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Zwischen Bayern und Fernost. Dörries erster Kurzfilm von 1976 hieß „Kinos der Provinz“.

© Mathias Bothor

Interview zum neuen Film von Doris Dörrie: „Ich gehe oft auf die Männertoilette“

Die Fortsetzung „Kirschblüten und Dämonen“ ist Doris Dörries fünfter Japan-Film. Ein Gespräch über Gespenster, neue Rechte und Prinzessinnen in der Filmbranche.

Frau Dörrie, Sie haben in über 30 Jahren 30 Filme gedreht. Treten Sie mit der Fortsetzung von „Kirschblüten Hanami“ in die Altmeisterinnen-Phase der Selbstzitate ein?
Überhaupt nicht. Ich bin kein Sequel-Typ. Mir ist nur plötzlich eine Geschichte eingefallen und das hatte mit Japan zu tun. Mit der langen Beschäftigung mit Geistern durch meinen Film „Grüße aus Fukushima“. Mit dem Auftrag aus Japan, eine Geister-Oper zu schreiben. So kam über Nacht die Idee, dass Rudi und Trudi, die toten Eltern aus „Kirschblüten Hanami“, zurückkommen. In einer japanisch-bayerischen Geistergeschichte.

Familie ist ja eins Ihrer Großthemen.
Diesmal wollte ich wissen, was die Kinder sich selbst für Geschichten schreiben, wie sie ihr Aufwachsen sehen. Das unterscheidet sich ja fundamental von der Elternsicht. Eine Familie kommt nie auf dieselbe Wahrheit.

Sie hegen auch eine Passion für Penisse. Mit „Ich und Er“ haben Sie ihm einen Film gewidmet. Diesmal erlebt das Gemächt Ihres Helden Karl ein tragisches Geschick. Plädieren Sie für eine neue Sicht auf männliche Identität?
Penisse sind mein Thema? Wusste ich bisher gar nicht. Aber ja, es geht mir um die Männerrolle. Rudi, der von Elmar Wepper gespielte Vater, hat seinen Sohn als Jungen immer als „zu sensibel“ beschimpft. Karl hat große Probleme mit der vorgegebenen Männerrolle. Dadurch, dass seine weibliche Seite nun mehr zum Tragen kommt, findet er heraus, wer er ist. Wenn man das überhaupt jemals rausfindet. Aber man hat ja die Aufgabe, sein ganzes Potential als Mensch zu entdecken und wirklich zum Blühen zu bringen.

Das heißt, die Idee der Genderfluidität gefällt Ihnen?
Ich halte sie für die Wahrheit. Wenn ich durch die Welt gehe, definiere ich mich doch nicht ständig als Frau. Das ist viel durchlässiger, viel komplexer, nicht mit einer einfachen biologischen Zuschreibung erledigt.

Aber Sie gehen ohne Zögern auf die Damentoilette?
Ich gehe auch oft auf die Männertoilette. Weil ich die langen Schlangen bei den Damen satt habe. Vorher rufe ich ein lautes Achtung hinein. In Spanien auf dem Flughafen habe ich kürzlich gesehen, dass das auch andere Frauen machen, jüngere wie ältere. Großartig. Ich meine, was soll der Schmarrn?

„Kirschblüten & Dämonen“ ist Ihr fünfter Japan-Film. Wann ernennt das Kaiserhaus Sie endlich zur Kulturbotschafterin?
Oder gleich zur Kaiserin! Eben stand ich in der Hotellobby neben einer japanischen Touristengruppe und fühlte mich sofort zu Hause. Keine Ahnung, warum es mich da so hinzieht. Ich kämpfe auch mit dem Land und seiner irrsinnigen Machomentalität. Und mit der reaktionären Politik. Dagegen steht die große Aufmerksamkeit für alles, was unser Leben ausmacht. Die Neigung, allen Dingen gleichwertig Beachtung zu schenken. Das hat viel mit Shintoismus und Animismus zu tun, die Dinge nicht voneinander zu trennen, sondern sie immer in Verbindung zu sehen.

