zum Hauptinhalt
Szene aus dem Film „Land of Dreams“

© Foto: W-Film

Shirin Neshat im Interview: „Ich bin Voyeurin“

Shirin Neshat wurde als Foto- und Videokünstlerin bekannt. Ihren neuen Film nennnt sie „Land of Dreams“. Ein Gespräch über Ängste und Träume, die USA und den Iran.

Shirin Neshat ist die international wohl bekannteste iranische Gegenwartskünstlerin. Als Zeichen der Solidarität mit der Revolution im Iran hängt seit einer Woche eine ihrer bekanntesten Fotoarbeiten, „Unveiling“ von 1993, an der Neuen Nationalgalerie, nun kommt auch ihr neuer Spielfilm „Land of Dreams“ in die Kinos, ein satirischer Blick auf eine totalitäre USA, in der die Regierung auf die Träume der Bevölkerung kontrollieren will. Wovon aber träumt die in New York lebende Künstlerin selbst?

Frau Neshat, Ihr neuer Film, „Land of Dreams“ erscheint in einer sehr aufgeheizten Zeit: Im Iran begehrt das Volk gegen das Regime auf, in den USA stehen die Midterm-Wahlen an und das Land ist gespalten.
In den Kommentaren heißt es, es sei ein Film über die USA. Und das ist er auch – aber auch nicht. In „Land of Dreams“ geht es um jegliche Art von Diktatur oder autoritärem Regime, das Überwachung nutzt um seine Bevölkerung zu kontrollieren. Und zwar bis in seine Träume hinein. Man denke nur an Trump und seine riesige Fangemeinde, die alles glaubt was er sagt. Es ist das gleiche Prinzip wie die Islamische Republik Iran und deren Fans, die schon so lange dieser Ideologie des Märtyrertums anhängen.

Shirin Neshat bei der Filmpremiere in München
Shirin Neshat bei der Filmpremiere in München

© Foto: IMAGO/Lindenthaler

Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Film?
Wir wollten satirisch und humorvoll eine Kultur zeigen, in der die Bevölkerung betrogen und hintergangen wird. Der Film zeigt nicht die Gegenwart, sondern eine nahe Zukunft. Aber vor allem ist es ein Film, der von zwei Iraner*innen gemacht wurde, die aus einem Land kommen, das eine Diktatur ist, das autoritär regiert wird, wo die Regierung versucht, die Gedanken der Bevölkerung durch das Bildungswesen, durch religiöse Gehirnwäsche zu kontrollieren. Und die USA entwickeln sich in eine ähnliche Richtung. Der Film handelt also nicht von den USA oder dem Iran – es könnte auch Russland sein. Man denke an die Leute, die Putin glauben, oder Nordkorea. Es geht um jedes politisches System, dass die Macht besitzt, die Bevölkerung zu kontrollieren.

Sind Träume ein Werkzeug gegen autoritäre Regimes und Faschismus?
Das Buch „Der Palast der Träume“ des albanischen Autors Ismail Kadare war eine Inspiration. Unsere Träume sind Projektionen, unserer Sehnsüchte und unsere Albträume Projektionen unserer Ängste. Ich fand den Gedanken interessant, dass Großkonzerne oder Regierungen unsere Sehnsüchte nutzen könnten, um sie - neu verpackt - wieder an uns zu vermarkten.

Es geht also um die Kontrolle des Privatlebens?
Denken Sie an Facebook, Twitter oder Amazon und wie diese Unternehmen genau wissen wollen, was Sie wollen, was Sie begehren, um es Ihnen verkaufen zu können. Im Film spielt die Zensusbehörde eine große Rolle, und wenn man genau darauf achtet, zeigt sich, dass es ein Hybrid aus Konzern und Regierungsorganisation ist. Aber auch unsere Albträume spielen eine Rolle: Eine Figur, die von Isabella Rossellini dargestellte „Jane“, träumt davon, dass Mexikaner*innen ihr Haus einnehmen, was auf ihre Angst, überfallen, vertrieben, verlassen zu werden hindeutet. Mich fasziniert, dass unsere Träume sehr oft Manifestationen unserer Ängste sind.

