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Kantine mit Aussicht. Direktor Ben Gibson und die Alumni Christian Petzold und Jonas Dornbach (v. l.) in der DFFB im Filmhaus, neunte Etage.

© Mike Wolff

50 Jahre DFFB: Revoluzzer im Bürohochhaus

Ein Gespräch mit DFFB-Direktor Ben Gibson und zwei Ehemaligen, Regisseur Christian Petzold und Produzent Jonas Dornbach, über 50 Jahre Deutsche Film- und Fernsehakademie.

Herr Dornbach, Herr Petzold, was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an Ihre Zeit bei der DFFB zurückdenken?

CHRISTIAN PETZOLD: Dass ich plötzlich frei war. Vorher, in den 13 Schuljahren und beim Literaturstudium, bestand das Leben aus Stundenplänen und Prüfungen. An der Akademie konnte man scheitern, in Sackgassen laufen, Krisen haben, es war toll. Es war ja schon die Zeit von Kanzler Kohl, der Neoliberalismus machte sich breit. Selbst an der Schule lehrte dann dieser Drehbuch-Guru Syd Field, auf einmal war Effizienz angesagt, da galt es gleich, die Freiheit zu verteidigen.

JONAS DORNBACH: Als ich hier anfing, wurden mein Privatleben und die Schule sofort eins. Man war DFFB-Student, das bedeutete alles. Es hatte gleich heftige Folgen für meine Beziehung, ich war völlig absorbiert. Die ersten zwei Jahre kam man hier quasi gar nicht mehr raus. Diskutieren rund um die Uhr, es war ein ungeheurer Sog.

PETZOLD: Angela Schanelec, die ja auch hier studierte, sagte, sie war schon 27 und konnte die Tür zu einem ganz anderen Leben aufmachen. Damals war 25 oder 26 das Mindestalter.

Mr. Gibson, wie nahmen Sie die DFFB denn aus London wahr?

BEN GIBSON: Ich kannte die Berliner Szene ein wenig, ging als unabhängiger Verleiher in die Filmbühne am Steinplatz, um zu sehen, was es gibt. Ich kannte Harun Farocki und Hartmut Bitomsky ...

Ben Gibson
Ben Gibson

© Mike Wolff

... die zum legendären ersten Jahrgang von 1966 gehörten, der wegen politischer Agitation vollständig relegiert wurde ...

... wir brachten auch Rosa von Praunheim in England heraus, Filme wie „Taxi zum Klo“. Reinhard Hauff kannte ich noch aus den Siebzigern, aus der Zeit von „Messer im Kopf“. Als er hier Direktor war, besuchte ich ihn als Chef der London Film School in seinem Büro im Sony-Center. Da war dieses Sofa, auf dem sein Hund lag, der größte Hund der Welt, und ich dachte: Es ist schon eine spezielle Schule: lauter Revoluzzer, die in einem Bürohochhaus sitzen.

Reinhard Hauff war nie auf einer Filmschule, auch Fassbinder nicht, er wurde ja an der DFFB abgelehnt. Kann man das Filmemachen überhaupt lernen?

PETZOLD: John Ford hat mal vor Studenten gesagt: Um Film zu studieren, müsst ihr erst ein halbes Jahr in Wien Psychoanalyse studieren, dann zwei Jahre in Florenz das Licht studieren, dann in Leipzig Chormusik, seine Liste war lang. Als ein Student wissen wollte, ob er das denn alles gemacht habe, meinte er: Nein, ich war ja nie auf einer Filmschule.

GIBSON: Nach sechs Monaten hier an der DFFB bin ich ganz optimistisch, dass man zumindest lernen kann, seinen Verstand zu organisieren und mit anderen zusammenzuarbeiten. Am Anfang möchte man seine Ruhe, um nachdenken zu können, aber dann merkt man, es ist großartig, wenn alle durcheinanderreden. Man sieht die eigenen Gedanken in den anderen, es ist wie ein Jazz-Ensemble. Das Gespür dafür, wann man eine Nahaufnahme einsetzt, geht einem dann schnell in Fleisch und Blut über. Es ist Learning by Doing, nicht Lernen durch Dozieren.

PETZOLD: Ich habe die Schule immer als Laboratorium verstanden. Schon unter Reinhard Hauff begann aber diese Selbstoptimierung. Plötzlich mussten wir pitchen, uns verkaufen. Als ob es darum ginge, dass die Leute später Degeto-Filme machen können.