Sie thematisieren auch die historische Allianz zwischen NS-Deutschland und Japan. Sogar ein AfD-Politiker und ein Hakenkreuz-Tattoo spielen eine Rolle. Ist das Ihre Art, alte und neue Rechte abzuwatschen?
Die AfD wird nicht genannt, aber die Partei, um die es im Film geht, ist eindeutig rechts. Ich wollte die historische Verstrickung jedes Deutschen und jedes Japaners in der eigenen Familie zeigen. Das zu verleugnen führt zu nichts Gutem. Wir müssen uns immer wieder damit konfrontieren, denn sonst erstickt uns dieser Schatten. Macht uns dogmatisch, radikalisiert uns. Verglichen mit Japanern sind die Deutschen aber viel bereiter, das zu thematisieren. In Japan ist das nach wie vor tabu. Bis heute geht jeder Ministerpräsident an den Schrein der Kriegsverbrecher, den Yasukuni-Schrein.

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Machen Sie sich Sorgen über die neue Rechte?
Ich bin erschüttert, dass unsere Erinnerung nur so kurz ist. Und wie einfach es ist, die Geschichte so an den Rand zu drängen, dass Leute denken, dass man Grundrechte aufgeben kann, dass Demokratie gar nicht so toll ist, dass Meinungsfreiheit kein wichtiges Gut ist. All das gerät plötzlich in Bedrängnis. Dagegen müssen wir kämpfen. Nach dem Mauerfall dachten wir, jetzt sind wir zusammen frei und wollen alle dasselbe. Freiheit, Menschenrechte, demokratische Grundrechte. Und nun? Pustekuchen!

Erstaunlich ist auch, dass eine Frau, die nicht an Geister glaubt, Dämonen beim Teetrinken zeigt und ein Gespenst beim Telefonieren. Woher der Hang zur Esoterik?
Den habe ich gar nicht. Das ist pures Kino. Die Visualisierung einer Metapher. Geister sind Erinnerungen, mit denen das Gehirn ständig operiert. Tote, die plötzlich da sind in Gedanken. Sätze, die irgendwann gefallen sind und wieder auftauchen. Diese Fragmente, die ständig durch unser Gehirn zischen. Wir tun ja nur so, als seien wir logisch denkende Wesen. In Wirklichkeit findet in unserem Gehirn ein irres Feuerwerk statt. Das sind in der einen Terminologie „Geister und Gespenster“ und in der anderen „Assoziationen oder Erinnerungen“. Jeder hat Dämonen, die ihn verfolgen. Nur, dass ich sie im Film sichtbar machen kann.

Und das sogar, ohne Spezialeffekte einzusetzen. Warum haben Sie sich erneut für die Arbeit in einem kleinen Team entschieden? Für manche Regisseure fungieren aufwändige Effekte und ein Riesenapparat als Statussymbol.
Die Haltung „Ich hab’ den Längsten“ ist bei Kollegen ziemlich ausgeprägt. Aber auch bei manchen Frauen. Die größte Kamera, das größte Team, das größte Budget. Mir geht’s aber um die Beweglichkeit. Ich kann nicht mit 80 Leuten nach Japan fahren und in einen traditionellen Ryokan einziehen. Die Zerbrechlichkeit des Augenblicks, die ich zeigen möchte, lässt sich mit großer Logistik nicht erreichen. Die kenne ich ja durchaus auch und sie hat mir wie Beton an den Beinen gehangen. Unmöglich, da mal wegen des Wetters kurzfristig den Drehort zu wechseln! Den Apparat zu verkleinern schafft Durchlässigkeit und macht eine gewisse Zärtlichkeit möglich, den Filmfiguren ebenso wie den Schauspielern gegenüber. Das funktioniert aber nur in bestimmten Genres. Und für viele Männer ist das gar nichts, weil sie zu gern den General spielen.

Vater, Mutter, Kind. Karl (Golo Euler) und seine eigentlich verschiedenen Eltern Trudi (Hannelore Elsner) und Rudi (Elmar Wepper).
Vater, Mutter, Kind. Karl (Golo Euler) und seine eigentlich verschiedenen Eltern Trudi (Hannelore Elsner) und Rudi (Elmar Wepper).

