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Kultur: Tage voller Schmetterlinge

Das Berliner Stadtmuseum widmet sich den Kindheitserinnerungen von Fontane und Benjamin.

Pling macht es, bevor eine Landschaft verschwindet. Und bevor ein neues Bild erscheint, rumpelt und pumpelt der stattliche Holzverhau, der von Stühlen umringt im Märkischen Museum steht. Kein Wunder, dass Walter Benjamin für das Kaiserpanorama schwärmte, so herrlich mechanisch ist der Guckkasten. Das erste dieser Relikte des analogen Maschinenzeitalters stand 1883 in der Kaisergalerie Unter den Linden. Und genau wie man selber jetzt hier vor einem aus den Niederlanden stammenden Exemplar in der Ausstellung „Fontane und Benjamin – Kindheit in Berlin und Brandenburg“ sitzt, saßen damals jeweils 25 Zeitgenossen davor, besahen sich in einer halben Stunde 50 Stereoskopien und träumten sich hinaus in die Welt.

Doch eigentlich war das wegen des 3-D-Effekts populäre Ding schon in den Kindertagen des 1892 in Berlin geborenen Schriftstellers und Philosophen Benjamin angesichts der Erfindung laufender Filmbilder ein Anachronismus, der irgendwann nur noch Kinder und Romantiker in seinen Bann schlug und 1939 ganz eingestellt wurde.

Walter Benjamin, der sich 1940 auf der Flucht vor den Nazis im französischen Port Bou das Leben nahm, hat seine Faszination für das Panorama erst 1938 im Pariser Exil niedergeschrieben. Dort – als seine innere und äußere Not groß und Kindheit wie Heimat längst verloren waren – entstand sein wunderbarer autobiografischer Band „Berliner Kindheit um 1900“, der Martina Weinland, die Sammlungsdirektorin des Stadtmuseums, genauso zu dieser Ausstellung inspiriert hat wie Theodor Fontanes erst im Greisenalter verfasste Erinnerungen „Meine Kinderjahre“ und natürlich die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“.

Mehr als 70 Jahre trennen den 1819 in Neuruppin geborenen Apotheker, Journalisten und Schriftsteller Fontane von seinem Kollegen Walter Benjamin, von den völlig unterschiedlichen Lebensgeschichten und literarischen Stilen ganz zu schweigen. Trotzdem versucht die in 18 Stationen unterteilte Ausstellung gewissermaßen einen fiktiven Dialog zwischen den beiden Dichtern herzustellen.

Das funktioniert weniger durch das Betrachten eines Spielzeugs aus Fontanes Nachlass, den das Stadtmuseum besitzt, oder einer sogenannten Mondscheinkarte des nächtlichen Hallenschen Tors, wie sie Walter Benjamin als Kind bestaunte, sondern am besten durch den liebevoll produzierten Audioguide. Der liefert die mit literarischen Zitaten angereicherten Erklärungen zu Leben und Werk, die zu einer KPM-Vase mit einem Motiv der Pfaueninsel, einer Tasse mit dem Bild der Rousseau-Insel im Tiergarten, einer Botanisiertrommel oder einem Schmetterlingskasten gehören. Sowohl Fontane als auch Benjamin haben nämlich über die im 19. Jahrhundert übliche Grundausstattung für Nachwuchsnaturforscher wie über den Tiergarten und die Pfaueninsel geschrieben. Ersterer beschreibt die Insel als „rätselvolles Eiland“. Für Letzteren ist sie ein enttäuschtes Versprechen, ein sich ihm entziehendes Land, das die kindliche Hoffnung, eine der begehrten Pfauenfedern zu finden, verweigert. Und Botanisiertrommel und Schmetterlingskasten gehören – trotz der dazwischenliegenden Zeit – sowohl zur Kindheit des Apothekersohns wie zu der des begeisterten Sammlers Benjamin, der als Sohn eines assimilierten jüdischen Kunsthändlers in Charlottenburg aufwuchs.

Benjamin habe sich 1928 sogar selbst als Leihgeber für das Märkische Museum betätigt, erzählt Martina Weinland. Da habe das Haus eine Spielzeugausstellung veranstaltet und Walter Benjamin, der eine riesige Kinderbuch-Sammlung besaß, habe dafür Objekte zur Verfügung gestellt. „Eigentlich sind es zwei Museumsfreunde, die ich hier ausstelle“, sagt die Direktorin, die nicht nur Kunstgeschichtlerin, sondern auch Germanistin ist und sich besonders für Benjamins Werk begeistert. Mehr als eine illustrierte Anregung zum Lesen der Bücher von Fontane und Benjamin ist der Berliner Ausstellungsbeitrag zum Kulturland-Brandenburg-Themenjahr „Spiel und Ernst, Ernst und Spiel“ trotzdem nicht geworden. Zu beliebig ist die Auswahl der aus dem Museumsbestand stammenden Stücke, zu wenig echte Verbindungen schaffend das Konzept. An die Kindheitserinnerungen beider Literaten zu erinnern, ist allerdings ein wertvoller Effekt. Gunda Bartels

Märkisches Museum, Am Köllnischen Park 5, Mitte, bis 15.9., Di-So 10-18 Uhr

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