
© SWR/Labo M/Andreas Hornoff
Das „Nazidorf“ Jamel: 363 Tage im Jahr haben die extrem Rechten hier das Sagen
Weil ein Künstlerpaar dem rechten Treiben in seinem Wohnort in Mecklenburg-Vorpommern nicht tatenlos zusehen will, veranstaltet es seit Jahren ein zweitägiges Rockfestival. Eine Dokumentation begleitet die beiden.
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Man stelle sich vor, man wohne in einem kleinen Ort und alle um einen herum sind Neonazis außer man selbst. Das Ehepaar Birgit und Horst Lohmeyer kann berichten, wie man sich dann fühlt. Vor 20 Jahren hatten sie genug vom Großstadtleben und bezogen einen alten Gutshof in der Idylle von Nordwestmecklenburg.
Das Kaff, in dem sie landeten, heißt Jamel, hat 38 Bewohner und ist inzwischen sogar überregional bekannt als „Nazidorf“. Menschen mit extrem rechter Gesinnung unter Führung des vorbestraften Neonazis Sven Krüger haben hier strategisch Häuser gekauft und bestimmen inzwischen das Dorfgeschehen. Nur die Lohmeyers, die diese ganze Entwicklung verfolgt haben, stören noch. Auch, weil sie sich gegen die Zustände wehren.
Davon, wie sie das tun, erzählt der Dokumentarfilm „Jamel – Lauter Widerstand“ von Martin Groß, der ab dem 20. November in der Mediathek der ARD abrufbar ist. Schon vor 17 Jahren haben die Lohmeyers auf ihrem Grundstück ihr erstes Festival gegen Rechts mit dem Namen „Jamel rockt den Förster“ veranstaltet. Anfangs kamen nur ein paar Besucher, aber ein Zeichen war gesetzt. Auch wenn ihnen immer wieder die Autoreifen zerstochen wurden, blieben die Lohmeyers.
Vor neun Jahren brannte dann ihre Scheune ab – Brandstiftung, die Täter wurden nie ermittelt. Als kurz danach das Festival trotzdem und jetzt erst recht stattfand, traten als Überraschungsgäste die Toten Hosen auf, ihren Anti-Fascho-Song „Sascha“ mit auf der Set-List.

© SWR/Labo M/Andreas Hornoff
Seitdem ist das Festival im Nazidorf eine große Sache. Die Ärzte, Herbert Grönemeyer, so gut wie jeder deutschsprachige Act, der bereit ist, ein Zeichen für Antifaschismus zu setzen, ist hier bereits aufgetreten. In diesem Jahr kam selbst die Bundesbeauftragte für Kultur, Claudia Roth, vorbei. Auch um sich den berüchtigten Wegweiser im Dorf zeigen zu lassen, der anzeigt, wie weit es von Jamel nach Braunau ist, dem Geburtsort Adolf Hitlers.
Reichsfahnen in den Gärten
Man könnte Jamel jetzt als extremen Einzelfall abtun, doch ganz so einfach ist es nicht. Regisseur Groß zeigt, dass es in Deutschland immer mehr Versuche gibt, weitere Jamels zu gründen. Reichsfahnen in den Gärten findet er auch in anderen Gemeinden Deutschlands. „Völkische Landnahme“ nennt sich das Konzept der Neonazis, in Dorfgemeinschaften zur dominanten Kraft zu werden. Das Ziel lautet, sogenannte „national befreite Zonen“ zu errichten.
Seit der Corona-Pandemie hat diese Entwicklung besonders im ländlichen Raum in Ost- und Norddeutschland zugenommen. Und nicht jedes dieser Dörfer hat jemanden wie die Lohmeyers in der Gemeinde.
In diesem Jahr stand das Festival auf der Kippe
Die Dokumentation verdeutlicht auch, dass sich die Neonazis mit bereits Erreichtem nicht zufriedengeben. 363 Tage im Jahr haben sie das Sagen in Jamel, nur an zwei Tagen nicht, da stürmen die gefürchteten Antifaschisten und Queers den Ort. Und deswegen gibt es von der Dorf-Mehrheit Widerstand gegen diesen Widerstand von links.
Groß begleitet die gesamte Vorbereitung für das diesjährige „Jamel rockt den Förster“. Und schon früh steht dieses auf der Kippe. Sven Krüger, der oberste Dorfnazi, sitzt inzwischen für eine obskure Wählergemeinschaft mit dem Namen Heimatliebe im Gemeinderat von Gägelow. Die Gemeinde vermietet den Lohmeyers die Freifläche, auf der das immens gewachsene Festival inzwischen stattfindet. Und plötzlich findet dieser Gemeinderat fadenscheinige Gründe, den Festivalmachern in diesem Jahr das Gelände lieber nicht zu verpachten.
Erst durch die Hilfe eines Gerichts kann die zweitägige Musikveranstaltung dann doch durchgeführt werden. Aber der Eindruck bleibt: Die Neonazis gestalten in Deutschland inzwischen das Treiben in kleinen Dorfgemeinden mit. Ein Gemeinderatsmitglied von Gägelow sagt vor der Kamera, dass viele in seiner Umgebung gar die Meinung vertreten, die Neonazis in Jamel seien doch eigentlich ganz friedlich. Für Unruhe würden einmal im Jahr eher die anderen sorgen. „Die Linksautonomen sind schlimmer“, sagt dann auch eine Frau aus einer Nachbargemeinde.
„Jamel – Lauter Widerstand“ ist ein wichtiger Film, der zeigt, dass eine wirklich gruselige Abnormalität wie das Nazidorf Jamel unbedingt genau das bleiben muss: eine Abnormalität.
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