
© dpa/Stephan Rabold
„Krank Berlin“ bei Apple TV+: Die offenen Wunden von Neukölln
So eine Krankenhausserie gab es noch nicht. In „Krank Berlin“ soll eine neue Chefärztin die schlimmste Notaufnahme der Stadt aufmöbeln. Sogar Berliner können hier wenig meckern.
Stand:
Es ist dreckig, Menschen schreien, sämtliche Computer sind kaputt, Drogen kursieren, die Wände haben alle Farben außer Weiß. Ja, wo sind wie denn hier? In einer Berliner Schrottschule? Einem Berliner Bürgeramt?
Noch schlimmer: In einem Krankenhaus in Neukölln. Einem fiktiven immerhin, wobei die Frage, wie nah das unbehagliche Setting an der Realität ist, immer mitschwingen dürfte – vor allem bei Menschen, die regelmäßig den Tagesspiegel lesen. Es dauert zum Beispiel nicht lange, bis die ersten Opfer einer Schießerei ins Foyer dieser Berliner Notaufnahme geschleift werden und der Sicherheitsdienst Freunde und Familie der Verletzten vom gewaltsamen Eindringen in die Rettungsstelle abhalten muss.
Das lebensbedrohliche Chaos organisieren soll in der neuen Serie „Krank Berlin“ die neue Chefärztin Dr. Parker (Haley Louise Jones), die ihren alten Job in München aus persönlichen Gründen verlassen wollte. Ihre drei Vorgänger schmissen jeweils nach wenigen Wochen im „schlimmsten Krankenhaus Berlins“ wieder hin – der Letzte nach einer unheilvollen Schicht am ersten Mai, während der eine junge Lehrerin starb. Wer dafür verantwortlich war, ist nach wie vor ungeklärt. Auch das soll Dr. Parker ändern.
Zugedröhnt in Schädel bohren
Die neuen Kolleginnen und Kollegen, vom schnellen Durchlauf in der Chefetage genervt, begrüßen Parker wenig herzlich. Zwei Männer bilden die Ausnahme: Der hübsch-runtergerockte Unfallchirurg Ben Weber (Slavko Popadić) und der Assistenzarzt Dom Kohn (Aram Tafreshian) als einzig gutgelaunter Mensch im gesamten Krankenhaus. Zählen kann man aber auch auf diese beiden nicht, wie sich bald herausstellt: Der eine ist schwer drogenabhängig und bohrt auch schon mal zugedröhnt in Köpfe von Familienmitgliedern seiner Kollegen. Der andere ist entweder hochgradig inkompetent, oder schlicht ein Hochstapler.
Eine Verbündete lässt sich schließlich durch Inaussichtstellung eines besseren Jobs gewinnen. Die türkischstämmige Chirurgin Emina Ertan (Şafak Şengül) will dringend weg aus Berlin, auch, um räumliche Distanz zu ihrer Familie aufzubauen, die nicht ahnt, dass die Tochter lesbisch ist. Bald gibt es für Dr. Ertan allerdings einen Grund, doch noch mal über den Umzug nachzudenken: Die junge Rettungssanitäterin Olivia (Samirah Breuer), die zusammen mit ihrem Kollegen Olaf (Bernhard Schütz) täglich die Notaufnahme mit neuen Patienten beliefert.
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Von gewissen Berlin-Klischees haben sich der Headautor Samuel Jefferson, der selbst als Notarzt in London gearbeitet hat, und sein Team hinreißen lassen. Die Sanitäter holen Junkies aus Klohäuschen, ziehen Messer aus Hintern von Halbstarken mit Migrationshintergrund, werden bei After-Partys angeflirtet, während in einem Nebenraum Oralverkehr stattfindet und im anderen eine Leiche liegt. Bildschirme im Krankenhaus haben Einschusslöcher, nachts schwitzen die Ärzte im Club.
Ist all das einmal abgehakt, öffnet sich Raum für Unerwartetes, in dem die Serie eine große emotionale Wucht entfaltet. Ein Routine-Einsatz im Altenheim, der zum Horrorfilm wird. Die Behandlung einer obdachlosen Frau, deren Wunden seit Wochen unangetastet sind. Minderjährige Geflüchtete, die sich im Tiergarten mit Syphilis angesteckt haben. Der Moment, in dem ein Arzt einsieht, dass ein zu früh geborenes Baby nicht mehr atmen wird.
Alex Schaad und Fabian Möhrke inszenieren diese Szene ohne viel Pathos, fast beiläufig, als das, was sie ja auch ist: Alltag in der Notaufnahme. Und erschüttern die Zuschauer damit umso mehr.
Im großen Pool der Krankenhausserien schwimmt „KRANK Berlin“ damit für sich allein. Vergleiche mit deutschen Vorbildern à la „Schwarzwaldklinik“ und Co. muss man gar nicht erst bemühen. Aber auch von internationalen Genre-Größen wie „Emergency Room“ und „Grey’s Anatomy“ ist die Ko-Produktion, die ursprünglich für Sky und schließlich für ZDFNeo und Apple entwickelt wurde, weit entfernt. Denn während es auch dort ernst zugeht, gesellschaftliche Debatten aufgegriffen werden und Kritik an Gesundheitspolitik geübt wird, wechseln sich diese Szenen regelmäßig mit Momenten der Leichtigkeit ab, in denen die Autoren auch mal am Soap- und Humorregler drehen.
In „KRANK Berlin“ gibt es keine Ruhepausen, weder für das chronisch unterbesetzte Personal, noch für die Zuschauer. Dass man sich davon nicht abgeschreckt fühlt, sondern den Medizinern in ihrer Dauerüberforderung unbedingt weiter zuschauen will, ist die große Kunst, die dem Regie- und Autorenteam wie auch dem großartigen Ensemble hier gelingt. Die Hoffnung auf Heilung ist auch in diesem Albtraum-Krankenhaus nicht totzukriegen.
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