
© Frank Sperling
Sie können uns nur einmal töten : Neue Ausstellung thematisiert die US-Opioid-Epidemie
Seit Freitag ist im Nachtclub „Trauma Bar und Kino“ die Ausstellung „You Can Only Kill Us Once“ zu sehen. Performances, Konzerte und Installationen sollen die US-Opioid-Krise ästhetisch übersetzen.
Stand:
Im Frühjahr dieses Jahres ist es 30 Jahre her, seit der wohl größte Rockstar der 1990er Jahre starb. Am 5. April 1994 erschoss sich der Nirvana-Frontmann Kurt Cobain nach einer Überdosis Heroin mit einer Schrotflinte.
Sein Abschiedsbrief, mit den berühmten Worten „It’s better to burn out than to fade away“, es ist besser auszubrennen, als zu verblassen, bewahrte die Idee der morbiden Grunge-Ära für die Ewigkeit auf und markiert gleichzeitig den Übergang in eine Krise, die bis heute anhält.
1996 brachte die berüchtigte Sackler-Familie und deren Pharma-Konzern „Purdue“ das Medikament OxyContin als „sicheres“ Schmerzmittel auf den Markt. Aggressiv drängte die Familie auf die Deregulierung von Opioiden, was den Einsatz von OxyContin als angeblich nebenwirkungsfreies Wundermittel der Schmerzmedizin massiv vorantrieb.
Heute ist das Unternehmen bankrott und in den USA wird über die Schuld an der Opioid-Krise verhandelt. Viel zu spät, wie schockierende Zahlen zeigen: Millionen gerieten in die Abhängigkeit und auch im vergangenen Jahr starben hunderttausende US-Amerikaner an den Folgen einer Überdosis. Damit ist die häufigste vermeidbare Todesursache bei Amerikanern unter 50 die Drogensucht.
Tanzen zwischen Mohnblumen
Interessanterweise waren es Künstler, die Stimmung gegen die Sackler-Familie machten. Nicht zuletzt die Fotografin Nan Goldin: die preisgekrönte Dokumentation über ihre Leben „All the Beauty and the Bloodshed“ brachte das Thema im vergangenen Jahr erneut medienwirksam aufs Tableau. Die 70-jährige Künstlerin, selbst ehemals heroin- und oxyContin-abhängig, war federführend im Kampf gegen den Pharmakonzern. Ende des Monats zeigt die Neue Nationalgalerie ihr umfangreiches Werk.
Und auch das 2019 in den Staaten gegründeten Magazins „The Opioid Crisis Lookbook“ ist eine Reaktion auf die anhaltende Epidemie. Die Macher, Dustin Cauchi, Dasha Zaharova verfolgten das Ziel, die Krise durch die Fokussierung auf marginalisierte Erzählungen zu dokumentieren und neu zu interpretieren, etwa, indem sie den Versuch wagen, Sucht zu entstigmatisieren.
Mithilfe des in Berlin lebenden Kurators Samuel Staples, geben sie seit vergangenem Freitag einen Einblick in ihre Arbeit. „You Can Only Kill Us Once“ heißt eine Ausstellung, die nur für wenige Wochen im Nachtclub „Trauma Bar und Kino“, unweit des Berliner Hauptbahnhofs, residiert.
Gezeigt werden neben Werken von Zaharova und Cauchi solche von Liam Denhamer und Installationen des Architekten Juvenilia, der sich von den szenografischen Zeichnungen Kurt Cobains inspirieren ließ. Beworben wird die Ausstellung als „immersive neo-grunge Erfahren“, die die Besucher in das Magazin-Universum einlädt.
Retro-Hochglanz-Ästhetik
Zur Eröffnung am vergangenen Freitag spielten einige Musiker, darunter der Berliner Künstler Tobias Spichtig, auf einer durch mit Mohnblüten bestückten Wiese eingerahmten Bühne. Unverkennbar handelt es sich hier um das als betretbare Kulisse übersetzte Musikvideo des Nirvana-Songs „Heart-Shaped Box“.
Die zahlreichen sehr jungen Besucher, die auf der Mohnblumen-Wiese tanzten, sahen zu einem großen Teil aus, als wären sie der Grunge-Ära entsprungen und trugen unfreiwillig zur allgemein düsteren Stimmung bei: Zerrissene schwarze Kleidung, zerzauste Frisuren, leichenblasses Make-up. Es mag an Halloween gelegen haben oder nicht, der eine oder andere griff gar zu Kunstblut, um noch ein bisschen mehr zu schockieren.
Dass sie den tausenden von Drogen-Opfern, an die diese „Party“ erinnern will, ein makabres Gesicht verleihen, kann man den Anfang 20-Jährigen nicht verübeln. Die Modeindustrie schlachtete den sogenannten „Heroin-Chic“, als kommerzielle Grunge-Interpretation, bereits Anfang der 90er gnadenlos aus und beruft sie sich bis heute auf den eigentlich um die Jahrtausendwende totgesagten Stil.
Die Ausstellung selbst ist sehenswert, die immersive Erfahrung aber rüttelt weniger auf, als dass sie die doch auch sehr hippe Retro-Ästhetik verklärt. Dass die Kuratoren für ein Hochglanzmagazin verantwortlich sind, mag eine Erklärung sein.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: