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Orient und Okzident. Das Foyer des Opernhauses in Muscat, der Hauptstadt des Oman, während der Pause von Puccinis „Madame Butterfly“ im Januar 2019.

©  Bernhard Schulz

Klassik in Oman: Der Golf hat eine neue große Oper

In Muscat ist ein beeindruckendes Opernhaus eröffnet worden. Die Hauptstadt des arabischen Omans entwickelt sich zum regionalen Zentrum der Musik. Ein Besuch.

Die Begeisterung für die Kunstform der Oper ist ungebrochen. Sie nimmt sogar zu und erobert Regionen, in denen sie bislang nicht heimisch war: vor allem in den Staaten am Persischen Golf.

Die Geschichte der europäischen Oper beginnt in Venedig, aber in Oman an der südöstlichen Ecke der Arabischen Halbinsel erlebt sie ihren jüngsten Höhepunkt. Das jedenfalls ist in sehr kurzer Fassung der Gang durch die Ausstellung „Oper. 400 Jahre Leidenschaft“, die zur Eröffnung des Hauses der Musischen Künste in Omans Hauptstadt Muscat gezeigt wird, ausgeliehen vom Victoria & Albert Museum in London, dem Mittelpunkt des einst mehr oder minder auch den Oman umfassenden British Empire.

Anschluss an die Tradition der Europäer

Es ist, wie man das auf Neudeutsch nennt, eine win-win situation. Der Oman findet gewissermaßen offiziell Anschluss an die Tradition der europäischen Oper, die der seit nahezu einem halben Jahrhundert herrschende Sultan Qaboos so sehr liebt, und das Londoner Museum vermarktet eine für den Export wie geschaffene Ausstellung, bei der sich Umfang und Schlusskapitel bruchlos auf das jeweils Gastrecht gewährende Empfängerland zuschneiden lassen.

Auf Venedig, London, Wien, Mailand und Paris – dies die übernommenen ersten fünf der sieben ursprünglichen Kapitel – folgt nun also das Opernhaus in Muscat, wie die anderen Kapitel mit einem prägenden Werk assoziiert. In diesem Fall allerdings mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass die Oper, mit der 2011 das etwas beziehungslos in ein hauptstädtisches Wohnviertel gestellte Opernhaus eröffnet wurde, Puccinis „Turandot“ ist, die der Komponist denn doch nicht für diesen entfernten Außenposten des Operngeschehens geschrieben hat.

Der Erfolgskomponist hat eine weitere Fernost-Saga im Portefeuille, „Madame Butterfly“, und mit einer Inszenierung der Deutschen Oper am Rhein von 2017 wurde jetzt die Eröffnung des Musikhauses gefeiert. Solche Kooperationen sind der geeignete Weg, Oper auf hohem Niveau zu zeigen. So ist die neueste Produktion Barrie Koskys, „La Bohème“ an der Komischen Oper, gemeinsam mit dem Abu Dhabi Festival produziert worden. Dort gibt es noch kein eigenes Opernhaus – da hat das Nachbarland Oman die Nase vorn.

Festliche Eröffnung mit dem Symphonieorchester Omans

Das dortige „House of Musical Arts“ bildet den baulichen wie auch konzeptionellen Annex des wuchtigen Opernhauses, verbunden durch eine elegante Fußgängerbrücke über die trennende Schnellstraße hinweg. Die 1100 Plätze des Opernhauses mit seinem in traditioneller Schnitzkunst mit Türen, Brüstungen und Wandverkleidungen dekorierten und ob des vielen Holzes warm klingenden Zuschauerraum waren voll besetzt. Die Mehrzahl stellten Expats, jene Ausländer, die wie überall am Golf viele der qualifizierten Arbeitsplätze des Landes ausfüllen, wenn auch deutlich weniger auffällig als in den Boomtowns Abu Dhabi oder Dubai. Die weithin gerühmte Liebe des Sultans zur Oper, dieser so artifiziellen Form der Musikdarbietung, geht keineswegs zulasten des in hohen Ehren gehaltenen kulturellen Erbes. So soll das neue Musikkunsthaus gleichrangig der Pflege traditioneller arabischer Musik dienen.

