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Szene aus Annelies Kamens Videoinstallation "Greatest Hits" (2018).

© Annelies Kamen

Künstlerinnenprojekt Goldrausch: Und davon kannst du leben?

Das Projekt Goldrausch macht aus jungen Künstlerinnen Profis. Das zeigt die Ausstellung „Archipelago“ in Oberschöneweide.

So eine schicke Berufsbezeichnung hört man auch nicht alle Tage. „Ich bin Geräuschesammlerin“, sagt Yeongbin Lee. Außerdem beschäftige sie sich mit der Visualisierung von Bewegungen. „Eines Tages werde ich ein Geräusche-Lexikon publizieren.“ Die zierliche Südkoreanerin legt den Pinsel aus der Hand, mit dem sie den letzten Schliff an der Bemalung einer Skulptur aus Metall und Holz gelegt hat. Das Ding sieht aus wie eine Treppe, entpuppt sich aber wundersamerweise als Xylophon, auf dem die Künstlerin jetzt mit stilisierten Klöppeln Töne anschlägt, die offensichtlich dem Getrappel von Schuhen nachempfunden sind.

Das hat die in Seoul geborene Bildhauerin im U-Bahnhof Friedrichstraße einer viel begangenen Treppe abgelauscht und hinterher in Schwarz auf Weiß gezeichnete Bewegungsmuster, die Klangskulptur und eine an diesem Sonntag in der Ausstellung „Archipelago“ mit einem Percussionisten aufgeführte Komposition (14 Uhr) transponiert.

Seit 28 Jahren macht Goldrausch Künstlerinnen fit für den Kunstmarkt

Yeongbin Lees originelle Arbeit ist Teil einer Werkschau von 15 Frauen, die das Künstlerinnenprojekt Goldrausch in der lichten Weite der Reinbeckhallen in Oberschöneweide zeigt. Nach dem Prinzip Wundertüte fügen sich die Gemälde, Zeichnungen, Fotografien, Installationen, Skulpturen, Performances, Audio- und Videoarbeiten der in Berlin ansässigen, aber auch aus Israel, den USA, Litauen, Polen oder Frankreich stammenden Künstlerinnen an 18 Stationen zusammen. Und so eloquent, wie die Frauen zwischen Ende zwanzig und Ende dreißig über ihre Werke reden, macht sich scheint’s schon die Professionalisierung bemerkbar, die sie als diesjährige Teilnehmerinnen des Weiterbildungsprogramms durchlaufen haben.

Yeongbin Lee zeichnet hörbare Bewegungen.
Yeongbin Lee zeichnet hörbare Bewegungen.

© Yeongbin Lee

Seit 28 Jahren macht der Berliner Verein Goldrausch Künstlerinnen fit für den nach wie vor männerdominierten Kunstmarkt. Das Geld dafür kommt von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung und dem Europäischen Sozialfonds, ist also keine Kulturförderung, sondern ein Existenzgründungsprogramm, nur eben im Kulturbereich, erläutert Leiterin Hannah Kruse.

Dass die bildende Kunst derlei bitter nötig hat, belegen aktuelle Zahlen, die im Ausstellungskatalog nachzulesen sind. Neben dem geringeren Verdienst von Frauen, dem „Gender Pay Gap“, der in der bildenden Kunst bei 28 Prozent liegt, existiert auch ein sogenannter „Gender Show Gap“, also eine geringere Sichtbarkeit von Künstlerinnen, die deutlich weniger Einzelausstellungen bestreiten als Künstler.

Beim diesjährigen Gallery Weekend lag der bei mehr als 40 Prozent. Und dass, obwohl an der Berliner Universität der Künste fast doppelt so viele Frauen wie Männer Kunst studieren.

Kontakte zu Galeristen und Kuratoren sind wichtig

„Der Kunstmarkt ist extrem konservativ und kann oder will sich kaum Risiken leisten“, kommentiert Kruse das Missverhältnis. Was womöglich erklärt, warum die Arbeiten von Frauen seltener ausgestellt und billiger verkauft werden, aber nicht, warum die Unausgewogenheit auch bei der Vergabe von Preisen existiert. Den Berliner Kunstpreis etwa erhielten laut Katalog zwischen 2007 und 2017 zwei Frauen und zehn Männer.

