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Der antisemitische Oberstleutnant Picquart (Jean Dujardin, links) war der militärische Ausbilder des Angeklagten Alfred Dreyfus (Louis Garrel).

© Weltkino

Polanskis „Intrige“ im Kino: Die Dreyfus-Affäre als Politthriller

Der umstrittene Roman Polanski erhitzt in Frankreich mit seinem Drama „Intrige“ die Gemüter. Doch seine Kritik am Antisemitismus wirkt vorgeschoben.

Von Andreas Busche

Der Jude wird vor den Augen der Militärs gedemütigt. Ein französischer Offizier reißt dem Hauptmann Alfred Dreyfus (Louis Garrel) die militärischen Abzeichen von der Uniform und lässt sie in den Staub fallen. Auszeichnung um Auszeichnung wird dem verdienten Soldaten, während er lautstark seine Unschuld beteuert, vor den feixenden Vorgesetzten seines Regiments die Würde genommen. Der Vorwurf: Landesverrat.

Auch Oberstleutnant Marie-Georges Picquart (Jean Dujardin), der Dreyfus an der Militärakademie ausbildete, ist Zeuge der Zeremonie im Kasernenhof. Kurz darauf wird der Fall erneut auf seinem Schreibtisch landen. Picquart übernimmt die Leitung des Auslandsnachrichtendienstes, wo ihn ein Mitarbeiter auf Ungereimtheiten aufmerksam macht. Die Dokumente, die Dreyfus überführten, scheinen gefälscht zu sein.

Der Offizier Picquart war eine der Hauptfiguren in der „Dreyfus-Affäre“, die Ende des 19. Jahrhunderts fast zum Zusammenbruch der Dritten Republik geführt hätte. In Roman Polanskis „Intrige“ wird Picquart, der die Anklage gegen Dreyfus erneut aufrollte und den Justizskandal aufdeckte, zum zentralen Protagonisten. Er ist sozusagen ein Antisemit mit Gewissen, dem das Schicksal des jüdischen Hauptmanns weniger am Herzen liegt als das Prinzip der Rechtstreue.

Polanski spaltet die französische Kulturszene

Der französische Antisemitismus der „Belle Époque“ wird in „Intrige“ weidlich ausgeschmückt: in den Unterredungen der Militärs oder der rassistischen Forensik der Nachrichtendienstler, die sich ohne Widerspruch die Fakten so zurechtlegen, dass alle Indizien auf Dreyfus als Autor der geheimen Depeschen weisen, die Militärgeheimnisse an die Deutschen weitergibt. Den antisemitischen Details schenkt Polanski fast mehr Aufmerksamkeit als dem Produktionsdesign, das eher an eine Fernsehproduktion erinnert.

Kein Film hat Frankreich in den vergangenen Jahren so gespalten wie „Intrige“, der seit dem Gewinn des Silbernen Löwen in Venedig einen regelrechten Kulturkampf auslöste. Auf der einen Seite rufen die Opfer von sexuellem Missbrauch gemeinsam mit Unterstützerinnen und Unterstützern der Bewegungen „50/50 by 2020“ und „MeToo“ zum Boykott Polanskis auf, der sich in den USA seit über 40 Jahren einer Anklage wegen Vergewaltigung entzieht.

Auf der anderen Seite ist ein wachsender Teil der Franzosen des „neofeministischen McCarthyismus“ (der Schriftsteller Pascal Bruckner im Interview mit Polanski) überdrüssig und schwingt sich zu einer „Jetzt erst recht“-Trotzhaltung auf. Im November dominierte „Intrige“ in den Startwochen die französischen Kinokassen, er ist Polanskis erfolgreichster Film seit vielen Jahren. Nun ist er auch für zwölf Césars nominiert.