DORNBACH: Eine Filmschule kann Raum fürs Ausprobieren schaffen. Und es entstehen Netzwerke. Bei euch ging die Berliner Schule daraus hervor, mit dir, Christian, mit Angela Schanelec, Thomas Arslan, Schramm Film, Bettina Böhler ... Bei uns wurde es Komplizen Film mit Maren Ade, Ulrich Köhler oder Vanessa Jopp. Wenn jemand anruft und sagt, ich bin von der DFFB, hör’ ich dem gleich zu. Es ist wie ein Klub, in dem man einander vertraut. Ich mache jetzt einen Film mit Valeska Grisebach, sie ist hier Dozentin.

Christian Petzold
Christian Petzold

© Mike Wolff

Von wem haben Sie hier denn was gelernt?

DORNBACH: Von dem Schweizer Dramaturgen Donat Keusch. Wir haben nicht nur wahnsinnig viele Drehbücher gelesen, er stellte uns auch gleich die Aufgabe, ohne Ticket in den Berlinale-Palast reinzukommen und auf dem Festival einen namhaften Produzenten zu interviewen. Damit wir uns was trauen.

GIBSON: Es geht um den Mut zum Scheitern. Jedes Mal, wenn du einen neuen Film machst, weil der letzte nichts taugte, scheiterst du ein bisschen weniger. Du bildest einen Muskel aus, der irgendwann kräftig genug ist.

PETZOLD: Wir hatten einen Montage-Dozenten, Oscar-Gewinner, Name vergessen. Der zog bestimmt seit 20 Jahren dasselbe Programm durch, zeigte uns Vittorio de Sicas „Fahrraddiebe“, deckte ein Gesicht auf der Leinwand zu und in der nächsten Szene stand da das Fahrrad. So geht Schnitt, sagte der. Den Mann haben wir nach einer Woche abgeschossen und selber geschnitten. Wir machten furchtbare Fehler, aber es half. Wer Bettina Böhler bei der Montage zuschaut, der lernt mehr als in fünf Jahren Theorie oder in Seminaren über den Gegenschuss. Den kann man irgendwann, das ist wie Zähneputzen.

Den rebellischen Geist gab es hier von Anfang an. Im ersten Jahrgang, zu dem auch Holger Meins gehörte, entstanden Filme wie „Schlacht am Tegeler Weg“ oder „Herstellung eines Molotow-Cocktails“. Später gab es bei praktisch jedem Direktorenwechsel einen Aufstand. Warum sind die Dissonanzen hier besonders schrill?

DORNBACH: Die Beteiligung der Studenten am Akademischen Rat und die studentische Selbstorganisation gab es immer. Auch in meiner Zeit lehnten wir uns ständig gegen irgendwas auf, sei es bei den Budgets oder bei der Frage, ob wir die Erstjahresfilme in Cannes zeigen sollen.

PETZOLD: Es hat mit Berlin zu tun. Und damit, dass die DFFB ihren Sitz zwar früher beim SFB am Theodor-Heuss-Platz hatte, diesem schrecklichen Kalte-KriegsSender. Aber der wollte uns nicht, jedenfalls nicht in späten Achtzigern. An der Münchner HFF kleben der Bayerische Rundfunk und die Bavaria dran. Wir waren von der Industrie getrennt.

DORNBACH: Es gibt ja diese Etiketten. München macht Komödien und Liebesfilme, Berlin politische Filme, in Ludwigsburg sitzen die Spezialisten für digitale Effekte. Und Babelsberg ist verschulter: Ich hatte mich auch dort beworben, bei der Aufnahmeprüfung wollten sie wissen, wie lang die Wolga ist. Hauffs erste Frage an der DFFB lautete: Kannst du kochen? Kochen hat was mit Kunst zu tun, erklärte er mir, mit Empfindung, Leidenschaft.

GIBSON: Die DFFB war immer eine widersprüchliche Schule, genau wie West-Berlin. Die Stadt war eine Insel, die am Tropf hing, die von Kapitalisten wie Springer am Leben gehalten wurde und auf der die Künstler umsonst wohnen konnten. Was mich frustriert, ist die Gefahr der Nische. Ist es nicht die Aufgabe der Avantgarde, alles zu transformieren, auch den Mainstream? Hier in Deutschland gibt es diese geradezu antike Dichotomie: hier der Regisseur, der für die Majors Erzählkino machen will, dort der Purist, der am Kottbusser Tor in Schwarz-Weiß dreht. Markt oder nicht Markt, diese Mythologie zerbröselt langsam. Denn was braucht der deutsche Markt? Gute Autorenfilmer. So gesehen ist die DFFB die deutsche Filmschule mit dem größten kommerziellen Potenzial.