Zu dem Gebäude, das sich mit seinem strahlend weißen Marmor-Vorhof einreiht in das, was man im Land unter repräsentativer Architektur versteht, gehört neben zwei Stockwerken Ausstellungsräumen und einer Musikbibliothek auch ein eleganter Kammermusiksaal, am Eröffnungsabend festlich bespielt vom Symphonieorchester Omans. Das unterscheidet sich optisch von Gastorchestern wie dem des Puccini-Abends durch eine Art Landestracht, in der die bemerkenswert zahlreichen weiblichen Orchestermitglieder farbenprächtig hervorstechen.

Die Oper soll Omans Kulturtourismus helfen

Wie in den anderen Monarchien und Fürstentümern der Golfregion hält man sich in Oman mit Äußerungen zurück, die als offiziell aufgefasst werden könnten. Derlei bleibt dem Hof und seiner undurchschaubaren Hierarchie vorbehalten. Bei Letzterem denkt man an Michael Schindhelms leidvolle Erfahrungen beim Opernprojekt von Dubai. Oman allerdings, um keine falsche Analogie herzustellen, macht es weniger spektakulär, dafür erfolgreicher mit seiner Methode des step by step, die parallel zum Ausbau der Spielstätten den Aufbau eines eigenen Klangkörpers und dessen Unterfütterung mit Musikerziehung vorsieht.

Doch bei allem Kulturenthusiasmus ist herauszuhören, dass es gleichwohl auch darum geht, Omans Hauptstadt, das mit einer malerischen Hafenbucht aufwartende Muscat, als kulturelles Reiseziel zu positionieren. Der erst im vergangenen Jahr eröffnete neue Flughafen soll seinen Teil dazu beitragen, Touristen sei’s aus den zahlungskräftigen Golfstaaten, sei’s aus Europa oder aus dem geografisch doch recht nahen Indien für Oman zu interessieren. Gewiss muss niemand aus Europa eigens und allein zum Opernbesuch anreisen – obgleich weltenbummelnde Berliner Aficionados das bereits per Gruppenausflug getan haben –, aber sich nach einem Tag am Strand hochkulturell verwöhnen zu lassen, ist nicht die schlechteste Abwechslung in einem sommerwarmen Winterurlaub.

Der Bau ist Ausdruck einer vorsichtigen Modernisierung

Schade, dass beim Musikhaus wie schon beim größeren Operntheater versäumt wurde, architektonischen Anspruch auch nach außen kundzutun. Der die landeseigene Baupolitik bestimmende Leitbegriff der heritage architecture, zu übersetzen als architektonisches Erbe, ließ offenbar nur Anklänge an Grundformen einer wehrhaften Regionalarchitektur zu. Der importierte Bautyp des Musiktheaters hätte dabei am ehesten die Freiheit zu einer signifikanten Formensprache gelassen.

Es mag dies Ausdruck der vorsichtigen, jeder Sprunghaftigkeit abgeneigten Modernisierung sein, die der Sultan seinen Untertanen verordnet hat, und die übrigens auch nicht als „Modernisierung“, sondern als „Renaissance“ ausgegeben wird, worunter sich von der Festigung der Dynastie bis zur Opernliebe des Regenten alles fassen lässt. Erklärt und gefeiert wird diese Renaissance im Nationalmuseum, das sich in Sichtweite des Sultanspalastes erhebt. Im Museum finden sich historische Beispiele jener Holzschnitzkunst, die das Innere des Opernhauses verziert. Vielfach kamen Fenster und Türen früher aus Indien herüber, und dort wurden nun auch die Dekore für beide Häuser des Musiktheater geordert.

In ihnen fangen sich die Klänge, die von Venedig ihren Ausgang nahmen. Auch das war einst ein – wenn auch größerer – Ort des Austauschs von West und Ost, von materiellen Kostbarkeiten wie von immateriellen Köstlichkeiten. Es sind große Fußstapfen, in die Oman tritt, um seinen Weg zu gehen.

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