
© Manfred Thomas Tsp/MANFRED THOMAS TSP
Die Berlinale ist anstrengend und kalt: Warum ich das Festival trotzdem liebe – und mir eine Woche Urlaub nehme
Andere fliegen ins Warme. Ich verbringe zehn kalte Februartage auf der Berlinale. Eine Rechtfertigung.
Stand:
Es spricht eine Menge dagegen, Teile meines kostbaren Jahresurlaubs für ein Filmfestival in Berlin zu verbrauchen. Zum Beispiel der kalte und graue Winter, dem ich zwar im Kinosaal entkomme, nicht aber auf dem Weg dorthin. Oder das inhaltlich oft trübselige Filmprogramm mit Krieg, Hoffnungslosigkeit und zwischenmenschlicher Ödnis als wiederkehrenden Merkmalen.
Es ist auch anstrengend, täglich drei oder vier Filme zu schauen – körperlich, geistig und emotional. Vor zwei Jahren habe ich deswegen am letzten Sonntagmorgen abgebrochen. Es ging einfach nicht mehr.
Trotzdem freue ich mich jedes Jahr auf die Berlinale und genieße es, meinen Urlaub dort zu verbringen. Warum? Ich liebe das Kino. Bei mir zu Hause mag ein obszön großer Fernseher stehen. Er ist aber kein Ersatz für die Leinwand und erst recht nicht für die Berlinale. Sie bildet die hiesige Kinolandschaft in ihrer liebenswürdigen Vielfalt ab, vom schnuckeligen City-Kino Wedding bis zum opulenten Zoopalast.
Ich liebe Filme in unterschiedlicher Form. Zwar könnte die Berlinale in dieser Hinsicht gerne noch grenzenloser werden – ich fordere mehr Horrorfilme im Programm! Aber nirgendwo sonst bekomme ich so viele Stile in so kurzer Zeit und so dicht vor meiner Haustür präsentiert.
Das Filmfestival in Cannes ist deutlich weiter weg und richtet sich vor allem an Kritiker, Filmschaffende und reiche Menschen, die auf Partys gesehen werden wollen, während die Berlinale zuallererst ein Publikumsfestival ist.
Auf Weltreise mit der Berlinale
Nun mag jemand einwerfen, dass es kein echter Urlaub ist, ins Kino zu gehen. Dieses Vorurteil stimmt nicht. Die Berlinale ist eine – umweltschonende – Weltreise auf alle Kontinente, in unterschiedliche Milieus und Kulturen.
Ich bin ein Entdecker, weil die meisten Filme noch nicht mal einen Trailer haben und ich daher vorher kaum etwas über sie weiß. Genau darum geht es: Ich lasse mich darauf ein, anstatt eine konkrete Erwartung zu haben.
Manchmal lerne ich auf der Berlinale die Menschen hinter den Filmen kennen. Sie sind bei vielen Vorführungen anwesend. Einmal bin ich im Anschluss an einen Film den zwei jungen Regisseuren über den Weg gelaufen. „Toller Film, Jungs“, habe ich ihnen im Vorbeigehen zugerufen. Da ging für einen kleinen Moment die Sonne in ihren Gesichtern auf und strahlte gegen den trüben Berliner Februar an.
Im Urlaub habe ich Zeit. Das ist ein gewichtiger Vorteil beim Kauf der begehrten Tickets. Wer nur ein oder zwei Tage auf der Berlinale unterwegs ist, wird viel verpassen. Ich hingegen habe mehrfach die Chance, einen Film zu sehen. Hat es am Samstag nicht geklappt, dann vielleicht ein paar Tage später.
Übrigens freue ich mich auch, das Festival privat und nicht (mehr) beruflich zu begleiten. Mein herzliches Beileid allen Kritikern, die im Festivalstress Texte schreiben müssen, wenn sie doch einfach nur endlich wieder schlafen oder etwas anderes als Fastfood essen wollen. Ich hingegen habe keine Abgabefristen. Niemand erwartet etwas von mir. Wann haben Sie sich im Urlaub zuletzt so frei gefühlt?
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