
© Thomas Koy
Neuköllner Oper: Eine faszinierende Frau
An der Neuköllner Oper erforschen die Regisseurin Kathrin Herm und die Komponistin Dariya Maminova das Leben der Kommunistin Olga Benario.
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Kennen Sie Olga Benario? Kaum jemand im Studio der Neuköllner Oper wird sich auf die Frage der Schauspielerin Rita Feldmeier melden. Und tatsächlich erinnert neben einem „Stolperstein“ vor ihrem ehemaligen Wohnhaus in der Innstraße 24 in Berlin-Neukölln und der Galerie Olga Benario nicht mehr viel an diese einzigartige Frau. Gemeinsam „stolpert“ das Publikum an diesem Abend durch das Leben der Agitatorin, Revolutionärin, Jüdin, Kommunistin, Kosmopolitin, Agentin, Leibwächterin, Ehefrau und Mutter, die im Alter von nur 36 Jahren von den Nazis umgebracht wurde.
Die brennende Kommunistin Benario kommt 1925 in Berlin an und setzt sich als Agitprop-Leiterin schnell an die Spitze der Kommunistischen Jugendbewegung. Nach Inhaftierung, Freilassung und der spektakulären Befreiungsaktion von Otto Braun aus dem Strafgefängnis Moabit, flieht Sie nach Moskau und lässt sich zur Agentin der Kommunistischen Internationale (Komintern) ausbilden. Nach weiteren Verhaftungen in England und Frankreich kommt Sie über sieben Zwischenstationen 1935 nach Rio de Janeiro.
1942 wird sie von den Nazis ermordet
Benario ist gerade einmal 27 Jahre alt, als sie und ihr Ehemann Luís Carlos Prestes einen von Moskau initiierten, kommunistischen Umsturzversuch wagen, scheitern, erneut in Haft genommen und nach Nazi-Deutschland ausgeliefert werden. 1937 bringt sie in Gestapohaft ihre Tochter Anita zur Welt, die ihr wenig später weggenommen und zu Großmutter und Tante gegeben wird. Olga Benario wird am 23. April 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg vergast.

© Thomas Koy
Der Briefwechsel der Eheleute Benario-Prestes und Interviews bilden die Grundlage für das dokumentarische Musiktheater „Ich heb‘ dir die Welt aus den Angeln“ von Regisseurin Kathrin Herm und Komponistin Dariya Maminova. Die über 2000-seitige Gestapo-Akte Benario ist überdies ein einzigartiges Zeugnis des Widerstands und ihrer Weigerung zu “kooperieren” und „Genossen“ zu denunzieren.
In 80 Minuten durch ein Menschenleben
Wie nähert man sich diesem Leben an, das genug Stoff für einen Krimi abgäbe, und einer Persönlichkeit, die sich irgendwo zwischen den Polen einer liebenden Mutter und einer radikalen Revolutionärin bewegt? In der intimen Atmosphäre des Studios der Neuköllner Oper versucht das tolle Ensemble bestehend aus Christian Clauß, Rita Feldmeier und Marina Frenk einen Zugang zu rekonstruieren. Das Publikum ist zu zwei Seiten der zentralen Bühne positioniert. Der Bühnenraum, ganz in rot getaucht, richtet sich auf ein unvollständig gesticktes Porträt Benarios an einer der Seitenwände aus, von der Decke hängende Leinwände bringen abwechselnd Porträts zu aufgenommenen Interviews.
In 80 Minuten werden biografische Szenen nachempfunden, Briefe rezitiert und große Konzepte wie Solidarität, Integrität, Mutterliebe und nicht zuletzt auch kommunistische Ideale kritisch ausgeleuchtet. Texte des Autorinnentrios Kühn, Herm und Frenk, arrangierte Arbeiterlieder Hanns Eislers und Kompositionen von Maminova werden nahtlos in die Dokumentation eingeflochten. Fidan Aghayeva-Edler spielt Akkordeon und triggert Einspieler und Samples. Stilistisch bewegt sich das musikalische Spektrum von collagierter Marschmusik über trashige Beats und Rap bis hin zu elektroakustisch komponierten Momenten oder Noise.
Es ist die unbestreitbare Leistung des Stückes einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur zu bewältigen. Der Reiz geht allerdings weniger von einer wirklich stimulierenden, ästhetischen Musiktheatererfahrung, als vielmehr von der faszinierenden Gewalt der facettenreichen, unnahbaren Persönlichkeit Olga Benarios aus, wie Clauß zum Ende konstatiert: „Mein Bild von ihr bleibt undeutlich, mal scharf, mal verschwommen, mal überlebensgroß ...“.
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