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Ein Star in der Sinnkrise: George Clooney spielt sich in Noah Baumbachs „Jay Kelly“ selber
Muss ein Hollywood-Star Egomane sein? Jay Kelly ist einer, wie sich in Baumbachs Tragikomödie mit Retrocharme zeigt. Nur gut, dass Adam Sandler als Manager Ron an seiner Seite steht.
Stand:
Was sind das für Zeiten, in denen es einen Streamer wie Netflix braucht, um eine Huldigung der Filmbranche wie „Jay Kelly“ auf die Kinoleinwand zu bringen, bevor sie sich im Flimmern der Heimkinobildschirme versendet?
Es sind genau die Zeiten, in denen Regisseur Noah Baumbach die überlebensgroße Aura des Startums aus den Glanzzeiten Hollywoods beschwört, während Schauspieler und Schauspielerinnen weltweit davor schlottern, durch KI ersetzt zu werden.
Vor diesem Hintergrund nimmt sich Baumbachs, in Venedig uraufgeführte, altmodische Mischung aus Screwball-Comedy, Melodram, Buddy- und Roadmovie schon fast trotzig aus. Als kurzweilig anzuschauendes Bekenntnis eines inzwischen 56 Jahre alten, gestandenen Autorenfilmers zu einem Kino, das von Menschen und deren Lebensgeschichten lebt und nicht von Markenbranding und Special Effects. So wie Baumbach das auch in „Marriage Story“ und „The Meyerowitz Stories“ gezeigt hat.
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Nur, dass sein Held diesmal ein Promi ist, der einen Promi spielt: George Clooney. In 40 Jahren im Filmgeschäft hat sich Clooney vom Notaufnahme-Filou in der Arztserie „Emergency Room“ zum Oscar-Preisträger, Regisseur, Produzenten und dank seines humanitären und politischen Engagements zum guten Gewissen Amerikas gemausert.

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Als Jay Kelly steht er mitten in einer Sinnkrise – die durch den Tod seines Mentors und den Auszug seiner jüngeren Tochter Daisy ausgelöst wird – vor einem Spiegel und referiert die Namen berühmter Kollegen: „Gary Cooper, Cary Grant, Robert de Niro.“ Am Ende, als er zögerlich seinen eigenen hinzufügt, denkt man automatisch: „George Clooney“. Auch als zusehends verwitternder Leading Man über 60 gleicht Clooney, wenn er in der Rolle des Jay Kelly im weißen Leinenanzug mit Hollywood-Lächeln in der Toskana steht, immer noch einem A-Liga-Hingucker.
Als Buddy in allen Lebenslagen hat Schauspieler-Regisseur Baumbach Jay Kelly den treuen Manager Ron Sukenick an die Seite gestellt. Adam Sandler spielt ihn als stressresistenten Familienmenschen, der neben einer jungen Frau und noch jüngeren Kindern seinen alternden Hauptklienten rund um die Uhr Jay zu betreuen hat – dem er zusammen mit PR-Agentin Liz (Laura Dern) seit Jahrzehnten jeden Wunsch von den Augen abliest.

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Der ganze Rummel des Hollywood-Zirkus feiert zu Beginn der Tragikomödie fröhliche Urstände. Am Filmset, wo eine wunderschöne Plansequenz (Kamera: Linus Sandgren) das Studiogewusel rund um Jay Kelly einfängt, der als letzte Klappe seines aktuellen Drehs eine superkitschige Sterbeszene mit Hund spielt. Und in seiner Villa, wo er die vielköpfige Entourage damit verblüfft, plötzlich der Tochter nach Frankreich und Italien hinterher reisen zu wollen.
Sterbeszene mit Hund
Die Lebenswerk-Ehrung, die er dort außerdem erhalten soll, wollte er kurz zuvor gar nicht haben. Jetzt aber doch, was der unermüdliche Ron, an dessen anderem Ohr ständig die nörgelnde Familie hängt, sofort wieder für den Boss klarmachen muss.
In Rückblenden und fiktiven Dialogen realisiert der an sich zweifelnde Star mehr und mehr, wie groß der Preis ist, den er dafür zahlen muss, sich nach Egomanenmanier auf die Karriere konzentriert zu haben. Er hat die Töchter vernachlässigt, Ideenklau bei einem Schauspielkollegen betrieben, den alten Mentor (Jim Broadbent) enttäuscht.

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Der Preis des Ruhms
Szenen, die Noah Baumbach allesamt in gebauten Sets spielen lässt, was den eleganten Retrocharme der auf 35-Millimeter-Filmmaterial gedrehten Geschichte verstärkt. Auf der Zugfahrt von Paris in die Toskana wähnt man sich dann endgültig in einem Wes-Anderson-Set, so pastellfarben und heimelig sieht die Szenerie aus.
Unversehens wird Jay Kelly, der nach einer Schlägerei mit einem Jugendfreund (Billy Crudup) eine Klage zu befürchten hat, zu einem echten Helden, weil er einen verrückten deutschen Handtaschenräuber (Lars Eidinger im gaga Radfahrerdress) stellt. Eine der kuriosen Wendungen im komplett klischierten Italien, in dem Baumbach vor lauter Spaß am europäischen Setting die Entwicklung der Sinnkrise seines Helden etwas schleifen lässt.

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Dafür nimmt die parallel erzählte Krise des treusorgenden Agenten Ron immer mehr Raum ein. Er hat die Launen seines Klienten bald so gründlich satt wie Kellys gesamtes Gefolge und die vom abwesenden Vater genervten Töchter.
Clooney und Sandler bilden ein rührendes Buddy-Gespann, wobei es Baumbach mit der sentimentalen Auskleidung dieser professionellen Freundschaft übertreibt. Außer in der Szene, in der Ron Jay für die Ehrung beim Festival in der Toskana schminkt. Die Kamera tastet in Close-ups dessen Gesicht ab, während Ron mit den Schminkutensilien fast zärtlich über die gealterten Züge seines Freundes fährt.
Dass auch Stars im echten Leben keine Chance auf die Wiederholung einer Szene haben, wie Jay Kelly sie auf der Suche nach Perfektion am Set stets fordert, bleibt ein Dilemma, auf das der Ruhm keine Antwort hat.
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