Kunst oder Kommerz, die Kontroverse zieht sich durch die gesamte DFFB-Geschichte. Wie erleben Sie das heute?

PETZOLD: Die Vermarktung der Industrieprodukte ist ja ausgearbeitet. Echte Erfolge, das sind eine halbe Million Zuschauer für Maren Ades „Toni Erdmann“ oder 400 000 für meinen Film „Barbara“.

Reinhard Hauff sagte einmal, er wolle Studenten, die am Ende was zu sagen haben und nicht Mitglied des Recyclingklubs Mainstream-TV werden. Deshalb wolle er die Studierenden provozieren.

GIBSON: Guter Satz!

PETZOLD: Aber er hat sich nicht dran gehalten. Ich fand schon sein Manifest „Low Budget, High Energy“ Mist. Das sagen auch die Arbeitgeber zu den Start-up-Leuten. Plötzlich ist die tolle Idee, dass man in der Schule sein Leben verbringt, sich verraucht und schlechten Kaffee trinkt, in den Kapitalismus reingezwängt: Avantgarde wird auf wenig Geld und Jugendlichkeit reduziert.

DORNBACH: Woran bemisst man Erfolg? An Zuschauerzahlen, Festivalerfolgen? Nur wenn du etwas gegen den Markt riskierst, kannst du am Markt erfolgreich sein. Andere Schulen glauben eher an Erfolgsrezepte. Ich habe hier ja auch unterrichtet, etwa wie man als Produzent ohne Drehbuch arbeitet. Es gibt nur ein kurzes Treatment, wie realisiere ich das? Mit Valeska Grisebach haben wir es so gemacht, auch Hans Weingartner, Mike Leigh oder Ulrich Seidl sind gute Beispiele.

GIBSON: Vielleicht ist es die Aufgabe unserer Schule, eine nationale Filmkultur zu entwickeln, indem man die ökonomischen Kategorien ignoriert. Was ist Low Budget? Nicht die Kunst, billige Filme zu machen, sondern die, aus dem Geldproblem eine Ästhetik zu entwickeln.

Jonas Dornbach
Jonas Dornbach

© Mike Wolff

Gibt es denn den typischen DFFB-Film?

DORNBACH: Denke schon, das Licht, die Kamera, man sieht, dass wenig Geld da ist, aber ein hoher künstlerischer Anspruch.

PETZOLD: Die DFFB-Filme sind oft härter als die Produktionen aus den anderen Schulen, auch härter montiert.

GIBSON: Aber sie sind anders, als über sie geredet wird. Sie sind vielleicht in besonderem Maß komponiert, aber sie haben auch Herz. So einfach ist das nicht mit der ästhetischen Identität. Auch nicht mit linken Positionen: hier der Hausbesetzer, da der Filmemacher, der sagt, ich bin einer von euch? Das ist schlechte Politik, und genau hier stellt sich auch die ästhetische Frage. Man sollte wissen, dass man Macht hat, wenn man hinter der Kamera steht, und sich fragen, wie man damit umgeht. Auch der Streit um linke Positionen ist typisch DFFB. Das Profil einer Schule bemisst sich nicht am Filmemachertypus, den sie hervorbringt, sondern an den Auseinandersetzungen, die sie führt, intern und nach außen.

Ihre Geburtstagswünsche für die DFFB?

DORNBACH: Mutig bleiben. Und ein anderer Ort. Allein die Technik immer in dieses Bürohaus zu schleppen und wieder raus, schrecklich!

PETZOLD: Raus aus dem Pflegeheim hier. Die Akademie der Künste am Hanseatenweg wäre ein toller Campus.

GIBSON: Es ist schon gut, mit dem Arsenal-Kino, der Stiftung Deutsche Kinemathek und dem Filmmuseum in einem Gebäude zu sitzen, direkt gegenüber der Berlinale-Zentrale. Deshalb sollte die DFFB nicht einfach in eine Kreuzberger Fabriketage umziehen. Ein Campus für uns alle wäre toll. Wir werden uns jetzt hier erst mal im Filmhaus umorganisieren, Studios einrichten, und die Kantine wird ein Café für alle. Wir suchen dann halt einen Koch, dessen Slowfood auch für Dieter Kosslick gut genug ist. Und wir müssen es hinkriegen, dass die Sender es aufregend finden, was an Deutschlands Filmschulen geschieht. Nicht nur bei uns, auch bei den anderen. Wir brauchen neue Freunde.

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