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Wieder ganz vorn: Szene aus Florentina Holzingers „Sancta“

© Lancerio Netti Nueganen; VG Bildkunst Bonn 2025

Jahresranking von „Theater heute“: Florentina Holzingers Team triumphiert

Große Überraschung: Magdeburg ist Theater des Jahres, und Holzingers Spektakel „Sancta“ schlägt fast alles. Das „größte Ärgernis“ sehen die Kritiker zu Recht in Berlin.

Rüdiger Schaper
Ein Kommentar von Rüdiger Schaper

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In schnellstlebigen Zeiten triumphiert auch die Vergesslichkeit. Wenn man sich denn überhaupt etwas gemerkt hat. Was kann man empfehlen? Von der vergangenen Spielzeit blieb kaum etwas hängen. Die Theater haben es immer schwerer, sich im Strom der Medien und Debatten zu behaupten.

Da kommt zum Ende der Ferien das Jahrbuch der Zeitschrift „Theater heute“ gerade recht. Es erinnert daran, dass doch nicht alles schlecht war. Und dass es sich lohnt, auf das immer Flüchtigere zurückzublicken. Und große Überraschung! Theater des Jahres in der Kritikerumfrage ist Magdeburg. Mit Jan Friedrichs „Blutbuch“-Inszenierung gab es auch zum ersten Mal eine Einladung zum Berliner Theatertreffen.

Aufführung des Jahres

Dass Florentina Holzingers Spektakel „Sancta“ zur Aufführung des Jahres gewählt wurde, war zu erwarten. Die Koproduktion der Volksbühne mit den Opernhäusern Schwerin und Stuttgart entfaltete eine unwiderstehliche Wucht. Und gewinnt auch in den Kategorien Bühnenbild und Dramaturgie.

Im Interview lobt die Künstlerin den „Heimathafen“ Volksbühne: „Dass meine Shows so lange im Repertoirebetrieb laufen und ausverkauft sind, kann ich mir schwer woanders vorstellen. Ich finde cool, dass wir ein Publikum an Land ziehen, das zum Teil aus einer komplett anderen, theaterfernen Welt zu uns kommt. Und das Haus steht auch hinter uns, das sind die Früchte der letzten Jahre, in denen wir schon einiges an Überredungskunst anwenden mussten, warum wir bestimmte Dinge so, und nicht wie im Theater ansonsten üblich machen. Jetzt haben wir einen großen Rückenwind.“

„Ärgernis des Jahres“ ist die Berliner Sparpolitik. Der grüne Finanz- und Kulturpolitiker Daniel Wesener analysiert die Schieflage kenntnisreich und schließt: „Offenbar ist der politische Konsens darüber, dass Kunst und Kultur angesichts dieser Voraussetzungen besonders schützenswert sind, zum Teil verloren gegangen. Umso wichtiger ist es, ihre immense Bedeutung für unsere Gesellschaft – ob nun ideell oder materiell – deutlich zu machen und gerade in ökonomischen Krisenzeiten gute Lösungen zu finden. Genau das ist der Auftrag von Kulturpolitik heute!“

Ein Jahr des Umbruchs

Die Schauspielerin des Jahres heißt Julia Riedler, in ihrer Rolle als Arthur Schnitzlers Fräulein Else am Wiener Volkstheater. Beim Schauspieler des Jahres gibt es gleich drei: Thomas Schmauser in „Mephisto“ an den Münchner Kammerspielen , Andreas Döhler in „Kleiner Mann – was nun?“ vom Berliner Ensemble und Moritz Kienemann als Kriegsveteran Hinkemann in Ernst Tollers Drama am Deutschen Theater Berlin. Das Stück des Jahres ist Dea Lohers „Frau Yamamoto ist noch da“.

„Umbrüche“, so lautet der Titel des Jahrbuchs. Das ist schon ein Euphemismus in unserer Zeit. So vieles deutet eher auf Abbruch hin, und schlimmer. Aber die „Theater heute“-Redaktion will keinen Pessimismus pflegen. Intendanten sprechen über neuen Pragmatismus, und in der Reihe „Cheering up“ erzählen Theaterleute von ihren Wohlfühlorten.

Steffen Mau fragt in seinem Essay „Warum tun sich Gesellschaften mit sozialem Wandel so schwer?“, und Aleida Assmann versucht „Zukunftsvisionen für politische Auswege aus dem Israel-Palästina-Konflikt“ zu entwickeln. Es sind die Themen, die den Theateralltag bestimmen und Entscheidungen verlangen: Was spielen wir? Wie verhalten wir uns zu Gaza und Israel?

Theater war immer ein Kriseninstrument, von Anfang an. Aber die Griechen kannten auch die Komödie. Sie hat derzeit kaum Chancen, entgegen der historischen Erfahrung. Irgendwo einmal in der Kritikerumfrage taucht der Name Herbert Fritsch auf. Nur so, zur Erinnerung, dass harte Zeiten nach Entlastung rufen. Schließlich löst das Theater keine Probleme. Es zeigt sie aber plastisch.

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