienpolitik der Berlusconis kaum mehr Gewicht habe. Immerhin würden die italienischen Verleger mittlerweile Lizenzen einkaufen, doch ob die soeben eingekauften Kiepenheuer-Romane von Jens Sparschuh oder Elke Naters in Italien je in großer Auflage die Buchhandlungen erreichen, sei zweifelhaft.

Auch der polnische Literaturredakteur Andrzej Kopacki dämpfte die Euphorie: Die neue deutsche Welle lustvollen Erzählens habe Polen noch nicht erreicht. Hier ist man noch mit der Entdeckung von Klassikern beschäftigt. Eine Kleist-, Büchner- oder Hebbel-Rezeption stecke noch in den Kinderschuhen. Man lese erst mal das, was im Sozialismus nicht gedruckt werden durfte: Prosa von Ernst Jünger oder Lyrik von Gottfried Benn. Aber auch Max Webers politische Essays oder Bertolt Brechts "Buckower Elegien" waren dort nur in Untergrund-Drucken erschienen. In den vergangenen Jahren war man mehr mit den Übersetzungen von Klassikern beschäftigt, doch seien die meisten Übersetzungen, selbst des "Faust", mangelhaft.

Der französische Übersetzer Olivier Mannoni ist für seine Heimat optimistischer: Zwar mangele es auch in Frankreich an echten Erfolgen deutschsprachiger Literatur, doch eine nachgewachsene Generation in den Verlagen verfüge erstmals über profunde Kenntnisse der deutschen Sprache und zeige ernsthaftes Interesse. Außer Schlink, dem Export-Produkt Nummer eins, kenne man in Frankreich aber vor allem Grass, Handke oder Bernhard, wenn auch die Essayistik Peter Sloterdijks auf neues Interesse stoße.

In den USA findet der Grass-Lektor Helmut Frielinghaus, seit einem Jahrzehnt in New York zuhause, ein großes Interesse für Literatur, die sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. Zudem entdeckten gerade die Kinder der Emigranten die deutsche Literatur der ersten dreißig Jahre des 20. Jahrhunderts neu. Deutsche Gegenwartsliteratur habe es schwerer: So seien Marcel Beyers "Flughunde" eher untergegangen, wenn auch einiges Interesse an den Büchern von Christoph Peters und Ingo Schulze bestehe. Der spektakuläre Erfolges von Bernhard Schlink sei aber noch keine Trendwende.

Den Vermittlern fehlte im Literaturhaus es nicht am guten Willen: Die Goethe-Institute müssten sich noch mehr um Literatur kümmern, wünschte sich Maria Gazetti, und Frielinghaus schlug gar vor, "einmal die neue deutsche Literatur zum Frankfurter Messe-Schwerpunkt zu machen". Die Berichte aus den verschiedenen Ländern weckten insgesamt eher Zweifel am vermeintlichen Boom der deutschen Texte. Ob Leser und Produzenten wirklich ein wachsendes Interesse an deutscher Literatur und deutschen Themen umtreibt, blieb zweifelhaft. Vielleicht globalisiert sich lediglich die Suche nach Bestsellern ungeachtet ihrer Herkunft. Der Name Patrick Süskinds fiel im Literaturhaus denn auch am häufigsten.

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