
© Virginia Museum of Fine Arts, Richmond. Gift of Mrs. J. Harvie Wilkinson, by exchange, and Gift of Eva Fischer Marx, Thomas Marx, and Dr. George and Mrs. Marylou Fischer, 2025.232 photo: Trevor Davis © Virginia Museum of Fine Arts
Schiedsgerichte und die neue Gerechtigkeit : Wenn der Streit um NS-Raubkunst eskaliert
Ab 1. Dezember nehmen die Schiedsgerichte ihre Arbeit auf: Das Kolloquium „Kunsthandel der Moderne“ in der Berlinischen Galerie zeigte sich skeptisch.
Stand:
In Händlerkreisen stellt es keine Besonderheit dar, wenn ein Kirchner-Aquarell von 1918 seinen Besitzer wechselt und etwa aus Deutschland in die Vereinigten Staaten wandert. Für das Virginia Museum of Fine Arts in Richmond aber war es eine kleine Sensation, dass nach der Restitution durch ein Hamburger Sammlerpaar damit ein weiteres Werk der zerstreuten Kollektion des jüdischen Historikers und Journalisten Max Fischer zu den in den USA lebenden Nachfahren gelangte, die es dem Museum übergaben. Dort befindet sich bereits die komplett ins Exil gelangte Sammlung seines Bruders Ernst.
Ein Happy End für eine Skizze, die dem Expressionisten später als Vorlage für sein berühmtes Selbstbildnis als „Im Bett liegender Mann“ diente, das sich heute in der Münchner Pinakothek der Moderne befindet. Sarah Eckhardt, die Kuratorin des amerikanischen Museums, erzählte beim Kolloquium „Kunsthandel der Moderne“ in der Berlinischen Galerie von dieser Heimführung über den Atlantik, die nur auf Grundlage einer Werkliste gelang. Sie befindet sich im Nachlass des Kunsthändlers Ferdinand Moeller, der seit 1985 bei der Berlinischen Galerie betreut wird. Damit war das Berliner Museum für moderne Kunst zugleich der prädestinierte Veranstaltungsort für die mittlerweile dritte Fachtagung für Kuratoren, Provenienzforscherinnen, Juristen.
Durchbruch durch Digitalisierung
Der Kirchner-Transfer ist die jüngste Erfolgsstory einer Restitution, die nur durch die Digitalisierung von Dokumenten aus dem Kunsthandel zustande kam. Ohne die Werkliste und ihre Online-Stellung hätten die Forscher nicht die Verbindung zu Max Fischer herstellen können, der bei seiner Emigration in die USA rund 200 Werke seiner Expressionisten-Sammlung in Deutschland zurücklassen musste.
Für Wolfgang Schöddert, Provenienzforscher an der Berlinischen Galerie und Gastgeber des Kolloquiums, war die junge Kollegin vom Museum in Richmond damit die Idealbesetzung, bewies Sarah Eckhardts Vortrag doch die Notwendigkeit der Digitalisierung weiterer Nachlässe von Auktionshäusern und Galeristen wie etwa Hildebrand Gurlitt. Sie waren der Verteiler für die von den Nationalsozialisten geraubte oder unter Zwang verkaufte Kunst.
Rüdiger Mahlo, Repräsentant der Jewish Claims Conference in Europa, betonte umso mehr in seiner Eröffnungsrede, dass der Kunsthandel zu den am meisten belasteten Bereichen gehörte. Einen freien Markt habe es nach 1933 nicht mehr gegeben, und auch jüdische Galeristen waren nach Erlassung der Nürnberger Gesetze zwei Jahre später nicht mehr Akteure, sondern ebenfalls Opfer.

© Wikipedia/Directmedia/Kunsthaus Zürich/Eduard Manet
Als Vertreter der jüdischen Erben hatte er sich Ende September mit der namentlichen Bekanntgabe der 36 Schiedsrichter zwar für die neue Institution ausgesprochen, die ab 1. Dezember die bisher für Streitfragen zuständige Beratende Kommission. Ebenso wie Josef Schuster vom Zentralrat der Juden allerdings mit einer großen Einschränkung, die er in der Berlinischen Galerie erneut zur Sprache brachte.
