
© Petra Gall/Schwules Museum Berlin
Hexen, Demos und Sexpartys: Die West-Berliner Frauenszene in den Fotos von Petra Gall
Zwei frauenbewegte Berliner Jahrzehnte hat Petra Gall mit ihrer Kamera festgehalten. Jetzt zeigt das Schwule Museum Berlin eine Auswahl ihrer Bilder.
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Ein Mann mit Brille sitzt auf der Bühne der Ufa-Fabrik. Hinter ihm steht die US-amerikanische Performerin und Sexpertin Anne Sprinkle, die ihm ihre nackten Brüste über den Kopf gelegt hat, wodurch dieser fest an die Stuhllehne gedrückt wird. Das Lächeln des Mannes ist schmal, aber freudig, Sprinkle strahlt und legt ihre Hände an ihre Ohren.
Es muss ein toller Abend gewesen sein, damals im Juli 1991, als Annie Sprinkle ihre Show „Sex Kitchen. Vom Junk-Sex zum Gourmet-Sex“ in Berlin aufführte. Das bringen das hochformatige Brüste-auf-Kopf-Foto sowie sechs weitere Schwarz-weiß-Motive anschaulich rüber. Sie sind jetzt im Rahmen des Fotofestivals „Kommunikation und Haltung“ unter dem Titel „Feuer + Flamme dem Patriarchat – Petra Galls Fotos der Berliner FrauenLesben-Szene“ im Schwulen Museum Berlin zu sehen.
Petra Gall, die 1981 nach West-Berlin kam und als Fotografin, Grafikerin und Journalistin arbeitete, fühlte sich dieser Szene auch selbst zugehörig. Sie sei damals überall dabei gewesen, erzählt Birga Meyer, die die Ausstellung zusammen mit Collin Klugbauer kuratiert hat, bei einem Rundgang. „Es ist kein Blick von außen, sondern der einer Beteiligten.“
Der Begriff FrauenLesben war in den Achtzigern und Neunzigern im Westen üblich. Er „verweist darauf, dass Lesben als Frauen diskriminiert, aber auch als Lesben von Homofeindlichkeit betroffen sind“, so eine Schrifttafel im Ausstellungsraum. Heute hat sich das inklusivere Akronym FLINTA (Frauen, Lesben, inter, non-binäre, trans und agender Personen) eingebürgert.
Die in drei Themenschwerpunkte unterteilte Ausstellung ist eine Zeitreise, die in der Hausbesetzerinnen-Szene beginnt. Einer ihrer Hotspots lag in der Potsdamer Straße 139, wo sich bis heute das Begine-Kulturprojekt gehalten hat. Der direkt danebenliegende Projektraum Pelze in einem ehemaligen Pelzgeschäft existiert hingegen nicht mehr. Um so legendärer ist sein Ruf, fanden hier doch wilde feministische Performances, Ausstellung, Lesungen und sexuelle Ausschweifungen statt.
Petra Gall (1955-2018) wohnte auf der andersogar der geschwungene Pelze-Neonschriftzug hat ein eigenes Porträtfoto bekommen und hängt als nachgebaute Lichtinstallation in Form einer künstlerischen Arbeit von Lena Rosa Händle im Raum.

© Petra Gall/Schwules Museum
Das Kollektiv des Feministischen Frauen-Gesundheit-Zentrums hat Gall beim Herumalbern vor seinen Räumen in Kreuzberg porträtiert. „Man merkt, mit wie viel Freude sie bei der Arbeit waren,“ sagt Collin Klugbauer beim Rundgang – und weist auch an anderen Stationen auf den Spaß und die lustvolle Dimension, die aus den Bildern spricht. In der Tat wird darauf viel gelacht – ganz entgegen dem Klischee von der spaßbefreiten Emanze und der mürrischen Lesbe.
Das gilt besonders für die Impressionen von Partys im Kapitel „Tanz der freien Verhältnisse“, das männerfreie Events wie den Frauenball Eldorado oder die „Nacht der bösen Mösen“ im SO36 dokumentiert. Für Dykes in Lack und Leder hatte Gall ein besonders gutes Auge. Sie gehörte zum sexpositiven Teil der Szene, was auch ihre Bondage-Aufnahmen zeigen. In ihrer ästhetischen Stilisierung lassen sie teils an Robert Mapplethorpe denken.

© Petra Gall/Schwules Museum Berlin
Kämpferisch geht es an der Wand mit den Demonstrationsfotos zu. Der Paragraf 218 ist hier ebenso Thema wie Proteste gegen Gewalt an Frauen. Ein wichtiger Termin waren für Petra Gall auch die Walpurgisnacht-Demos, bei denen sie zwischen 1983 und 1994 viel fotografierte. Angelehnt an mittelalterliche Hexenfeste ging es bei diesen Demonstrationen darum, weibliche Selbstbestimmung zu feiern und das Schimpfwort „Hexe“ positiv umzudeuten. Eine wandhoch aufgezogene Fotografie tanzender Frauen in langen Röcken – eine mit Spitzhut – fängt diese Stimmung sehr lebendig ein.

© Petra Gall/Schwules Museum Berlin
Es fällt allerdings auf, dass fast alle Abgebildeten in „Feuer + Flamme dem Patriarchat“ weiß sind, auch Ost-Berlin spielt quasi keine Rolle – nicht mal nach dem Mauerfall. Ihren Blick über den Tellerrand der eigenen Szene hinaus auszudehnen, war offenbar nicht Petra Galls Interesse.
Dafür hat sie einen wertvollen Beitrag zur Dokumentation von zwei Jahrzehnten Feminismus-Geschichte in West-Berlin geleistet. Das Schwule Museum, wo sich ihr über 200.000 Negative, Abzüge und persönliches Material umfassender Nachlass befindet, erhält deshalb immer wieder Anfragen für Ausstellungen über die Achtziger und Neunziger.
Eine leidenschaftliche Autodidaktin
Petra Gall war eine leidenschaftliche Autodidaktin, oft mit zwei Kameras um den Hals unterwegs. Einige Motive gibt es deshalb von ihr in schwarz-weiß und farbig. In der Ausstellung dominieren Schwarz-weiß-Fotos – sie sind deutlich ausdrucksstärker als die Farbbilder. Was laut den Kurator*innen auch daran liegen dürfte, dass Gall die schwarz-weißen Motive selber entwickelte und die bunten von kommerziellen Labors stammen.
Sich selbst hat Petra Gall kaum einmal fotografiert. Kuratorin Birga Meyer spricht von einer Handvoll Selbstporträts. Eines davon eröffnet die Ausstellung: Hellblonde Kurzhaarfrisur, schnittige Brille, breiter Ledergürtel über dem dunklen Kleid schaut Gall cool über ihre Kamera in einen Spiegel. Links lugt eine Altbautür ins Bild, die es persönlicher macht – und neugierig auf den Rest des Raumes.
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