zum Hauptinhalt
Abendstimmung im Zentrum von Berlin-Mitte.

© IMAGO/Dirk Sattler

No-Go-Areas für Juden?: Wir gehen nicht, wir sind schon da

Wenn Berlins Polizeipräsidentin vor bestimmten Kiezen warnt, bedient sie eine irrige Vorstellung. Denn jüdische Menschen sind überall – und sollten es auch sein, schreibt unsere Schlamasseltov-Kolumnistin.

Debora Antmann
Eine Kolumne von Debora Antmann

Stand:

„No-Go-Areas“ für Jüd*innen: Jedes Mal, wenn mit diesem Narrativ jongliert wird, zeigt es den verstellten Blick auf Berlin. Jüd*innen leben in allen Bezirken dieser Stadt. Wir laufen nicht tagsüber wahllos in Bezirke rein und raus und ziehen uns zum Schlafen in einen mystischen Juden-Bezirk zurück.

Wir sind Neuköllner*innen oder Kreuzberg*innen oder Lichtenberger*innen oder Charlottenburger*innen oder Weddinger*innen oder Hellersdorfer*innen oder oder oder. Viele auch nicht erst seit gestern. Viele sind hier aufgewachsen. Einige sind seit Generationen hier. Ich betone das, weil ich erlebe, dass Jüd*innen in vielen Bezirken nicht als „native Bevölkerung“ gedacht werden.

Im Jahr 2022 frage ich einen Veranstaltungsort in Kreuzberg für eine Ausstellung zu wehrhaften Jüd*innen an und erhalte als Reaktion, dass man besorgt sei, dass damit die „ansässige Bevölkerung“ provoziert werde, sich unwohl fühlen könnte. Dass Jüd*innen zur „ansässigen Bevölkerung“ in Kreuzberg gehören, kommt den Betreiber*innen gar nicht in den Sinn. Ausgerechnet in Kreuzberg und einen Steinwurf vom Fraenkelufer entfernt.

„No-Go-Areas“ impliziert, dass wir eine Wahl hätten an diese Orte zu gehen, statt zu betonen, dass viele von uns beispielsweise in Neukölln leben. Oder zu betonen, was Neukölln auch historisch für Jüd*innen bedeutet. Diese Orte zu „No-Go-Areas“ zu erklären, entreißt uns doppelt die Daseinsberechtigung, negiert den Umstand, dass dieser Kiez auch unser Kiez ist und die Verbindung, die viele Jüd*innen zu diesem Bezirk haben.

Uns wird die Daseinsberechtigung abgesprochen

Wir müssen über Antisemitismus und Gefährdung in Berlin sprechen, ohne das Narrativ zu bedienen, Jüd*innen würden an bestimmte Orte der Stadt nicht gehören, würden dort nicht leben, hätten sie nicht mitgestaltet – historisch und in der Gegenwart.

Bestimmte Bezirke für unbetretbar zu erklären, ignoriert die Gefahr, die in ganz Berlin für Jüd*innen herrscht, ignoriert, dass wir auch in Lichtenberg Gewalt ausgesetzt sind, in Mitte bespuckt werden, in Charlottenburg dumme Sprüche hören – und trotzdem leben wir in all diesen Bezirken, weil wir keine andere Wahl haben, weil wir hier zu Hause sind, weil wir wollen oder müssen.

„No-Go“ suggeriert, wir gehen in bestimmte Bezirke, aber wird sind schon dort, seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten zum Teil.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })