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Kultur: Friedens- und Sicherheitspolitik: Der Weltmarkt und der Weltterrorist

Der Terrorschock und die Wochen nach dem 11. September haben in grelles Licht gerückt, wie sich die internationalen Verhältnisse seit 1989 verändert haben.

Der Terrorschock und die Wochen nach dem 11. September haben in grelles Licht gerückt, wie sich die internationalen Verhältnisse seit 1989 verändert haben. Man leiste sich ein Gedankenexperiment und versuche die Anschläge in die Zeit der Blockkonfrontation zu verlegen: Entweder bricht man die Überlegung gleich ab und sagt sich, so etwas wäre unter den damaligen Bedingungen gar nicht möglich gewesen. Dazu hatten die beiden Blöcke das Weltgeschehen zu fest im Griff. Oder man führt das Gedankenexperiment zu Ende und hat den Punkt gefunden, an dem trotz rotem Telefon der Kalte Krieg wahrscheinlich in einen heißen umgeschlagen wäre. Es wäre einfach nicht denkbar gewesen, dass ein solch großangelegter Anschlag ohne Wissen der anderen Supermacht hätte vorbereitet und durchgeführt werden können. Zwangsläufig wäre sie ins Visier geraten. Der Kreis schließt sich: Weil ein solches Attentat unkontrollierbare Folgen für beide Blöcke hätte haben können, wäre alle Welt, einschließlich der Blockfreien, daran interessiert gewesen, es zu unterbinden. Die Blockkonfrontation hatte mit der wechselseitig gesicherten Vernichtung, der Abschreckung, zugleich eine Blockordnung gestiftet.

Toter Winkel Afghanistan

Die bipolare Weltordnung war hoch riskant und vielfach blutig. Der 17. Juni 1953, die Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956, die Besetzung der Tschechoslowakei 1968 und die Erklärung des Kriegszustandes in Polen 1981, aber auch die Kolonialkriege hatten es gezeigt. Wer sich von westeuropäischen Kolonialmächten befreien wollte, musste sich bald an die Sowjetunion anlehnen, wer sich gegen den sowjetischen Expansionismus wehrte, brauchte Hilfe aus dem Westen.

Westliche Dominotheorie und sowjetischer Antikapitalismus trugen beide zu korrupten und intransparenten Strukturen in der Dritten Welt bei. Obwohl es vor 1989 Dutzende von Kriegen gab, sprengte doch keiner die Blockordnung. Die Blockfreien konnten sich selbst nur über die Blöcke definieren. Mit denen zerfiel ihre Bewegung. Gerade zwischen und in den Staaten der früheren Blockfreienbewegung kam es nach 1989 zu aufgestauten, gewaltsamen Explosionen. In Afghanistan hatte nach der sowjetischen Invasion auch die westliche Seite mitgemischt. Über islamisch-fundamentalistische Kanäle strömten Geld und Waffen. In den 90er Jahren wurde Afghanistan zum toten Winkel der Weltpolitik, in dem sich die Taliban festsetzten. Die Blockordnung war stark. Sie prägte die Vorstellungen lange über ihr Ende hinaus. Der 11. September 2001 bezeichnet das Ende einer schon überholten Ordnungsvorstellung, nicht das Ende der vorgestellten Ordnung selbst. Die gibt es seit 1989 nicht mehr. Niemand weint ihr hinterher.

Dass für die Nato der Bündnisfall erst eintrat, als das Szenario für das sie gegründet worden war, schon von der Weltbühne abgesetzt war, ist mehr als Zufall. In diesem Szenario musste die Nato so stark sein, dass sie nicht herausgefordert werden konnte, ihre Rolle tatsächlich zu spielen. Den Angriff vom 11. September konnten Nato und USA nicht abschrecken, weil die Attentäter keine Furcht um ihr Land und ihre Mitbürger haben und sie mit ihrer Strategie einen massiven Vergeltungsschlag geradewegs provozieren wollten.

