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Kufiya mit klassischem Design.

© Comugnero Silvana - stock.adobe

Die „Pali-Tuch“-Mode : Performatives Accessoire der Selbstüberhöhung 

In der Jugend unserer Schlamasseltov-Kolumnistin war die Kufiya für weiße Deutsche ein Zeichen für ihre linke Einstellung. Eine ähnliche Polit-Mode beobachtet sie jetzt erneut in Berlin.

Debora Antmann
Eine Kolumne von Debora Antmann

Stand:

Es ist 2002 und mein erstes Jahr in der Oberschule. Ich gehe auf das Dathe-Gymnasium in Friedrichshain. Die meisten meiner Mitschüler*innen wohnen in Friedrichshain und sind dort auch aufgewachsen. Zu mir nach Kreuzberg kommen meine Freund*innen zur einmal im Jahr zum Geburtstag oder so.

Als ich nach Neukölln ziehe, kommen sie gar nicht mehr. Die Eltern finden Neukölln für ihre Kinder zu gefährlich. Unser engerer Freund*innenkreis besteht aus etwa zehn bis zwölf Leuten von zwei Schulen: dem Dathe-Gymnasium und dem Herder-Gymnasium in Lichtenberg.

Wir sehen uns im Grunde täglich, hängen sommers wie winters im Volkspark Friedrichshain rum. Mit Ausnahme meiner besten Freundin und mir besteht der Freundeskreis ausschließlich aus deutschen, weißen, christlich sozialisierten Kindern. Mit der Zeit wird unser Style linker. Konkret heißt das damals für uns: Chucks, Armstulpen, modische Nietengürtel und wer richtig cool war: „Pali-Tuch“.

Wir sahen verkleidet aus

„Linkssein“ war in erster Linie eine modische Entscheidung. Im Kontrast zu den wirklich linken Leuten, mit denen wir damals im Park unsere Zeit verbrachten, sahen wir wie verkleidet aus. Ich glaube niemand von uns hat verstanden, wofür das „Pali“ in „Pali-Tuch“ stand. Für uns war es ein Modeaccessoire.

Die meisten hatten das Basic-Tuch in Schwarz-Weiß, einige hatten ein rot-weißes, meine beste Freundin das coolste in Schwarz-Grün und ich hatte gar keins. Nicht, weil ich keins wollte, sondern weil ich kein Geld hatte, um mir eins zu kaufen.

Wenn ich heute durch Berlin rolle, fühle ich mich in diese Zeiten zurückversetzt. Überall junge weiße Deutsche mit den gemusterten Tüchern. Nur eben 20 Jahre später: Man benutzt den korrekten Begriff „Kufiya“ und nicht mehr „Pali-Tuch“.

Man trägt es konkret als Zeichen der Solidarität mit Palästina (immerhin). Die Alterskohorte ist größer. Aber es bleibt der Eindruck, dass es bei vielen weißen Deutschen vor allem ein performatives Accessoire der Selbstüberhöhung bleibt. Sprich: Man ist halt cooler mit.

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