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Der algerisch-französische Autor Boualem Sansal.

© AFP/GABRIEL BOUYS

Friedenspreisträger im Gefängnis: Boualem Sansal in Algerien festgenommen

Der französisch-algerische Schriftsteller und Islamkritiker Boualem Sansal ist vergangene Woche am Flughafen in Algier verhaftet worden. Der Grund: Äußerungen zum Westsahara-Konflikt.

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Der französisch-algerische Schriftsteller Boualem Sansal ist am vergangenen Sonntag bei seiner Rückkehr aus Frankreich auf dem Flughafen von Algier vom algerischen Geheimdienst verhaftet worden und sitzt seitdem in einem Gefängnis.

Nachdem sich am Freitag schon Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron „sehr besorgt über das Verschwinden“ des Schriftstellers gezeigt hatte, bestätigte noch am selben Abend die algerische Nachrichtenagentur Algérie Presse Service (APS), dass Sansal festgenommen worden sei.

Scharfer Islamkritiker

Boualem Sansal ist seit Jahren einer der schärfsten Kritiker der algerischen Regierung, nicht zuletzt unter dem Staatspräsidenten Abdelmadjid Tebboune; in vielen seiner auf Deutsch im Merlin Verlag erscheinenden Romane hat er den Aufstieg des islamischen Fundamentalismus in Algerien geschildert, insbesondere die Zeit zwischen 1992 und 2002, als in dem nordafrikanischen Land ein Bürgerkrieg tobte zwischen der algerischen Regierung und verschiedenen islamistischen Gruppierungen. Als „decennie noire“ ist dieser Krieg in die Geschichte des Landes eingegangen, als schwarzes Jahrzehnt, das weit über 100.000 Opfer forderte.

Aktueller Hintergrund der Festnahme Sansals, der sich immer geweigert hat, ins französische Exil zu gehen, und in dem 50 Kilometer von Algier gelegenen Städtchen Boumerdès lebt, scheinen Äußerungen zu sein, die er in einem Interview mit dem rechtsextremen You-Tube-Kanal „Frontières“ gemacht hat.

Darin ging es um die französische Kolonialpolitik in Marokko und Algerien und die wahllosen Grenzziehungen zwischen den beiden Ländern zugunsten Marokkos. Erst dieses Jahr hatte Frankreich die Ansprüche Marokkos auf die Westsahara anerkannt.

Boualem Sansal, der 2011 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche erhielt, steht seit Jahren im Visier der algerischen Regierungsverantwortlichen: Er kritisiert nicht nur die fundamentalistischen Auswüchse des Islam, sondern auch dessen politischen Handlanger, überhaupt den politischen Islam, und die totalitär anmutende Minderheitenpolitik Algeriens, insbesondere den Berbern gegenüber. Seine Bücher sind in Algerien verboten und nur schwer erhältlich.

Reisen nach Israel

Was ihn in Algerien überdies zu einem Regimegegner macht: Er hat Reisen nach Israel unternommen und setzt sich mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und besonders der Verfolgung und Ermordung der Juden auseinander.

Sein Roman „Das Dorf des Deutschen“, 2010 auch auf Deutsch erschienen, erzählt von der Verstrickung einer algerischen Familie mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust. Es geht darin um zwei Brüder, deren Vater ein Deutscher und als ranghoher SS-Mann in den Vernichtungslagern tätig war, der sich andererseits nach seinem Untertauchen in Algerien gänzlich dem algerischen Unabhängigkeitskampf verschrieben hatte.

Wenn man in einem diktatorischen Regime lebt, baut man intellektuell und moralisch ab.

Schriftsteller Boualem Sansal

Wie sagte es Sansal in einem Interview anlässlich des Erscheinens dieses Romans: „Wenn man in einem diktatorischen Regime lebt, baut man intellektuell und moralisch ab. Wie bei einer Krankheit ist man so schwach, dass man nicht mehr gesunden kann. Ich glaube, dass die arabischen Gesellschaften in solch einer Situation sind.“

Wie groß die Spannungen zwischen Algerien und Frankreich gerade sind, zeigt der scharfe Ton der algerischen Nachrichtenagentur, die Sansal als „Pseudointellektuellen“ bezeichnet und die Aufregung in Frankreich über das Verschwinden des Schriftstellers geißelt: „Das makro-zionistische Frankreich (...) hat der Welt nicht erklärt, ob es die nötige Souveränität besitzt, um Benjamin Netanjahu verhaften zu können, sollte er jemals am Flughafen Charles de Gaulle auftauchen.“

Indes haben jetzt die beiden PEN-Zentren in Deutschland Protestnoten formuliert und die Freilassung des Schriftstellers gefordert. Auch in Frankreich setzt sich nicht nur der ebenfalls aus Algerien stammende und gerade mit dem Prix Goncourt ausgezeichnete Schriftsteller Kamel Daoud für Boualem Sansal ein, der auf X schrieb: „In Algerien leben Schriftsteller und Intellektuelle in Angst vor Repressalien, Spionagevorwürfen und willkürlichen Verhaftungen, Gerichtsverfahren und Verleumdungen sowie gewalttätigen Medienangriffen auf ihre Mitarbeiter und Angehörigen.“

Sondern auch mehrere Literaturnobelpreisträger, die sich in einem Offenen Brief in der Zeitung „Le Point“ mit Boualem Sansal solidarisierten und seine Freilassung fordern, unter anderem Annie Ernaux, Jean-Marie Gustave Le Clézio, Orhan Pamuk oder Wole Soyinka.

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