Dementsprechend fällt die Nachfrage nach gezielter Künstlerinnenförderung aus. Auf die 15 Plätze bei Goldrausch bewerben sich pro Jahr 150 bis 180 Künstlerinnen, die das hier vermittelte Knowhow im Studium oft vermisst haben.

Das ging jedenfalls Annelies Kamen so. Die Amerikanerin ist 2014 nach dem „Master of Arts“ von Boston nach Berlin umgezogen. Dass sie das häufig unterbelichtete Thema Feminismus und Humor in smarten und lustigen Videos zu bearbeiten weiß, schafft auf Anhieb keinen Marktwert. „Ich hatte keine Ahnung, wie ich die Kunst nun zum Beruf machen soll, Galeristen kennenlerne, mich selbst präsentiere.“ Genau dabei hilft das Goldrausch-Programm. Es macht die Frauen mit Galeristen und Kuratoren bekannt. Lehrt Selbstdarstellung per Webseite und Rhetorik-Übungen, dazu Projektförderung, Ausstellungsmanagement, Steuer- und Urheberrecht, informiert über die Künstlersozialkassenmitgliedschaft und – was für Hannah Kruse fast das Wichtigste ist – hilft den starken, allesamt ausstellungserprobten Newcomerinnen ein Netzwerk aufzubauen.

"Sieht aus, als hätte es ein Mann gemacht"

Das trotz vieler Ideen, technischer Fähigkeiten und allerlei Vermarktungs-Knowhow unheilbare Drama prekärer Künstlerinnenexistenz setzt die Medienkünstlerin Silke Schwarz in ihrer Videoperformance kongenial ins Bild. Angetan mit einem hautengen, goldenen Catsuit steht sie strengen Blicks auf dem wackelnden Boden einer elektrischen Muskeltrainiermaschine und malt sich in steilen Lettern die Frage „Und davon willst du leben?“ in Spiegelschrift auf den Leib.

Das ist eine Grundsatzfrage, die sich auch für die Kursteilnehmerinnen jedes Jahr wieder stellt. Obwohl der von rund 40 externen Dozentinnen gegebene Unterricht bei Goldrausch gebührenfrei ist, handelt es sich nicht um ein bezahltes Stipendium. Alle Künstlerinnen arbeiten zusätzlich weiter an ihren Projekten, in ihren Brotjobs. Dabei erleben sie mitunter stark nach dem Muff der fünfziger Jahre klingende Episoden, die die abstrakten Zahlen über den Anteil von Frauen und Männern am Kunstmarkt ungewollt plastisch illustrieren.

Anna Fiegens Malerie zitiert und verfremdet Architektur.
Anna Fiegens Malerie zitiert und verfremdet Architektur.

© Anna Fiegen

So wie Anna Fiegen, die das klassische Genre gegenständlicher Malerei pflegt. Ihre monochromen, von brutalistischer Architektur inspirierten Gemälde, die in den Reinbeckhallen hängen, bestechen durch Klarheit und Strenge. Als Kommentar dazu höre sie oft „sieht aus, als hätte es ein Mann gemacht“ erzählt die in Coesfeld geborene Malerin und merkt gelassen lächelnd an, dass das Vorurteil, Frauen malten immer organische Formen einfach nicht auszurotten sei.

Die konservative Haltung mancher Sammler und Galeristen kann sie nur bestätigen. „Junge Frauen vertrete ich nicht, die werden bloß schwanger und malen nicht mehr“, hat ihr ein Galerist direkt ins Gesicht gesagt. Wovon sie bei Goldrausch besonders profitiert? Vom Austausch unter den Kolleginnen, sagt Fiegen. „Als Malerin bin ich ja sonst Einzelkämpferin.“

Wie es aussieht, haben Hannah Kruse und ihre Truppe noch ein paar Jahre zu tun.

Reinbeckhallen, Reinbeckstr. 17, Oberschöneweide, bis 14. 10., Do–So 14–19 Uhr, Katalog 15 Euro, Infos und Bewerbungen: www.goldrausch-kuenstlerinnen.de

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