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Isabella Ducrot Collage „Pots 2025-2“ von 2025 misst 120 x 180 Zentimeter.

© Galerie Capitain Petzel/Gunter Lepkowski

Keine Angst vor Dekorativem: Die Blumenbilder von Isabella Ducrot

Lange hat die italienische Künstlerin Isabella Ducrot für sich gearbeitet. Ihre Bilder versammeln Eindrücke ausgedehnter Reisen. Nun wird sie mit 94 Jahren entdeckt.

Von Dorothea Zwirner

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Selbst der flüchtigste Blick im Vorbeifahren am gläsernen Pavillon der Galerie Capitain Petzel an der Berliner Karl-Marx-Allee bleibt sofort an den frei im Raum schwebenden Bildern hängen, die allesamt mit einem einzigen Farbton, in Blaugrau-Lila auf hellem Grund, gemalt sind.

Doch mehr noch als die wirkungsvolle Rauminstallation „Aqua Felice“ von Maria Brunner, die sich über die Bilder hinaus auf den Wänden fortsetzt, wirft die zweite Ausstellung im Untergeschoss der Galerie die Grundsatzfrage nach der ästhetischen Funktion und Legitimation des Dekorativen auf.

Es handelt sich um Blumenbouquets in allen Regenbogenfarben, zentral platziert auf japanischem Gampi-Papier, das mit einem ornamentalen Rahmen versehen ist. Das farbige Pigment lässt die Textur der mit dunkler Kontur gezeichneten Blüten durchscheinend zart oder samtig weich erscheinen.

Die Formen und Muster der teilweise collagierten Vasen muten fernöstlich oder arabisch an – genau wie das rahmende Ornament, das mit alten indischen Stempeln gedruckt ist. Die dekorativen Kompositionen sind von einer Schönheit und Noblesse, die neugierig macht auf die Künstlerin Isabella Ducrot, der die Galerie Capitain Petzel mit „Altri Fiori“ ihre dritte Einzelausstellung widmet.

Später Erfolg für Isabella Ducrot

1931 in Neapel geboren, erlebt die fast 94 Jahre alte Italienerin seit einigen Jahren einen internationalen Erfolg, den sie sich kaum hätte träumen lassen.

Erst mit Mitte fünfzig begann die Autodidaktin, einen eigenen Ausdruck zu entwickeln für all die Eindrücke und Artefakte, historischen Stoffe und Papiere, die sie auf ihren ausgedehnten Reisen in die Türkei, nach Indien, Tibet, Afghanistan und China gesammelt hat. Als ob sich ihr ausgeprägter Sinn für Materialien und Farben plötzlich Bahn gebrochen hätte, entdeckte sie ihren eigenen Gestaltungswillen, in Bild und Wort, denn die Künstlerin ist gleichzeitig Schriftstellerin, die genauso über Stoffe wie das Frausein schreibt.

Wie ein Erweckungserlebnis beschreibt sie den Anblick eines Fragments eines antiken Teppichs mit roten Kreisen in einem Istanbuler Museum oder das Karomuster in dem Faltenwurf des Gewands des Engels auf Simone Martinis „Verkündigung mit St. Margaret und St. Ansanus“ (1333) in den Uffizien. Kreise wie Karos werden zu selbstständigen Elementen ihrer Bildsprache, die keine Furcht vor dem Dekorativen kennt. Im Gegenteil, das Dekorative wirkt bei ihr geradezu befreiend, genauso wie das Alter.

Tür an Tür mit Tintoretto

In dem neuen Dokumentarfilm „Tenga duro signorina! Isabella Ducrot Unlimited“ unter der Regie von Monica Stambrini, der zur Ausstellungseröffnung seine Deutschlandpremiere hatte, kann man die unglaubliche Vitalität und Lebensfreude der zierlichen Künstlerin mit dem weißen Pagenkopf hautnah erleben.

Seit Jahrzehnten lebt und arbeitet sie im Palazzo Doria Pamphilj in Rom, dem Privatmuseum der gleichnamigen Adelsfamilie, in dem sich das berühmte Velázquez-Porträt von Papst Innozenz X. sowie Gemälde von Tintoretto und Caravaggio befinden.

In den eigenen Räumen hängen Ducrots Bilder neben barocken Gemälden und indischen Miniaturen, die ihr kürzlich verstorbener Mann Vittorio, Gründer eines erfolgreichen Tourismusunternehmens, zusammengetragen hat.

Neben den floralen Motiven sind es immer wieder erotische Motive, die sowohl etwas Intuitives und Unmittelbares als auch etwas Tiefgründiges und Spirituelles ausstrahlen, das kulturelle Referenzen aus Philosophie, Brauchtum und textiler Tradition verwebt. Mit nachtwandlerischer Sicherheit der Farbe und Linie, die an Arbeiten von Henri Matisse denken lassen, entsteht eine Art textiler Bildsprache, die zugleich abstrakt und konkret, intim und universell, historisch und zeitgenössisch wirkt.

Eine Show für Dior

Dass die betagte Künstlerin keine Scheu vor Großformaten hat, stellten ihr Beitrag für die Art Unlimited in Basel 2022 und die monumentale Szenografie unter Beweis, die sie für die Pariser Haute-Couture-Schau von Dior im letzten Sommer entworfen hat.

Schaut man Isabella Ducrot bei der Arbeit im Atelier zu, zeigt sich das japanische Gampi-Papier genauso delikat und widerstandsfähig wie die Künstlerin selbst. Zartheit und Stärke zeichnen das Werk und die Künstlerin aus, der das Madre-Museum in Neapel ihre erste Retrospektive im kommenden Jahr widmet.

Die Grundsatzfrage nach der dekorativen Qualität beantwortet die Künstlerin selbst am besten: „Das Design war wie ein musikalisches Motiv, ein Lied, ein Gebet. Ich verstand, dass sich wiederholende Formen im Westen lediglich Dekoration sind, im Osten das eigentliche Thema.“ 

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