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Su-Ran Sichling zitiert in „Über Grenzen“ DDR-Zäune und Schnittmusterbögen für Jeans, die Vietnamesinnen für den Export schneiderten.

© Staatliche Museen zu Berlin / Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss / Foto: Pierre Adenis, VG Bildkunst Bonn 2024

Künstlerischer Internationalismus in der DDR: Blicke über die Mauer

Die Ausstellung „Über Grenzen“ im Berliner Humboldt Forum kombiniert Arbeiten heutiger Künstler mit der Kulturgeschichte der DDR.

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Das Klischee der DDR vom eingemauerten Land ohne Kontakte nach außen aufzubrechen, scheint Hartmut Dorgerloh, dem Generaldirektor des Humboldt Forums, ein Anliegen zu sein. Der Kunsthistoriker wurde 1962 in Ost-Berlin geboren, er ist in Potsdam aufgewachsen und kann mit biografisch begründeter Autorität sagen: „Weltinteresse war auch in der DDR möglich.“

So geschehen beim Rundgang durch die Schau „Über Grenzen. Künstlerischer Internationalismus in der DDR“, die jetzt gut versteckt auf der Sonderausstellungsfläche im dritten Obergeschoss die große Palast-der-Republik-Ausstellung „Hin und weg“ flankiert. „Über Grenzen“ verknüpft die Arbeiten von fünf zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern mit der Kulturgeschichte der DDR.

Die Textilblüten „Präsente für die Ewigkeit“ des deutsch-vietnamesischen Künstlers Minh Duc Pham bestehen aus DDR-Stoffen.

© Minh Duc Pham

Die Schau markiert im Humboldt Forum den Beginn einer kontinuierlichen Abfolge von „zeitgenössischen Positionen“, wie es im Kuratorensprech heißt. Die wolle das Haus zukünftig nicht nur zur DDR und dem rekonstruierten Schloss zeigen, sondern auch zu Themen wie Familie, Heimat und Kolonialismus, wie Dorgerloh ankündigt.

Tatsächlich reibt man sich beim Betreten von „Über Grenzen“ verwundert die Augen, so wenig DDR-Kulturgeschichte ist trotz des historisch anmutenden Ausstellungstitels auf den ersten Blick zu sehen. Beim zweiten Blick, der ohne die Begleitbroschüre zu „Über Grenzen“ ebenfalls ratlos umherirren würde, erschließen sich dann aber interessante Querverweise und Bezüge.

Man begreift, wie konkret sich nicht nur der in Japan geborene Fotograf Seiichi Furuya mit der DDR auseinandersetzte, der in den 80er Jahren als Dolmetscher in Ost-Berlin arbeitete und das dortige Leben dokumentierte. Sondern auch die Plastiken der Bildhauerin Su-Ran Sichling, die in Dresden studierte und lehrte, loten DDR-Phänomene aus.

Noch ein Blick in die Ausstellung „Über Grenzen“. Im Vordergrund Skulpturen von Su-Ran Sichling, im Hintergrund Ost-Berlin-Fotografien von Seiichi Furuya.

© Staatliche Museen zu Berlin / Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss / Foto: Pierre Adenis, VG Bildkunst Bonn 2024

„Zäune“ heißt eine Serie, die die eigenwilligen Muster von DDR-Metallzäunen zitiert, die von Sichling bunt lackiert und mit Schattenwurf an der Wand installiert, von individueller Abgrenzung in einem kollektivierten Staat erzählen. Ein Hingucker ist auch „Blick zu Nachbarn (Wiedervorlage)“, für den die Künstlerin einen abstrakten, 1989 im Zirkel Textilgestaltung Zittau gewebten Teppich mit blauen Schnittmustern für Hosen kombiniert. Sie stehen für die Arbeit von vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen, die die nur für den Export bestimmten Jeans nähten.

Auch die DDR-Stoffe und Figuren wie Pittiplatsch und Schnatterinchen oder FDJ-Fahnen verarbeitende Textilblüten des Deutsch-Vietnamesen Min Duc Pham beschäftigen sich mit dem Leben der Vertragsarbeiterinnen, denen es beispielsweise von Staats wegen untersagt war, im Gastland schwanger zu werden, weil das ihre Produktivität behindert hätte, wie der Künstler beim Rundgang erzählt.

Vertragsarbeiterinnen durften nicht schwanger werden

Am Rand des Raumes finden sich in Vitrinen historische Zeugnisse internationaler Kontakte. Dass sich Kunst und Kultur in der DDR nicht nur am eigenen Land abarbeiteten, haben seit 2017 schon andere Ausstellungen dokumentiert, sagt Kerstin Pinther, Kuratorin für Kunst im globalen Kontext am Museum für Asiatische Kunst und dem Ethnologischen Museum, die verantwortlich für „Über Grenzen“ zeichnet.

Etwa im Museum für Bildende Kunst Leipzig und kürzlich auch im Albertinum Dresden. Neben den Vertragsarbeitern aus Vietnam und Mosambik kamen auch Studierende und Exilanten von anderswo ins Land.

Hier im Humboldt Forum zeige sich ein Berlin-Bezug, weil in Ost-Berlin ab 1965 die Grafikausstellung „Intergrafik“ und von 1970 bis 1990 das Festival des politischen Liedes stattfanden. Klar, dass bei den dort präsentierten künstlerischen Kontakten die sozialistischen Bruderländer im Vordergrund standen. In einem Heft über „Kubanische Revolutionäre Grafik“ etwa oder in einem Amiga-Album mit „Roten Liedern“ aus Costa Rica und Nicaragua. Es sind Facetten, Schlaglichter, die „Über Grenzen“ aufwirft, kein abgeschlossenes Bild.

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