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Somalia-Drama „The Village next to Paradise“: Es gibt noch ein Leben im Bürgerkrieg
Der in Wien lebende Mo Harawe zeigt in seinem stillen Regiedebüt „The Village next to Paradise“ eine andere Seite seines Heimatlandes.
Stand:
In der steinigen Landschaft nahe der somalischen Stadt Baraawe wartet ein Mann neben einem frisch ausgehobenen Grab. Die nur zu einem Drittel gerauchte Zigarette steckt er in seine Jackentasche.
Ein Lastwagen bringt den in weißes Leintuch gewickelten Toten. Mamargade (Ahmed Ali Farah), der seit zwanzig Jahren als Totengräber arbeitet, haben die Drohnenangriffe nicht seinen ersten – schlecht bezahlten – Auftrag verschafft.
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Der Film geht den Umständen nicht nach, sein Interesse liegt bei den eher kleinen Zusammenhängen. Auf der Rückfahrt ins Dorf springt ein zerzauster Mann auf den fahrenden Pickup.
Das Bestattungswesen ist professionalisiert
Während er Mamargade anblickt, führt er seine Hand zum Mund. Der versteht sofort und überlässt ihm seine angefangene Zigarette. „The Village Next to Paradise” lebt von solchen knappen Interaktionen, von Gesten des wortlosen Verständnisses und einer geradezu stoischen Zugewandtheit.
Der anhaltende Küstenwind wirbelt den Wüstensand auf, am Himmel kreisen – im Film nie sichtbar, aber ständig hörbar – die Fluggeräte des US-Militärs.
Es scheint, als sei im Leben des Witwers und alleinerziehenden Vaters allein auf diese beiden Konstanten Verlass. Sein Handwerk ist immer weniger gefragt.
Die zahlreichen Opfer durch Selbstmordattentate und Drohnen haben das Bestattungswesen professionalisiert, nun stehen Bagger in der Landschaft. In der Not sieht sich Mamargade gezwungen, gelegentlich Transportfahrten mit Schmugglerware zu übernehmen.
Auch das Leben seiner Schwester Araweelo (Anab Ahmed Ibrahim), die nach dem Ende ihrer Ehe zu ihrem Bruder zieht, befindet sich im Umbruch. Ihre Pläne, eine eigene Schneiderei zu eröffnen, erweisen sich als schwierig. Als geschiedene Frau bekommt sie keinen Kredit.
Ebenso ungewiss ist die Zukunft von Mamargades kleinem Sohn Cigaal (Anab Ahmed Ibrahim). Nachdem die Dorfschule schließt, wird dem Vater nahegelegt, ihn in das städtische Internat zu schicken. Aber das kostet Geld.
Mit „The Village Next to Paradise” richtet Mo Harawe den Blick auf den Alltag einer Familie in einem abgelegenen Dorf, dessen Existenz von der westlichen Welt allenfalls durch eine aktuelle Meldung zur Kenntnis genommen wird.
Als einer der globalen Schauplätze im US-amerikanischen „Krieg gegen den Terror“ ist Somalia vor allem als von Bürgerkriegen zerrütteter failed state in den Schlagzeilen.
Am Anfang des Films stehen TV-Nachrichten des britischen Senders Channel 4 über die Tötung eines ranghohen Al-Shabaab-Mitglieds. Der Perspektivwechsel folgt abrupt. Die mediale Wahrnehmung hat wenig mit dem Leben der Menschen vor Ort zu tun.
Der Regisseur ist Wahlwiener mit somalischen Wurzeln
Mo Harawe ist Wahlwiener mit somalischen Wurzeln, sein Spielfilmdebüt ist der erste somalische Film, der bei den Filmfestspielen von Cannes in der Reihe Un certain Regard gezeigt wurde.
Der Bürgerkrieg, dessen Nachwehen bis heute spürbar sind, hat die nationale Filmkultur schwer beeinträchtigt. Die somalische Filmindustrie hat sich auf die Produktion in der Diaspora verlegt.

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Die unbeirrbare Ruhe, mit der die provisorische Familie den Herausforderungen des täglichen Lebens begegnet, macht sich auch der Film zu eigen.
Harawe erzählt in klaren, kraftvollen Bildern, ohne Schnörkel und symbolische Bedeutungsebenen. Er bleibt dabei stets konkret, ohne sich einem allzu engen Begriff von Realismus zu verpflichten.
Träume etwa spielen auch über konkrete Lebenspläne hinaus eine wiederkehrende Rolle. Mamargade, den das schlechte Gewissen umtreibt, seinen Sohn weggeschickt zu haben, wird nach dem Konsum von Khat von einem Albtraum aufgeschreckt. Und Cigaal teilt seine nächtlichen Träume über Verwandlungen und Süßigkeitenparadiese gerne auch ungefragt.
„The Village Next to Paradise” geht ganz in der Gegenwart der Laiendarsteller auf. Ihre Gesichter, die in meist langen Close-ups zu sehen sind, teilen sich in eher verhaltenen Regungen mit.
Umso schöner ist es, wenn am Ende Araweelo in ihrem neu eröffneten Schneiderei-Kiosk sitzt und sich ihre Mundwinkel zu einem stillen, kaum mehr als angedeuteten Lächeln formen.
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