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„Sisterqueens“ von Clara Stella Hüneke

© Clara Stella Hüneke

Neues Berliner Dokumentarfilmfestival : Geschichten, die sonst ungehört bleiben

Berlin hat mit der Dokumentale ein neues Filmfest, das sich dem Dokumentarischen verpflichtet. Von 10. bis 20. Oktober sind über 50 Filme in einem Dutzend Kinos und an besonderen Veranstaltungsorten zu sehen.

Von Selin Amil

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Einmal aussprechen, was einen beschäftigt. Geschichten und Erfahrungen teilen, um andere zu inspirieren und Veränderungen anzustoßen. Für viele junge Mädchen im Berliner Bezirk Wedding ist dieser Wunsch Wirklichkeit geworden, dank des Hip-Hop-Projekts „Sisterqueens“. Für ihren gleichnamigen Dokumentarfilm hat Regisseurin Clara Stella Hüneke vier Jahre lang Jamila (10), Rachel (12) und Faseeha (13) begleitet.

Die drei Mädchen finden als Teil des Hip-Hop-Kollektivs ihre Stimmen und entdecken in der Musik eine kraftvolle Form des Ausdrucks für ihre persönlichen Erfahrungen und gesellschaftlichen Herausforderungen. In ihren Texten thematisieren sie Diskriminierung, Feminismus und die Suche nach Selbstbestimmung.

„Sisterqueens“ ist Hünekes Abschlussarbeit an der Filmakademie Baden-Württemberg, die Produktion feierte im Sommer Premiere beim Filmfest München. Diese Woche eröffnet er die erste Ausgabe des Berliner Dokumentarfilmfestivals Dokumentale, das vom 10. bis 20. Oktober in über einem Dutzend Kinos und Veranstaltungsorten stattfindet.

Kontroverse um die Dokumentale

Seit seiner Ankündigung im vergangenen Mai begleitet das Festival ein heftiger Streit in der Berliner Kinobranche. Durch die zeitliche Überschneidung mit den bereits etablierten Dokuarts und dem Human Rights Film Fest Berlin (HRFFB) befürchten Kritiker:innen, dass die Dokumentale unter Anna Ramskogler-Witt, im vergangenen Jahr noch die Leiterin des HRFFB, andere Festivals verdrängen könnte.

Mit der Verteilung von Fördergeldern hat sich diese Befürchtung bereits bestätigt: Die Dokumentale erhielt vom Medienboard Berlin-Brandenburg 200.000 Euro, während das HRFFB leer ausging, weil es nicht auf einen Alternativtermin wechseln konnte – was das Medienboard zur Voraussetzung für eine Förderung gemacht hatte. Die Senatskanzlei und das Medienboard äußern sich nicht zu den Vorwürfen, doch in der Szene wird eine fehlende Transparenz bei der Vergabe von Fördergeldern kritisiert.

Vivian Schröder, die Co-Leiterin der Dokumentale, antwortet auf die Anfrage des Tagesspiegel, dass der Termin nicht wissentlich in die Festivalzeiträume von HRFFB und Dokuarts gelegt worden sei – eine Antwort, die vor dem Hintergrund von Ramskogler-Witts letztem Job bis Februar 2024 kurios klingt. Sie erklärt weiter: „Wir betrachten unsere multidisziplinär ausgerichtete Festivalstruktur sowie unser impact-orientiertes Fachprogramm aber ohnehin als komplementär zu den bestehenden Berliner Filmfestivals. Wir glauben, dass sich dadurch zahlreiche Möglichkeiten für Synergien ergeben.“ Fragt sich nur, für wen.

Dokuarts findet in diesem Jahr mangels Förderung gar nicht statt, was die Sorge um die Zukunft anderer Festivals verstärkt. In einem offenen Brief klagt Festiwelt, der Verbund von 22 Berliner Filmfesten, klare Strukturen bei der Geldervergabe ein, damit die Vielfalt im Berliner Festivalkalender nicht gefährdet ist.

Empowerment durch Hip-Hop

Die Sorge um die kulturelle Vielfalt entkräftet zumindest gleich der Eröffnungsfilm der Dokumentale. Unter Anleitung erfahrener Rapperinnen wie Ebow und Alice Dee lernen Jamila, Rachel und Faseeha, eigene Texte zu schreiben und auf der Bühne zu stehen.

Sisterqueens, gegründet von der Organisation Peira in Kooperation mit lokalen Mädcheneinrichtungen, ist mehr als ein musikalisches Experiment: Es schafft für die Teilnehmerinnen einen Raum, in dem sie einander unterstützen, sich austauschen und ihre Identität entwickeln können. Die künstlerische Arbeit gibt den jungen Mädchen Selbstvertrauen und eröffnet ihnen Möglichkeiten, sich jenseits traditioneller Rollenbilder zu entfalten.

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Und ganz beiläufig zeichnet Hünekes Film auch ein authentisches Bild des Lebens im Berliner Stadtteil Wedding, einem Viertel, das von Gentrifizierung und sozialer Ungleichheit geprägt ist. Die Protagonistinnen müssen sich mit Herausforderungen auseinandersetzen, die über die Musik hinausgehen, denn Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder ihrer sozialen Stellung sind ständige Begleiter.

Filme über Tourismus, sexuelle Erpressung und New Wave

Es ist vor allem die Gemeinschaft, die die Mädchen so stark macht. Sie lernen nicht nur, wie sie ihre Texte schreiben und performen können, sondern auch, wie sie sich in einer männerdominierten Musikszene behaupten. Sie schaffen sich einen Raum, in dem ihre Stimme zählt und gehört wird.

„Hexagonal Hive“ von Tilda Swinton, Bartek Dziadosz

© Derek Jarman Lab

In ihrem ersten Jahr versammelt die Dokumentale über 50 aktuelle Produktionen, von denen zehn um einen mit 20.000 Euro dotierten Hauptpreis konkurrieren. Zu diesen gehören Katarina Stankovićs „The Tempest of Neptun“, der die Wachstumsgrenzen des globalen Tourismus hinterfragt, „My Sextortion Diary“, in dem die Regisseurin Patricia Franquesa einen Hackerangriff aufarbeitet, durch den Nacktbilder von ihr im Internet landeten, und „New Wave“ von Elisabeth Ai über den Einfluss des New-Wave-Sounds auf vietnamesische Geflüchtete in den USA.

Zum erweiterten Programm gehört auch „Uncropped“, produziert von Wes Anderson, der an den Fotografen James Hamilton und seine ikonischen New-York-Bilder aus den 1970er und 1980er Jahren erinnert. In „The Hexagonal Hive and a Mouse in a Maze“ reflektieren Tilda Swinton und Bartek Dziadosz die Zukunft des Lernens. Zwei Filme porträtieren Greta Gerwig und Christopher Lee. So bietet die Dokumentale in ihrem ersten Jahr einen breiten Überblick über die Vielfalt des internationalen Dokumentarfilms. Und setzt damit ein wichtiges Zeichen.

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