Die Friedensvorstellungen in der Bundesrepublik sind nicht nur bei den Grünen von der Blockordnung geprägt. Sie war dem Frieden vorausgesetzt. Obwohl sie gewiss keine Friedensordnung war, ging es doch immer um Frieden im Rahmen dieser Ordnung. Man konnte eine der beiden Supermächte oder auch beide heftig kritisieren und ablehnen und kam doch nicht drum herum, dass ihr Gleichgewicht die Grundbedingung des Friedens blieb. So konnten Friedensfreunde und Anhänger von Sowjetunion und DDR zusammen gegen die Nachrüstung kämpfen, indem die einen gegen den Rüstungswettlauf und die anderen gegen eine angebliche Vorrüstung demonstrierten. Der gemeinsame Boden war die Blockordnung, die Gegnerschaft zu diesem oder jenem Block blieb untergeordnet. Die polnische Streikbewegung beunruhigte viele Friedensfreunde nicht weniger als die Sowjetanhänger. Solidarnosc erschien beiden als klerikaler Störfaktor. Frieden in Europa war da, weil die Blockordnung funktionierte. Wer sie störte, gefährdete den Frieden. Mit der Blockordnung konnte die Friedens- so gut wie die Blockfreienbewegung leben. Seit 1989 / 91 hat die deutsche Friedenspolitik den Boden unter den Füßen verloren. Friedenspolitik muss zur Friedensordnungspolitik werden oder zur Phrase verkommen. Letzteres ist der Friedensbewegung im Kampf gegen den Golfkrieg passiert.

Um eine Friedensordnungspolitik bemüht sich die deutsche Außenpolitik seit Beginn der 90er Jahre zunehmend bewusst. Das wachsende Engagement auf dem Balkan ist dafür ein Gradmesser. Die öffentliche Meinung versucht der neuen Situation mit dem Stichwort "Globalisierung" beizukommen. Die Leerstelle, die der Zusammenbruch der Sowjetunion und der Zerfall der Blockordnung hinterlassen haben, sprach Präsident Bush Senior schon im Vorfeld des Golfkrieges an, als er die Befreiung Kuwaits von der irakischen Besatzung als Schritt zu einer "neuen Weltordnung" bezeichnete. Er hat damals viel Skepsis und, zumal auf der Linken, auch viel Spott geerntet. Aber genau um diese neue Weltordnung geht es immer noch.

Von Globalisierung oder gar der Epoche der Globalisierung wird erst in den 90er Jahren gesprochen. "Globalisierung" bezeichnet den weithin unbekannten Raum jenseits der Blockordnung. Meist wird Globalisierung einseitig ökonomisch verstanden. Doch ist Globalisierung Ausdruck einer doppelt neuen Realität:

Mit dem Scheitern des Sozialismus als einer dem Kapitalismus entgegengesetzten Produktionsweise in den Ostblock-Staaten kann zum ersten Mal von einer Weltwirtschaft gesprochen werden, auch wenn sie noch nicht alle Weltregionen in der gleichen Weise und Tiefe durchdrungen hat. Das wird wohl niemals der Fall sein. Die Entwicklungsmöglichkeiten aller Regionen und Gesellschaften liegen jedoch heute innerhalb dieser einen Weltwirtschaft. Werden sie nicht hier gefunden, gehen sie überhaupt verloren.

Mit dem Zerfall des Sowjetimperiums und der Auflösung der Sowjetunion existiert zum ersten Mal eine Welt souveräner Staaten, unter die der Globus bis in seinen letzten Winkel formell aufgeteilt ist. Die Uno ist damit real zu der Weltstaatenorganisation geworden, als die sie gegründet wurde. Vor dem Ende der Kolonialreiche und Imperien war ihr Name der Realität noch weit voraus.

Starker Markt, schwache Staaten

Die eine Welt, von der Globalisierung als neuer Situation spricht, ist in ihrer Doppelstruktur von Weltwirtschaft und Staatenwelt widersprüchlich angelegt. Die Weltwirtschaft nimmt in grenzüberschreitender Vernetzung Form an. Die Staatenwelt dagegen basiert auf dem Prinzip der territorialen Souveränität ihrer Mitglieder. Transnationale Vernetzung und territoriale Souveränität sind widersprüchliche, aber gleichermaßen gültige Ordnungsprinzipien der globalisierten Welt. Beiden gerecht zu werden, ist das Grundproblem einer neuen Weltordnung.

