
© Anne Wilk Alamode Film
Julia von Heinz‘ Kinodrama „Treasure“: Unterwegs im Albtraumland
Den Holocaust in den Knochen. Julia von Heinz lässt Lena Dunham und Stephen Fry als Vater-Tochter-Gespann auf Erinnerungsreise nach Auschwitz fahren.
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Gepanzert durch Gewicht. Gepanzert durch Witze. „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ lässt mit Ruth und Edek Rothwax, einem Tochter-Vater-Gespann, zwei schwer traumatisierte New Yorker auf einen Roadtrip gehen.
Im Jahr 1991 in Polen, dem Land, in dem vor dem Zweiten Weltkrieg die größte jüdische Population Europas lebte, wie Edek aus einem Touristenführer vorliest. In Polen, dem Land, in dem die nationalsozialistischen deutschen Besatzer in Auschwitz-Birkenau millionenfach den Zivilisationsbruch der industriellen Tötung von Menschen begingen. „Auschwitz ist kein Museum, es ist ein Todeslager“, korrigiert Ruth harsch einen Rezeptionisten. Und genau dieses KZ hat ihr Vater Edek überlebt. Als Einziger aus seiner Familie.
Tochter Ruth, eine Mittdreißigerin, die in New York als Musikjournalistin arbeitet, will endlich mehr als nur das über Edek erfahren. Mehr über seine Eltern, die Familie, die Herkunft aus Łódź. Das Schweigen der Opfergeneration, von dem Lily Brett in ihrem Roman „Zu viele Männer“, der literarischen Grundlage von „Treasure“, erzählt, hat die Verbindung zur nächsten Generation beschädigt. Der Holocaust steckt den Überlebenden ebenso in den Knochen wie ihren Kindern.
Ruth will das Schweigen nicht länger hinnehmen. Sie hat die Reise mit dem Vater zurück zu dessen Wurzeln ertrotzt, auch wenn er sie anfangs noch sabotiert. Indem er das Flugzeug von New York nach Warschau versäumt, in Polen keinen Zug besteigt und statt in seine Heimatstadt lieber ins Chopin-Museum fahren möchte.

© Lukasz Bak Alamode Film
„Girls“-Erfinderin Lena Dunham und der in Großbritannien omnipräsente Schauspieler, Autor und Moderator Stephen Fry jonglieren in ihren Rollen mit einem Maximum an Missbehagen. Edek ist ein Späßchen reißender Patriarch, der der Tochter, die sich von ihrem Mann getrennt hat, ständig das Singleleben, die Kinderlosigkeit und die Diätversuche unter die Nase reibt. Ruth ist eine von Essstörungen geplagte ruppige Nervensäge, die die Familienvergangenheit nicht loslassen kann.
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Bei der Uraufführung von „Treasure“ im Februar auf der Berlinale erzählten Dunham und Fry, dass auch ihre Familien jüdische Wurzeln in Polen haben. Mitglieder aus Frys Familie sind in Auschwitz gestorben. Sicher auch ein Grund, warum beider Darstellung der Beklommenheit auf polnischem Boden so überzeugt.

© Łukasz Bąk/Alamode Film
Julia von Heinz, die mit ihrem 2018 beim Filmfest von Venedig uraufgeführten Antifa-Drama „Und morgen die ganze Welt“ großes Gespür für politische Themen bewiesen hat, gelingt es, das bedrückende Misstrauen der Polen einzufangen. Sie fürchten sich davor, dass die amerikanischen Heimwehtouristen Haus, Fabrik oder gar Mutters Teeservice zurückfordern könnten. Um den Fuß in die Wohnung zu setzen, die Edeks Familie 1940 in Łódź verlassen musste, muss Ruth den jetzigen Bewohnern Geld zahlen.
Ein Taxifahrer als guter Pole
Die Annäherung zwischen Vater und Tochter, die trotz und wegen der grausamen Vergangenheit im Zuge der Herzensbildungsreise wieder lernen, miteinander ins Gespräch zu kommen, ist bewegend. Trotzdem fällt sie zu sentimental und hollywoodesk aus.
Auch die Figur des Taxifahrers Stefan (Zbigniew Zamachowski), den der von der Ankunftsrampe in Auschwitz traumatisierte Edek anheuert, um Zugfahrten zu vermeiden, gerät als Prototyp des „guten Polen“ allzu märchenhaft.
Der graue Nachwende-Retrolook, den Julia von Heinz und ihre Kamerafrau Daniela Knapp dem Drama in Winterfarben verordnen, verstärkt noch den erzählerischen Eindruck einer hermetischen Geschichte von gestern. Die auf Leichtigkeit im Furchtbaren getrimmte Tonlage verstärkt dies nur noch.
Angesichts der Aktualität von Antisemitismus und rechten Strömungen ist „Treasure“ eine vertane Chance. Da hilft es wenig, dass von Heinz in Auschwitz-Birkenau am Zaun und vor dem Eingang des ehemaligen Lagers drehen durfte, was Spielfilmprojekten selten erlaubt wird. Die Verknüpfung mit der Gegenwart misslingt.
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