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Die Schauspielerinnen Birgit Minichmayr (l-r), Emily Atef und Marie Bäumer nach der Verleihung des 68. Deutschen Filmpreises "Lola"

© Jens Kalaene/dpa

Deutscher Filmpreis 2018: Frische Luft auf der Durststrecke

Emily Atefs Romy-Schneider-Film gewinnt sieben Lolas. Aber wie gut geht es dem deutschen Film? Anmerkungen zum Verleih der Deutschen Filmpreise.

Von Andreas Busche

Es braucht am Freitagabend eine Weile, aber als Marie Bäumer die Bühne betritt, um ihre Lola für die beste weibliche Hauptrolle entgegenzunehmen, meint man zum ersten Mal während der dreistündigen Verleihung des deutschen Filmpreises einem Gefühlsausbruch beizuwohnen, der nicht dem Protokoll von Grußworten und Danksagungen folgt, sondern in dem eine spontane Überwältigung spürbar wird. Marie Bäumer lacht und weint gleichzeitig, ihr fehlen die Worte, dann sprudeln sie aus ihr heraus, und selbst Moderator Edin Hasanovic vergisst für einen Moment, dass sie die Redezeit längst überschritten hat.

Marie Bäumer hatte in Interviews zu Emily Atefs „3 Tage in Quiberon“ oft von Selbstzweifeln gesprochen, ob sie der Rolle Romy Schneiders überhaupt gewachsen sei; was man als Schauspielerin eben so sagt, wenn man eine reale Persönlichkeit darstellt – noch dazu eine, mit der man im Laufe der eigenen Karriere immer wieder verglichen wurde. Aber ihr Kontrollverlust lässt erahnen, was das Kino den Menschen, die von und mit ihm leben, bedeuten kann. Was es heißt, „Welten zu erschaffen“, eine Formulierung, die während der Gala mantraartig beschworen wird. Der Moment steht einer Veranstaltung gut zu Gesicht, mit der die deutsche Filmbranche sich selbst und das Kino feiern möchte, die dann aber doch über weite Strecke nur pragmatische Professionalität demonstriert.

Alle vier Berlinale-Beiträge in diesem Jahr zeugten, jeder auf seine Weise, von einer besonderen Qualität

Marie Bäumers Apotheose von Romy Schneider ist sicher die schönste Geschichte des Abends, der sich als Triumph für Emily Atef und ihr Team erweist. Sieben von zehn möglichen Lolas gehen an „3 Tage in Quiberon“, es war ein Start-Ziel-Sieg vergleichbar mit „Toni Erdmann“ im vergangenen Jahr: Filmmusik, Kamera, drei von vier Darstellerkategorien, Regie und zum Abschluss die Goldene Lola für den besten Film. Und im Gegensatz zu früheren Jahren war diese Dominanz keineswegs der schwachen Konkurrenz geschuldet.

„Aus dem Nichts“ (Silberne Lola) von Golden-Globe-Gewinner Fatih Akin und Valeska Grisebachs „Western“ (Bronzene Lola), der Underdog unter den Nominierten, waren würdige Preisträger. In den Vorjahren hätten auch Thomas Stubers „In den Gängen“, für den nur Franz Rogowski als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde, Robert Schwentkes „Der Hauptmann“ (eine Lola für den besten Ton) und „Casting“ von Nicolas Wackerbarth, der leider leer ausging, gute Chancen gehabt. Geht es also nach einer langen Durststrecke wieder aufwärts mit dem deutschen Film? Jein. Alle vier Berlinale-Beiträge in diesem Jahr zeugten, jeder auf seine Weise, von einer besonderen Qualität. Die Präsenz auf internationalen Festivals hat wieder zugenommen, „Western“ bekam gerade eine glühende Rezension in der „New York Times“, und „Der Hauptmann“ ist für Schwentkes weitere Karriere in Hollywood sicher eine bessere Visitenkarte als seine Studio-Produktionen. Und in diesem Jahr hat Ulrich Köhler den Sprung von Berlin nach Cannes geschafft. So weit alles im grünen Bereich.

