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Kultur: Geglückte Nähe

Seelen-Trip: Ismael Ferroukhi schickt in „Die große Reise“ Vater und Sohn nach Mekka

Das Handy landet im Müll, nachts, auf der Autobahnraststätte. Das Foto der Freundin Lisa gleich hinterher. Straßenkarten? Sind Teufelszeug. Vater orientiert sich lieber mit einem Blick in den Himmel. Und wenn sich der Sohn widersetzt, wird die Handbremse gezogen, mitten während der Fahrt.

Alltägliche Generationenkonflikte sind dies in „Die große Reise“, die von Frankreich über Italien, Kroatien, Serbien, Bulgarien, die Türkei und Jordanien bis nach Saudi-Arabien führt. 3000 Kilometer Fahrtstrecke für die Hadjdj, die Once-in-a-lifetime-Pilgerfahrt jedes gläubigen Muslims nach Mekka. Warum er nicht den Flieger genommen hat, will der Sohn irgendwann wissen, entnervt von dem ewigen Streit mit dem sturköpfigen Vater. Und erhält eine kostbare Lebenslektion: Am besten sei eine solche Reise zu Fuß, oder mit dem Esel, oder mit dem Motorrad, oder mit dem Auto, je länger sie dauere, je lieber, denn nicht das Ziel zählt, sondern die Reise.

Auch sein Vater sei einmal mit dem Auto von Frankreich nach Mekka gepilgert, erzählt Regisseur Ismael Ferroukhi, und für ihn als kleinen Jungen sei das der Inbegriff des großen Abenteuers gewesen. Doch die Reise, auf die er seine beiden Protagonisten, Vater und Sohn, schickt, ist viel mehr als das, viel mehr als nur ein Abenteuer: Es ist eine Reise nach innen, ein gegenseitiges Kennen- und Schätzenlernen, fast eine Liebesgeschichte. Am Ende ist es eine viel größere Reise, als der Sohn je erwartet hatte – auch das ist wunderbarerweise kein Anlass zur Trauer, sondern macht reich.

Sie sind schon zwei Typen: der hübsche, wuschelköpfige Réda (Nicolas Cazalé), in weißem Rolli und Lederjacke, in Frankreich aufgewachsen, den Lebenssitten seines Vaters längst entwachsen. Und der verschlossene Vater (Mohamed Majd), autoritär, stur, nie ganz angekommen im Westen. Ein Aufenthalt in Mailand oder Venedig auf der Fahrt? Kommt nicht in Frage. Hotel? Unnötiger Luxus. Es dauert lange, bis die beiden überhaupt miteinander sprechen, auf diesen langen Stunden im Wagen. Und noch länger, bis sie beide zugeben: „Ich habe was gelernt auf dieser Fahrt.“

Bis dahin ist jede Menge Situationskomik entstanden: Plötzlich sitzt eine alte Kroatin hinten im Wagen, kaum taucht der Zoll auf, muss der Vater beten, das Schaf, das sie irgendwann gegen einen Fotoapparat tauschen, läuft ihnen davon, und Mustapha (Jacky Nercessian), der Zufalls-Weggefährte, wird fälschlich eines Diebstahls bezichtigt. Doch nie ist das derbe Komik, eher ein zärtlicher Ton, vor allem, nachdem der Sohn entschlossen schon einmal die Tasche gepackt hat. Da stehen beide auf einem Hügel, hoch über der jordanischen Wüste, und viel mehr ist da nicht als ein zaghaftes Angebot: Soll ich allein weiterreisen, und du fliegst zurück?

Am Ende fliegt Réda allein zurück. Er hat eine Pilgerreise nach Mekka erlebt (es sind die ersten Filmaufnahmen, die die örtlichen Behörden zuließen). Und Gemeinschaft. Und auch, wie es ist, wenn man plötzlich selber der Außenseiter ist und nicht der Vater, der Analphabet, der Ewiggestrige und Fremde. Das Abitur in Frankreich wird er unterdessen versäumen. Doch eine viel größere Lektion hat er gelernt.

Blow Up, Neue Kant Kinos, Eiszeit (OmU), Hackesche Höfe (OmU)

Christina Tilmann

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