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 Der Abend dämmert, der Film beginnt Kino im Hof des einstigen Ministeriums für Staatssicherheit. 

© Bundesarchiv/Witzel

Open-Air-Kino in der Stasi-Zentrale: Für die Freiheit muss man kämpfen

Das Campus-Festival auf dem ehemaligen Stasi-Gelände in Lichtenberg ist zum Publikumsmagnet geworden. In diesem Jahr werden Filme gezeigt, die vom Leben in der DDR und dem Weg zur Demokratie erzählen.

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Das ehemalige Stasi-Gelände im Berliner Stadtteil Lichtenberg ist heute ein merkwürdig stiller Ort. Bis zur friedlichen Revolution von 1989 arbeiteten dort etwa 7000 Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Nun verfallen dort ganze Wohnblöcke, auch 13-stöckige Waschbeton-Plattenbauten aus der Endzeit des Regimes stehen leer. Bis zur Wende waren hier Stasi-Offiziere damit beschäftigt, gegen Oppositionelle zu ermitteln, sie zu verhaften und zu verhören. Mit allem hatten sie gerechnet, nur nicht mit dem Zusammenbruch der DDR.

Das Quartier, in dem sich Zeitgeschichte verdichtet, war eine Art Stadt in der Stadt, streng abgeschirmt und berüchtigt. Die Stasi verfügte über eigene Restaurants, Bars, Sportanlagen, sogar ein Klinikum, ein Theater und Kino. Daraus wurde ein Lost Place, in dem vom Horror nur noch wenig zu spüren ist. Die drei Institutionen, die sich da heute für die Aufarbeitung der Vergangenheit und die Zukunft der Demokratie engagieren, haben zusammen nur wenige hundert Mitarbeiter.

Kommunist und Patriot. Der US-Sänger Dean Reed stieg in der DDR zum Star auf.

© Promo/Tagesspiegel

Lebendig wird es hier im Sommer, wenn in der Abenddämmerung das Open-Air-Kinofestival beginnt. Zu sehen sind Filme, die sich mit der DDR und der Stasi beschäftigen. Es wird vom Bundesarchiv, dem Stasi-Unterlagen-Archiv und der Robert-Havemann-Gesellschaft veranstaltet und findet im Innenhof des einstigen Ministeriums statt.

Direkt neben dem Büro von Erich Mielke, der dort von 1957 bis 1989 als Minister für Staatssicherheit amtierte. Im Hintergrund reflektiert die Fensterfront eines Gebäuderiegels die untergehende Sonne. Der langgezogene Bau wurde zu DDR-Zeiten wegen seiner Bauhaus-artigen Fabrikbauweise und der gelblich verspiegelten Fassade „Kleiner Palast der Republik“ genannt. Dort gab es ein Theater und ein Kino, in denen sich die Stasi-Mitarbeiter nach Feierabend erholen konnten.

Quasi immer ausverkauft

„Wir haben hier jeden Abend 800, 900 Besucher“, erzählt Daniela Münkel. Die Historikerin, die sich als Kennerin des NS-Regimes und der DDR-Geschichte einen Namen gemacht hat, arbeitet am Stasi-Unterlagen-Archiv und lobt das Festival. „Es ist sozusagen immer ausverkauft.“ Der Eintritt ist frei, wenn die Liegestühle und Klappstühle nicht reichen, machen es sich die Zuschauer auf dem Rasen mit Bier und Brezeln gemütlich. Stimmungslage: heiter bis gelassen.

Erich Honecker und Erich Mielke salutieren bei einem Besuch in der Stasi-Zentrale. Das Bild ist Teil der Dauerausstellung im Stasi-Unterlagen-Archiv.

© Bundesarchiv, Christian Hermann/Tsp

„Mit den Filmen erreichen wir Leute, die sonst nicht auf das Gelände kämen“, sagt Münkel. „Manche haben Schwellenangst, hier ins Museum zu gehen, sich mit den Stasi-Akten zu beschäftigen.“ Das Festival gibt es seit 2021, in diesem Jahr reicht das Spektrum von Komödien und Melodramen wie „Zwei zu Eins“ und „Kruso“ bis zum Dokumentarfilm „Stasi FC“, der die Geschichte des BFC Dynamo erzählt.

Der größte Fan des Berliner Fußballvereins und gleichzeitig sein Präsident war Erich Mielke. Legendär wurde sein Satz „Ich liebe euch doch alle“, den er am 13. November 1989 im Plenarsaal der DDR-Volkskammer stammelte, des Pseudo-Parlaments, das im Palast der Republik tagte. Das SED-Politbüro, zu dessen Mitgliedern Mielke gehörte, hatte Erich Honecker vier Wochen zuvor zum Rücktritt gezwungen.