Mit Emily Atef hat nach Maren Ade zum zweiten Mal in Folge eine Frau den Regie-Preis gewonnen. Das stimmt hoffnungsvoll. Aber solange man weiter darauf warten muss, etwa eine Autorin unter den Nominierten in der Kategorie Drehbuch verkünden zu können, darf sich die Branche nicht zurücklehnen. In den technischen Kategorien Kamera, Schnitt und Szenenbild sieht es nicht besser aus, auch hier befindet sich keine Frau unter den Nominierten. Die Gründe dafür sind sicher komplex, aber man sollte dabei nicht vergessen, dass in all die Jahre Frauen an der Spitze der deutschen Filmakademie standen. Die Akademie könnte sich künftig noch mehr darauf konzentrieren, aktiv zu gestalten, statt lediglich die Branche zu repräsentieren. Das gilt ebenso für die Konsequenzen aus der „MeToo“-Debatte, die Präsidentin Iris Berben in ihrer Eröffnungsrede eher geschäftsmäßig abhandelt.

„3 Tage von Quiberon“ hat gerade einmal 70 000 Besucher in die Kinos gelockt.

Ein anderes wesentliches Problem des deutschen Films wird auf dieser Lola-Gala erneut augenscheinlich. In keiner Rede fehlte der Dank an die zahlreichen Fernsehredaktionen und Förderanstalten, ohne die das deutsche Kino nicht möglich wäre. Dankbarkeit ist sicher eine großzügige Geste, sie darf jedoch nicht zu Abhängigkeiten oder gar Eitelkeiten führen. Manche Förderer sehen sich heutzutage in der Rolle von Mäzenen, was bei der Auszeichnung von „3 Tage von Quiberon“ eine Fernsehredakteurin bei der bloßen Nennung ihres Namens veranlasste, zum Team auf die Bühne zu stürmen.

Die Crux dieser Abhängigkeiten ist die wirtschaftliche Seite, sie rückt auch die Strahlkraft des Filmpreises in ein anderes Licht. „3 Tage von Quiberon“ startete Mitte April in einer historisch schwachen Startwoche, bis heute hat er etwas mehr als 70 000 Besucher in die Kinos gelockt. Damit bleibt er bislang hinter allen Erwartungen zurück. Zweifellos wird der Siegeszug von Atefs Film den Zahlen einen Schub verpassen, schon allein dafür sind die Lolas auch in Zukunft unerlässlich. Nicht zuletzt mit diesem Argument verteidigt die Filmakademie auch die Preisgelder in Höhe von drei Millionen Euro aus dem Haushalt der Staatsministerin für Kultur und Medien.

Akin küsst Bohn auf den Hinterkopf

Die Diskrepanz zu den sechs Millionen Zuschauern von „Fack ju Göhte 3“, für die es immerhin eine Sonder-Lola gibt, ist frappierend. Zweifellos hat Bora Dagtekins Pennäler-Trilogie einen wertvollen Beitrag zum deutschen Kino geleistet. Aber die Auszeichnung zeigt auch, auf welchen Spagat sich die Akademie einlassen muss, um ihre Mitglieder bei Laune zu halten. Denn Katja Riemann täuscht sich, wenn sie freudig erklärt, dass die Filmakademie endlich nicht mehr zwischen Kommerz und Arthouse unterscheidet. Die Lola für den erfolgreichsten Film ist ein Kompromiss, um das Bild einer geschlossenen Filmbranche aufrechtzuerhalten. Aber die Verleihung bietet glücklicherweise auch weitere „Human Touch“-Momente, etwa Fatih Akins bewegende Laudatio auf seinen Lehrmeister Hark Bohm, der mit dem Ehrenpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird. Die Szene wird noch getoppt, als Bohm und Akin kurz darauf die Lola für das beste Drehbuch in Empfang nehmen. Da stehen sie dann nebeneinander, Akin drückt dem sprachlosen Bohm noch einen Kuss auf den Hinterkopf. Zwei aus der Hamburger Schule: der Kiezjunge und der alte Fährmann des deutschen Kinos.

Und dann natürlich die Liveschalte via Skype ins Krankenhaus, wo Robert Gwisdek gar nicht weiß, worüber er sich mehr freuen soll: die Lola für die beste Nebenrolle oder die bevorstehende Geburt seiner Tochter. Das Gespräch ist von technischen Problemen beeinträchtigt, aber die Kommunikationsstörung verleiht dem ansonsten durchgetakteten Programm einen gewissen Charme. Gwisdek ist übrigens nicht der einzige Nominierte, der an diesen Abend im Krankenhaus auf Abruf bereit steht. Babygeschichten ziehen sich wie ein roter Faden durch die Danksagungen und Lobreden. Das nennt man wohl Nachwuchsarbeit. Gut möglich, dass an diesem Abend eine neue Generation von Kinogängern das Licht der Welt erblickt.

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