© Constantin/Mathias Bothor

Sie engagierten sich in der Filmfraueninitiative Pro Quote und sitzen auf Podien, wenn die Situation von Frauen in der Branche diskutiert wird: Haben Sie jemals Zurücksetzungen oder Bevorzugungen erlebt?
Als ich sehr jung war, habe ich wohl Bevorzugungen erfahren, weil ich immer die einzige Regisseurin war. Für die Männer in den Redaktionsstuben war es lustiger, wenn da eine durchgeknallte 25-Jährige reingetänzelt kam, die ein Projekt angeschleppt hat. Und dann war ich ewig die „Männer“-Frau, die diese Komödie gemacht hatte, die so viel Geld eingespielt hat. Das machte mich noch besonderer. Andersrum habe ich mich immer als Außenseiterin gefühlt. In der Filmhochschule fragte ich mich immer, wieso es nur Vorbilder gibt, die überhaupt nichts mit meiner Welt zu tun haben? Da wurden rauf und runter John Ford und Howard Hawkes analysiert. Und Kollegen wie Wim Wenders haben gesagt, das sind meine Vorfahren. Die reihten sich nahtlos in die männliche Filmgeschichte ein. Ich habe die nicht als filmische Vorfahren betrachten können, weder ästhetisch noch thematisch. Und was die Bevorzugung anging, merkte ich bald, dass das ein vergiftetes Lob ist, denn sie meinte natürlich: für eine Frau ist das ganz beachtlich. Letztlich ist der Prinzessinnenstatus eine Düpierung.

Wie hat die MeToo-Bewegung das Klima in der Branche verändert?
Pro Quote ist für gerechte Verteilung, aber es ist auch ein Versuch, den Jungsclubs in der Branche einen Frauenclub entgegenzusetzen. So wie Männer das in Jahrhunderten aufgebaut haben, zusammen Bier zu trinken und darüber Kontakte zu machen. Das schaffen wir Frauen weniger gut. Wir müssen immer noch nach Hause und die Kinder versorgen und das Klopapier kaufen. So schnell lässt sich eine so tief gewachsene Struktur nicht ändern.

Frauen müssen besser kumpeln lernen?
Kumpeln, unterstützen, Begeisterung äußern. Ich bin schwer dafür, sofort Fanbriefe und Anrufe zu machen und laut zu verkünden, wenn einem ein Film gefallen hat. Auch bei Männern, aber bei Frauen vielleicht noch etwas lauter der Gerechtigkeit halber. Ermunterung ist auch als Dozentin an der Filmhochschule seit vielen Jahren mein Anliegen.

Eine renommierte Regisseurin wie Sie kann aber auch aktiv Strukturen ändern. Beispielsweise mehr Frauen beschäftigen.
Das muss ich nicht: Bei mir waren schon immer mehr Frau als Männer im Team. Die Olgafilm, die Produktionsfirma, mit der ich 1983 angefangen habe, bestand damals schon aus drei Frauen. Aber ich setze Themen, die es im deutschen Kino kaum gibt. In „Grüße aus Fukushima“ beispielsweise die Hauptfiguren einer Schülerin und ihrer alten Meisterin, also die archetypische Figur der weisen alten Frau. Auch das verändert Sehgewohnheiten und damit Strukturen.

Hochschulabsolventen gehen häufig in den Mühlen der Filmförderung und der Kinderaufzucht verloren: Was raten Sie den Jungregisseurinnen?
Es gibt das Phänomen, dass Frauen nicht so wahnsinnig gern Frauen fördern, wenn sie sich selbst als alleinige Prinzessin sehen. Die Position geben sowohl Redakteurinnen als auch Produzentinnen ungern auf. Das ist mühsam und geht gesellschaftlich tief. Wie abhängig machen wir uns vom männlichen Blick, den wir als „Blick des Begehrens“ ja auch nicht abschaffen wollen? Den Studentinnen versuche ich immer klar zu machen, dass sie sich keinesfalls zwischen Familie und Beruf entscheiden müssen. Obwohl viele das verstärkt wieder tun, weil sie ökonomische Ängste haben.

Beschwichtigen Sie Ihre Dämonen eigentlich auch mit Tee?
Lieber mit Schlafen und Fressen.

Mit "Kirschblüten & Dämonen" setzt Dörrie die Geschichte des von Hannelore Elsner und Elmar Wepper gespielten Allgäuer Ehepaars Trudi und Rudi und seiner Kinder fort. Die zarte Tragikomödie "Kirschblüten Hanami" feierte 2008 Premiere im Berlinale-Wettbewerb. Als der verwaiste Bauernhof der verstorbenen Eltern verkauft werden soll, gerät Sohn Karl (Golo Euler) nun im zweiten, deutlich versponneneren Teil in eine schwere Sinnkrise. Seine Ehe ist gescheitert. Die Gespenster der Eltern suchen ihn heim. Und dann steht auch noch die merkwürdige Japanerin Yu (Aya Irizuki), eine alte Freundin von Rudi, vor der Tür. Karl folgt ihr auf einer melancholisch-metaphysischen Spurensuche bis ins Land der aufgehenden Sonne. „Kirschblüten & Dämonen“ startet am Donnerstag im Kino.

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