Ein Restitutionsgesetz muss her
Die Schiedsgerichte stellen zwar eine entscheidende Verbesserung für mehr Gerechtigkeit dar, weil sie anders als zuvor auch einseitig angerufen werden können und ihre Entscheidungen rechtsverbindlich sind. Als zweiter Schritt aber müsse dringend ein Restitutionsgesetz her, damit nicht nur die öffentlichen Häuser, sondern auch die privaten Besitzer von NS-verfolgungsbedingt entzogener Kunst belangt werden können.
Damit hatte das Kolloquium mit dem Untertitel „Akten. Werke. Werte“ sein eigentliches Thema: Was taugen die Schiedsgerichte, die im vergangenen Jahr von Bund, Ländern und Kommunen auf den Weg gebracht wurden und in zwei Wochen ihre Arbeit aufnehmen sollen? Unter den versammelten Provenienzforschern war deutlich Unsicherheit zu spüren.
Welche Folgen hat der neue „Bewertungsrahmen“ für ihre Arbeit, welche Rolle spielen künftige die beim Verkauf erzielten Preise? Wurde ein „angemessener“ Preis erzielt, ist fortan die Restitution ausgeschlossen. Aber wie lässt er sich definieren, wenn auf einmal der Markt überschwemmt ist, weil zahllose jüdische Sammler ihre Werke zur Finanzierung ihrer Flucht abstoßen müssen?
„Werte sind ein schwarzes Loch“, hatte Wolfgang Schöddert in seiner Einführung klargestellt. Noch komplizierter wird es bei den Werken, die in der Nachkriegszeit aus der DDR über West-Berlin in den Handel gerieten. „Harte Nüsse für die Forschung“, lautete dazu Schödderts Kommentar. Ob die Beweisführung erleichtert werde, wie es sich Kulturstaatsminister Wolfram Weimer von den Schiedsgerichten verspricht, bleibe abzuwarten.
Warum nicht die Preise weglassen?
Laurie Stein, die Grande Dame der Provenienzforschung, erinnerte in ihrem Beitrag noch einmal daran, wie es vor einem Vierteljahrhundert war, als sie in der Staatsbibliothek die Telefonbücher der Weimarer Republik und NS-Zeit gewälzt habe, um für ihre Recherchen an Namen und Adressen zu kommen.
Wie kompliziert die Wege der Bilder sein können, machte die amerikanische Wissenschaftlerin mit einem Manet-Bild „La Sultane“ aus der Schweizer Bührle-Sammlung deutlich, das der Galerist Paul Rosenberg nach New York ins Exil mitnahm. Bis 1937 hatte es dem jüdischen Sammler Max Silberberg gehört. Nicht immer offenbarten Kunsthändler die Provenienz, gab Laurie Stein zu bedenken – zumal wenn ein potenter Sammler wie Emil Bührle der Kunde war, auch wenn Rosenberg das schlechte Gewissen plagte, mit einem Rüstungsfabrikanten und Kriegsprofiteur Geschäfte zu machen.
Wolfgang Wittrock, Kunsthändler und einer der wichtigsten Förderer der Provenienzforschung durch die Ferdinand-Möller-Stiftung, machte den überraschenden Vorschlag, die Preise bei der Bewertung eines Restitutionsfalls einfach wegzulassen. Geschah ein Verkauf unter Zwang, so sein Argument, spielten sie ohnehin keine Rolle.
Die ersten Fälle, die den neuen Schiedsgerichten vorgelegt werden, dürften mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt werden. Die scheidende Beratende Kommission gab bereits bekannt, dass es die Auseinandersetzung zwischen der Hamburger Kunsthalle und den Erben des jüdischen Sammlers Robert Graetz um ein Gemälde von Paula Modersohn-Becker nicht abschließen kann.
Große Beachtung ist auch Picassos „Madame Soler“ sicher, bei der sich die Staatlichen Bayerischen Kunstsammlungen bisher geweigert hatten, den Konflikt mit den Erben mit Hilfe der Beratenden Kommission beizulegen. Das geht nun nicht mehr.
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