Die ökonomische Vernetzung trägt oft zum Zerfall schwacher Staaten bei, eine Regulierung der Weltwirtschaft verlangt aber stabile, rechtsstaatlich funktionierende, letztlich demokratisch legitimierte Staaten als verantwortliche politische Akteure. Globalisierung bedeutet Integration und Fragmentierung. Regionale Zusammenschlüsse wie die EU bieten für kleinere und mittlere Staaten die Möglichkeit, den Widerspruch von grenzüberschreitender Vernetzung und staatlicher Souveränität politisch zu gestalten und den Vorrang der Integration vor der Fragmentierung zu sichern. Die Erfolgsgeschichte der Europäischen Union ist aber bisher einmalig geblieben.

In der globalisierten Welt gibt es eine doppelte Bruchlinie: Teile der Welt werden vom Weltmarkt ferngehalten oder von ihm verdrängt, und wo die Staaten zu schwach sind, um ein Minimum an Integration zu gewährleisten, wird der gewaltsame Zugriff zur Grundform der Ökonomie.

Die Industrieländer schützen ihren Agrarmarkt und halten die Agrarprodukte der Dritten Welt fern. Die Diamanten aus dem Kongo und Zentralafrika haben dort keinen Markt, den finden sie erst in Amsterdam. Wo der Staat keine Grundversorgung sichert, muss der Kleinbauer direkten Zugang zum Weltmarkt finden, um leben zu können. Dazu eignen sich irreguläre Märkte, am besten also der Drogenhandel. Damit wird aber der Aufbau staatlicher Strukturen erschwert und das Bandenwesen treibhausmäßig gefördert. Die Spirale der Zerstörung dreht sich weiter.

Markt und Staatswesen müssen in einer neuen Weltordnung auf neue Weise verkoppelt werden. Weil dazu weder Uno noch WTO allein in der Lage sind, entstehen Institutionen wie die G 8, die dieser Notwendigkeit schlecht und recht von oben herab gerecht zu werden versuchen. Neuerdings werden sie zum Gipfel der Empörung.

Unabhängig von seinen Ursachen und Motiven kann sich jeder moderne Terrorismus im Widerspruch von Vernetzung und Staatlichkeit, an den Bruchlinien von Integration und Fragmentierung festsetzen und breit machen. Er wird territoriale Basen für die Ausbildung und den Rückzug brauchen und sie in Staaten finden, die ihr Territorium nicht wirksam kontrollieren können oder zur Verteidigung ihres Territoriums gegen innere oder äußere Gegner Unterstützung aus der Terroristenszene beanspruchen. Nach dieser Seite hin funktioniert der moderne Terrorismus als Staat im Staat. Zugleich muss er die Netzwerke der globalen Kommunikation und Information nutzen, um sich in der Welt zu bewegen und die Mittel des Terrors rund um die Welt verfügbar zu machen. Nach dieser Seite hin wirkt der moderne Terrorismus wie ein transnationales Unternehmen.

Der Terrorismus, der mit dem Namen Osama bin Ladens verbunden ist, kommt dem Idealtypus des modernen Terrorismus sehr nahe. In Afghanistan und vielleicht auch anderswo ist er territorial verankert, rund um die Welt bewegen sich seine Söldner wie Konzernangestellte. Ihre Dienste können von interessierten Staaten und Bürgerkriegsparteien geleast werden. Zur Fortbildung und moralischen Aufrüstung werden die Söldner-Angestellten in Schulungszentren zusammengezogen.

Die Besonderheit des Terrorismus, der mit dem Namen bin Ladens verknüpft ist, besteht in der ideologischen Motivation seiner Söldner und der über die Staaten hinweg regionalen und potentiell weltweiten Verbreitung seiner Anhängerschaft. Dieser islamistische Terrorismus hat in der Moderne sein globales Feindbild, das er mit Mitteln der Moderne bekämpft. Bin Laden lässt sich als islamischen Che Guevara feiern. Richtig ist, dass sein Terrorismus einer Fokus- und Einkreisungsstrategie folgt. Nichts könnte besser in diese Strategie passen als Gegenschläge, die den ideologischen Frontalangriff, der mit dem gezielten Terror gemeint ist, militärisch frontal zu beantworten suchen.