Ihre Hauptfigur „Simin“ ist genau wie Sie selbst und Co-Regisseur Shoja Azari Einwanderin in die USA. Ist es als Migrant*in je möglich, auch in den Traumwelten der neuen Heimat anzukommen?
Simin versucht genau das: Sie nimmt als Mitarbeiterin der Zensusbehöre die Träume der Menschen auf und versucht sie dann nach Feierabend zu imitieren, sie zu durchdringen. Immigrant*innen, die an einen Ort ziehen, den sie zuvor nicht kannten, sind neugierig und wollen verstehen wie es sich anfühlt, dort aufgewachsen zu sein, was die Menschen denken, fühlen, was sie träumen.

Das Gefühl ist Ihnen vertraut, oder?
Mir ging es mein ganzes Leben lang so, ich habe als Siebzehnjährige den Iran verlassen und lebte an Orten, die mir sehr fremd waren. Meine Arbeit besteht darin, zu imitieren. Ich kann nicht in den Iran reisen, also werde ich niemals eine realistische, wahrhaftige Arbeit über den Iran erstellen können. Alles ist Fiktion. Ich glaube, ich werde weder Iraner*innen, noch die Menschen im Westen ganz verstehen können, ich bin weder dort, noch hier. Ich bin Voyeurin, und davon handelt auch meine Kunst. Ich erzähle Geschichte über andere, aber dabei geht es auch um mich. So etwa in „Women of Allah“, eine Serie von Selbstporträts aus den Neunzigern. Auch da spielte ich eine Rolle, genauso wie Simin im Film.

Sie sind vor allem für ihre Fotografien und ihre Videoinstallationen bekannt. „Land of Dreams“ erst ihr dritter Langfilm nach „Women Without Men“ (2009), „Auf der Suche nach Out Kulthum“ (2017). Wie ordnet er sich in ihre sonstige Arbeit ein?
„Land of Dreams“ ist ein sehr experimenteller, surrealistischer und visueller Film, er besteht eigentlich aus sechs Kurzgeschichten mit eigenem Plot, eigener Sprache und befasst sich mit einer anderen sozioökonomischen Klasse. Er landet nie so richtig in der Realität, aber ich hoffe, dass er trotzdem zugänglich ist. Auch wenn er vielleicht nicht für alle funktioniert, weil er so vielschichtig ist. Manches verstehen vielleicht nur andere Iraner*innen, oder andere Migrant*innen, zum Beispiel wenn es um Rassismus und Migration geht. Wie „Women Without Men“ ist „Land of Dreams“ im magischen Realismus verhaftet und ich glaube, da gehöre ich auch hin.

Warum aber zurückgehen zum Medium Film?
Ich arbeite in der Kunst, wo es immer auch darum geht, Handelswaren herzustellen. Die Kunstwelt ist wunderbar, ich liebe Museen und Galerien, aber sie ist vom Markt dominiert und es geht um viel Geld. Aber wenn ich einen Film mache, sehe ich mich als Aktivistin und möchte etwas machen, das auch meine Mutter sehen könnte. „Women Without Men“ ist meine einzige Arbeit, die Iraner*innen sehen konnten. Meine anderen Arbeiten kommen nicht ins Land, es ist unmöglich. Ein Film aber ist der breiten Masse zugänglich, er kann das Publikum im Iran erreichen genauso wie in Europa.

Ein Banner von Shirin Neshat hängt aktuell an der Neuen Nationalgalerie Berlin. 
Ein Banner von Shirin Neshat hängt aktuell an der Neuen Nationalgalerie Berlin. 

© Foto: Christophe Gateau/dpa

Haben Iraner*innen den Film schon sehen können?
Ich habe ihn vor einigen Wochen in Los Angeles gezeigt und eine iranische Frau im Publikum sagte, dass er ihre Erfahrung als Migrantin widerspiegele.

Und wovon träumen Sie?
Ich träume so viel, daher stammt auch meine Obsession mit dem Thema. Als ich New York verließ, hatte ich einen Traum, der mich immer noch beschäftigt: eine Frau bedrohte meinen Hund mit einem Messer. Ich versuchte ihn noch zu schützen, aber dann lag er schon tot vor mir. Ich glaube, der Traum kommt daher, dass ich aktuell die Ereignisse im Iran verfolge und jeden Tag so viele brutale Bilder und Videos sehe. Ich denke an all die Mütter, deren Kinder zu den Protesten gehen, die dann ihre Kinder nicht mehr erreichen können und irgendwann einen Anruf bekommen, dass sie getötet wurden. Der Horror, der im Iran herrscht, ist auch in „Land of Dreams“ eingeflossen. Wir dürfen nicht vergessen, was gerade dort passiert und wir müssen mit den Menschen im Iran mitfühlen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false