In Santiago de Chile feiert der „Eislerclub“ bis heute den DDR-Star Dean Reed. Der Sänger war mit dem Präsidenten Salvador Allende befreundet, der 1973 bei der Erstürmung seines Palastes durch das putschende Militär in den Selbstmord getrieben wurde.

© MANFRED THOMAS TSP

Drei Tage vor Mielkes Auftritt in der Volkskammer, am 9. November 1989, hatten Demonstranten im Zuge der friedlichen Revolution die Öffnung der DDR-Grenzmauer erkämpft. Die Wiedervereinigung, die der Stasi-Minister mit seiner beschwichtigend gemeinten Formulierung noch verhindern wollte, ließ sich nicht mehr aufhalten. Mielke wurde von den Parteibonzen ausgelacht. Beim Auftrag, „Schild und Schwert“ der SED-Partei zu sein, versagte die Staatssicherheit kläglich.

Beim Campus-Filmfestival lief vor wenigen Tagen die Kino-Dokumentation „Der rote Elvis“. „Roter Elvis“, so wurde der amerikanische Sänger und Schauspieler Dean Reed genannt, der 1972 nach Ost-Berlin zog und dort zum Star aufstieg. Er war Kommunist, kämpfte gegen den Vietnamkrieg und starb 1986 bei Königs Wusterhausen durch Suizid. Die Stasi setzte das Gerücht von einem „Unfall“ in die Welt und suggerierte, dass US-Agenten daran beteiligt gewesen sein könnten.

Die Wahrheit steht in den Akten

Bis heute kursieren Verschwörungstheorien. Dabei hat die Stasi die Wahrheit penibel protokolliert, man findet sie in den Akten. Auch Fotos, die Volkspolizisten und Stasi-Bedienstete nach Reeds Suizid machten, sind dort abgelegt worden.

Die Aufnahmen zeigen Dean Reeds Chevrolet, mit dem er zum Tatort gefahren war, die Todesstelle - einen See -, und seine Leiche vor und nach der Obduktion. Vor jedem Film findet eine Führung durchs Stasi-Archiv statt. Allerdings ist dafür eine vorherige Anmeldung erforderlich (unter: einblick-ins-geheime@bundesarchiv.de).

Der Weg führt durch drei Stockwerke des ehemaligen Ministeriums, vorbei an Karteikästen, Regalwänden und einem stillgelegten Paternoster. In Vitrinen liegen Utensilien, die der Stasi beim Horchen, Gucken, Spionieren halfen: Überwachungskameras, bergeweise Tonbänder, Video- und Musikkassetten.

Unter den Millionen Akten gibt es auch Bestände zu Dean Reed. Seit er den Boden der DDR betreten hatte, wurde er von Agenten und Spitzeln der Stasi begleitet. Das Angebot, selber der Stasi als Inoffizieller Mitarbeiter zu dienen, lehnte er ab. 1977 war er über die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann empört und weigerte sich zunächst, wie andere Prominente seine Solidarität mit dem Regime in einem Huldigungsbrief zu dokumentieren.

Unterschrieben hat Dean Reed ihn erst - wie im Dokumentarfilm über den „Roten Elvis“ zu sehen -, als der FDJ-Anführer Erich Krenz ihn dazu aufforderte. 1986, nach 14 Jahren hatte er genug vom Realsozialismus. Seine Karriere stagnierte, die Ehe kriselte, er wollte zurück in die USA.

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Als Dean Reed 1985 zum Denver Film Festival flog, um dort den überaus wohlwollenden, von ihm teilweise finanzierten Dokumentarfilm „American Rebel“ über sein Leben vorzustellen, kündigte er an, bei den Wahlen zum Senator in Colorado antreten zu wollen. Eine aberwitzige Idee, schließlich hatte Reed jahrelang in Lateinamerika und im Ostblock gegen die USA agitiert und dabei sogar die Stars-and-Stripes-Flagge als Symbol des Kapitalismus und Vietnamkriegs verbrannt.

Der Sänger und Schauspieler, dessen Werk in den USA kaum jemand kannte, musste einsehen, dass seine Rückkehr in die Heimat auf Widerstand stoßen würde. Zurück in der DDR, kündigte er mehrfach gegenüber Vertrauten an, seinen Selbstmord zu planen. Den Abschiedsbrief richtete Dean Reed persönlich an Erich Honecker. Darin schrieb er, dass der Kommunismus eine gute Idee, in der DDR aber noch weit von seiner Verwirklichung entfernt sei.

Reed hatte schon zuvor beklagt, dass er sich in der DDR eingeengt und unfrei fühle. Sein letztes Schriftstück fehlt im Stasi-Archiv. Honecker, de facto Diktator der DDR, aber immer abhängig von der Sowjetunion, behielt den Brief wahrscheinlich bei sich, als er 1992 ins Exil nach Chile floh. Seither gilt er als verschollen.

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