
© Jorinde Voigt & Olaf Heine / VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Gib mir ein Zeichen: Das Fotofestival des Haus des Papiers fordert „Kommunikation und Haltung“
Das private Museum Haus des Papiers zeigt in seinem Fotofestival an diversen Orten künstlerische Arbeiten als Plakate, die zu Diskussionen anregen sollen
Stand:
Jorinde Voigt zeichnet Bewegungen in den Raum. Ihre Gesten werden mithilfe von Licht sichtbar, in hellen Spiralen flattern sie vor dunklem Hintergrund. Man kennt solche Formen von Voigt, für gewöhnlich entstehen sie allerdings auf dem Papier und werden anschließend in schneeweiße Räume gehängt.
Hell ist es auch in der ehemaligen Kantine auf dem Teufelsberg. Doch anders als in Galerien oder Museen erzählen der Raum und seine Umgebung die Geschichte der ehemaligen Abhörstation. Alles hier ist älter, leicht abgenutzt, aus einer anderen Zeit. Das macht etwas mit den Bildern, die Fotograf Olaf Heine 2022 von der Berliner Künstlerin aufgenommen hat und die hier im Rahmen der Ausstellung „Kommunikation und Haltung“ zu sehen sind: Sie wirken mysteriös und vieldeutig.
Kreative Körper
Voigts tänzelnde Schritte verwischen im monumentalen Raum, der eine enorme Distanz zu den Motiven erlaubt. Aus der Nähe entwirrt sich die Szene halbwegs, es bleibt aber ein ungewohnter Eindruck: Man sieht die Berliner Künstlerin bei der Arbeit. In ihren Werken mag sie präsent sein. Hier aber rückt sie selbst ins Zentrum der Betrachtung, ist Körper und kreativer Ursprung. Voigt bekommt ein Gesicht.

© Wolfgang Stahr
So gesehen fügt sich ihre künstlerische Koproduktion hervorragend in die Gruppenschau. Der Titel klingt erst einmal abstrakt, konkret lassen ihn die individuellen Arbeiten werden. Es geht um Empathie und Engagement. So wie in der fotografischen Serie von Wolfgang Stahr, der 2007 nach Kiew reiste und dort auf eine junge, entspannte Szene traf, die sich weit weg von jeder kriegerischen Gefahr wähnte. Johanna Maria Fritz von der Agentur Ostkreuz unterläuft diese Szenerie mit ihrer aktuellen, kühl grauen Bilderreportage gleich daneben: Es sind Impressionen aus derselben, nun aber zerstörten, depressiven Stadt.
Appelliert wird in der Schau reichlich, die Haltung hinter den herausragenden fotografischen Arbeiten lässt sich herauslesen. „Wie wollen wir heute in einer Demokratie leben und miteinander sprechen?“ Diesen Satz macht das diesjährige Fotofestival aus dem Haus des Papiers zum Angelpunkt seiner Präsentationen, die weit über den Teufelsberg ins Schwule Museum, das Bikini Berlin oder das Haus des Papiers führen.
I wish you were gay.
Text auf den Billboards zu Anne Imhofs Ausstellung 2024, die in Bregenz zerstört wurden, in der Nähe des Berliner Zoos aber ungestört hängen.
Das Thema sei dringlich, meinen die Berliner Unternehmerinnen Ul Vohrer und Annette Berr und demonstrieren damit auch, wo sie selbst stehen. Mehr reden, weniger streiten: Das funktioniert ihrer Ansicht nach hervorragend im Angesicht zeitgenössischer Kunst. Sie fordert heraus, zeigt Schönes wie Skurriles und nicht zuletzt die Grausamkeiten der Gegenwart.
Motive werden abgerissen
Berr und Vohrer stehen hinter dem privaten Museum Haus des Papiers, sie ermöglichen Künstlerinnen und Künstler Arbeitsstipendien in Berlin und vergeben einen jährlichen Kunstpreis während der Messe Paper Positions. Dank ihrer Manufaktur für Fine Art Prints sind die beiden hervorragend in der Szene vernetzt, ihre Kontakte haben sie genutzt, um etablierte Künstler und Künstlerinnen wie Anne Imhof, Pola Sieverding oder Heidi Specker um Motive für das aktuelle Projekt zu bitten.
Die hochwertigen Plakate drucken sie selbst, edel für die Abhörstation auf dem Teufelsberg, kleiner und auf simplerem Papier für den Holzmarkt, wo sie draußen an den Buden hängen. Manche werden immer wieder abgerissen – vielleicht weil einige Besucher kapiert haben, dass die Motive von Stars wie Rosemarie Trockel oder Yael Bartana stammen.
Anne Imhof kennt diesen destruktiven Akt aus anderen Zusammenhängen. Die begleitenden Billboards zu ihrer Ausstellung 2024 in Bregenz wurden zerstört, weil darauf „I wish you were gay“ zu lesen ist. Jetzt hängt das Plakat öffentlich in der Nähe des Berliner Zoos und provoziert weit weniger als in der Voralberger Idylle.

© Christane Feser / VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Hommage an die Taube
Auch das gehört zum Festival; dass manches übersehen wird und nicht alle in die Sammlung Hackelsberger oder ins Schwule Museum gehen. Anderes lädt ein, die eigene Sicht zu reflektieren. Annegret Soltau etwa zeigt versehrte Antlitze, für ihre Kunst näht sie fotografische Fragmente verschiedener Frauengesichter zusammen.
Christiane Feser widmet sich den Stadttauben. In der Tradition der Street Photography hat sich die Künstlerin aus Frankfurt aufgemacht und festgehalten, wie sie in Schwärmen auffliegen. Eine ästhetische Abstraktion in Schwarz-Weiß – und die Hommage an ein Tier, das andere im Wortsinn mit Füßen treten. Es ist der Einstieg in eine andere Perspektive, wie gemacht für Diskussionen, die sich die Veranstalterinnen vor allem „respektvoll“ wünschen.
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