In Frankreich werden Missbrauchsgeschichten gerade aufgearbeitet

Man muss die Reaktion auf Polanski in seiner Wahlheimat aber in einem gesellschaftlichen Kontext sehen. In der französischen Kulturszene hat die ernsthafte Beschäftigung mit sexuellem Missbrauch gerade erst begonnen. Vor dem Hintergrund der Vorwürfe gegen den Schriftsteller Gabriel Matzneff und die Kino-Ikone Gérard Depardieu, deren ausschweifenden Lebensstil man in Frankreich immer wohlwollend durchzwinkerte, oder die Vorwürfe, die Adèle Haenel gegen den Regisseur Christophe Ruggia erhob, versteht man das Ringen um Deutungshoheit im Fall Polanski etwas besser.

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Sein Film, selbst wenn man eine strikte Trennung von Werk und Autor vorzieht, bleibt in dieser Diskussion allerdings nicht ganz unbescholten. In der Zeitschrift „Paris Match“ beschuldigte Polanski im Dezember Harvey Weinstein, die Anklage wegen Vergewaltigung 2003 wieder an die Öffentlichkeit gebracht zu haben, um seine Oscar-Chancen für „Der Pianist“ zu sabotieren. Dass der 86-Jährige nach langer Zeit überhaupt wieder zu den Vorwürfen Stellung nimmt, schulde er seiner Frau und seiner Familie, die „lange genug gelitten haben“.

Die Trennung von Werk und Autor fällt schwer

Mit ähnlichen Worten erklärt auch Dreyfus in „Intrige“ seinen aussichtslosen Kampf gegen die französische Justiz, deren Fehler von höchster Stelle – den Generälen Gonse (Hervé Pierre) und Boisdeffre (Didier Sandre), Kriegsminister Billot (Vincent Grass) – vertuscht werden. „Ich tue das für mein Vermächtnis“, sagt Dreyfus verzweifelt, „für den guten Namen meiner Frau und meiner Kinder.“

Solche Drehbuch-Bonmots verkomplizieren eine Trennung von Werk und Autor. Dass ausgerechnet Polanski sich zudem Émile Zolas berühmte Schlagzeile „J’accuse“ (so der Originaltitel) – „Ich klage an!“ – aneignet, mit der der Schriftsteller 1898 die Hintermänner der „Dreyfus-Affäre“ öffentlich machte, bestätigt den Gesamteindruck des Films. Polanski dienen die historischen Begebenheiten nur als Vorwand für eine persönliche Abrechnung. Indem sich Polanski implizit mit Dreyfus als unschuldig verfolgtem Juden vergleicht, wird auch der Antisemitismus im Film instrumentalisiert.

Für einen historischen Politthriller mit schrulligem Charme

Polanski und sein Ko-Autor Robert Harris erzählen die „Dreyfus-Affäre“ als historischen Politthriller. Die patinierten Szenen in den Labors des Nachrichtendienstes, wo Briefe unter Wasserdampf geöffnet und Handschriften mit der Lupe verglichen werden (der deutsche Spion wird während eines Techtelmechtels mit einem Hörrohr belauscht), besitzen einen schrulligen Charme. Aber griffiger wird der politische Plot dadurch nicht, auch weil Polanski in seiner Figurenzeichnung stets zum Chargieren neigt. Der schnauzbärtige Oberst Henry (Grégory Gadebois) etwa, Picquarts Widersacher, wirkt wie eine anti-republikanische Karikatur.

Der Fokus auf Picquart als Einzelkämpfer verzerrt zudem die politischen Umstände der „Dreyfus-Affäre“. Die Proteste gegen das Urteil standen auf einem breiten gesellschaftlichen Fundament, der Auseinandersetzung zwischen den Verteidigern der Aufklärung und einem Zusammenschluss von Kirche und Monarchisten um die rechte Bewegung „Action française“. Dafür, dass Polanski seinen Film als Warnung vor dem Wiedererstarken des Nationalismus in Europa versteht, bleibt „Intrige“ zu sehr an der historischen Oberfläche. (Ab Donnerstag in den Kinos)

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