Neben der Strafverfolgung der Verantwortlichen kann der islamistische Terrorismus vor allem auf drei Feldern bekämpft werden: Er nutzt regionale Konflikte als ideologisches Trampolin für die eigenen Mordtaten. Man muss versuchen, für diese Konflikte Lösungen oder wenigstens Arrangements zu finden. Um die Bewegungsfähigkeit des Terrorismus zu behindern, muss man seine Geldströme unterbinden. Und nicht zuletzt muss versucht werden, seine territorialen Basen ausfindig zu machen und auszuheben. Dabei kommt der polizeiliche Kampf gegen den Terrorismus nicht ohne militärische Mittel aus. Da sich diese Basen auf fremdem Staatsgebiet befinden, erwächst aus der Strafverfolgung und polizeilichen Prävention hier die Gefahr eines Krieges. In einem Umfeld schwacher Staaten und schlecht legitimierter Regime können kriegerische Auseinandersetzungen ganze Regionen erfassen und chaotische Verhältnisse schaffen. Terroristische Organisationen können als extremer Flügel von Bürgerkriegsparteien Hegemonie erlangen und ein breites Rekrutierungsfeld finden. Zugleich kann regionales Chaos zum Sprungbrett für extremistische Mobilisierung in Emigrantenmilieus werden. All dies ist keine hässliche Zukunftsmusik. Hier Vorsicht walten zu lassen lehren Erfahrungen aus den vergangenen Jahren.

Das Ausmaß des massenmörderischen Terrorangriffs vom 11. September ließ sofort an Krieg denken und von Krieg sprechen. Statt die neue Gefahr in ihrer Eigenart zu erfassen, kann diese Sichtweise dazu verleiten, in der Rückkehr des Krieges in den Westen den Paradigmenwechsel zu sehen. Damit entsteht die Versuchung, den Kampf gegen den Terrorismus vor allem mit kriegerischen Mitteln führen zu wollen, und zugleich die Illusion, dieser Kampf könne mit einem definitiven Sieg und der bedingungslosen Kapitulation des Feindes enden. Doch nicht die Politik der amerikanischen Regierung, sondern ein Teil der deutschen Presse ging in diese rhetorische Falle.

Die Uno kommt endlich zu sich

Der britische Historiker Michael Howard hat einen Vergleich zum Kampf gegen das Piratentum gezogen, das sich parasitär und terroristisch im modernen Verkehrswesen eingenistet hatte und ebenfalls über territoriale Basen verfügte. Ein ähnlicher "Krieg" wie gegen die Piraterie habe nun unter Führung der USA gegen den Terrorismus begonnen. "Seine Waffen sind, in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit: Informationsbeschaffung durch die Geheimdienste; nationale Polizeiaktionen, wenn nötig unterstützt durch spezielle Einheiten der Streitkräfte; und, als allerletztes Mittel für den Fall, dass bestimmte Staaten nicht in der Lage oder nicht bereit sind, ihre Pflichten gegenüber der internationalen Gemeinschaft auszuführen, militärische Intervention von außen, deren innenpolitische und internationale Folgen allerdings sehr genau berechnet werden müssen. Die wirklichen Siege in einem solchen Feldzug werden Präventivschläge sein und darum unbekannt bleiben."

Der moderne Terrorismus hat sich an den Bruchlinien der Globalisierung breit gemacht. Die nächste und wichtigste Aufgabe in der globalisierten Welt wird sein, die Staatenwelt als umfassenden Ordnungsrahmen zu festigen. Wo immer die Staatlichkeit zerbricht, zerbricht auch ein Stück Uno-Ordnung. Wachsendes Elend und Terrorismus bedingen sich nicht gegenseitig. Aber beide entspringen staatlicher Unfähigkeit. Der Uno einen sich ausdehnenden Kernbestand von stabilen, untereinander verbündeten demokratischen Staaten einzubeziehen, ist das wichtigste Element einer neuen Weltordnung. Den USA fällt dabei heute wie schon bei der Gründung der Uno eine Schlüsselrolle zu. Das ist der tiefste Grund, warum Solidarität mit den USA im Kampf gegen den Terrorismus zur Staatsräson aller Demokratien gehört.

Joscha Schmierer

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