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Ella Ponizovsky Bergelson wurde in Moskau geboren und ist in Jerusalem aufgewachsen.

© Geoffrey Biddle

Porträt Ella Ponizovsky Bergelson: Tanz der Zeichen

Ella Ponizovsky Bergelsons Kunst ist die Kalligrafie. Die in Berlin lebende Israelin schreibt auf Wände und vermischt dabei drei Sprachen.

Seit dem biblischen „Mene mene tekel“, mit dem Gott im Alten Testament dem dekadenten König Belzasar Tod und Untergang seines Reiches ankündigt, haben Wandinschriften ziemlich an Symbolkraft eingebüßt. Besonders im urbanen Zusammenhang. Wenn an Berliner Hauswänden etwas Geschriebenes die Aufmerksamkeit von Passanten erregt, dann ist es in der Regel Werbung. Von mehr oder weniger künstlerisch hochwertiger Graffiti mal abgesehen.

Die Künstlerin Ella Ponizovsky Bergelson tritt nun mit ihren „Murals“, ihren kalligrafischen Wandmalereien an, das zu ändern. Den Auftakt ihres Projekts „Among Refugees Generation Y“ machte im März ein großflächiges Schriftbild am Kulturclub „Mensch Meier“ in Prenzlauer Berg. Und an diesem strahlenden Dienstagvormittag folgt der zweite Streich. Die 35 Jahre alte, in Moskau geborene, in Jerusalem aufgewachsene und 2016 aus Tel Aviv nach Berlin übersiedelte Israelin bemalt die Stirnseiten des Zentrums für Kunst und Urbanistik im ehemaligen Güterbahnhof Moabit.

Genauer gesagt, die dem Sonnenuntergang zugewandte Seite. Die Sonnenaufgangsseite war schon gestern dran. Da legt sich ein dichtes Band aus unleserlichem Ornament über gelbe Ziegelsteine und alte Wandfarbe. Abstrakt sieht es aus, einige Pinselstriche sind weich geschwungen, andere streng gestrichelt. Und das sollen Wörter in drei Sprachen sein? Die Künstlerin nickt und deutet hinauf zu einer Fensterhöhle. „Links davon kann man’s am besten lesen“. Nach angestrengtem Fixieren tritt tatsächlich ein Wort aus dem Buchstabensalat hervor. Lautet es womöglich „wohin?“ Wieder nickt Ponizovsky und spricht wenig überraschend: „Lesbarkeit ist nicht meine Absicht.“ Sichtbarkeit dagegen schon.

Sie mischt Arabisch, Jiddisch, Deutsch

Um die im Niemandsland zwischen dem Westhafen und einem nebenan hingeklotzten Gastro-Großhandelsmarkt zu erreichen, braucht’s eine gewisse Höhe. Ponizovsky wirft den Motor der Arbeitsplattform an. In eine Dieselwolke gehüllt rattert der Hubwagen los. Der rote Scherenarm fährt in die Höhe. Knapp unterm Dach endet die Fahrt. Bei jedem Schritt, den die Kalligrafin macht, wackelt die Plattform. Je schwungvoller sie mit der im feuchten Zustand noch transparenten Farbe malt, desto doller. Dieses Zeichensetzen verträgt keine Höhenangst. Und ist zugleich nur temporär. Die Kalkfarbe, mit der sie die Wörter „von wo?“ pinselt, verblasst nach einigen Jahren. Die gestalterische Spur, die die Künstlerin im Stadtbild hinterlässt, vergeht. So wie die Spuren der Emigranten, um die es in dieser zunächst vier und später noch weitere Murals umfassenden Serie geht.

Prenzlauer Berg. Am "Mensch Meier" in der Storkower Straße.
Prenzlauer Berg. Am "Mensch Meier" in der Storkower Straße.

© Lea Fabrikant

Alle Wörter, die Ella Ponizovsky in deutscher, arabischer, jiddischer Sprache demnächst auch an eine Wand der Kindl Brauerei Neukölln und an eine in der Altstadt Spandau malt, stammen aus einem Prosatext namens „Unter Emigranten“. Den hat ihr in Begleitung vieler ostjüdischer Intellektueller nach Berlin immigierter ukrainischer Urgroßvater David Bergelson in den zwanziger Jahren hier geschrieben. Darin beschreibt er die Unbehaustheit, das Dilemma eines jiddischen Literaten zwischen zwei Kulturen. Der 1952 in Moskau im Zuge stalinistischer Säuberungen getötete Schriftsteller lebte von 1921 bis 1934 in Berlin.

Ein Familienerbe, mit dem sich seine Urenkelin erst befasst, als sie vor elf Jahren zum ersten Mal selbst in die Stadt kam. Plötzlich gleicht ihr Lebensgefühl aufs Haar David Bergelsons „komischen alten Geschichten“. Kalligrafische Arbeiten auf Stoff, Papier und Wänden hat sie dagegen auch in Israel schon vielfach in Ausstellungen gezeigt. Die Tochter eines 1991 von Russland nach Israel ausgewanderten Psychologen-Paares lächelt. „Ich hatte schon als Kind eine Obsession für Buchstaben.“

Ich mag keine Dinge, ich will frei sein, umzuziehen

Die tanzen von rechts nach links geschrieben inzwischen in langer Reihe über die ganze Front des Ateliergebäudes. Eine halbe Stunde, länger hat es nicht dauert, die erste Zeile „von wo?“ aufzutragen. Ruckelnd senkt sich die Arbeitsplattform. Ponizovsky will sich die Wirkung von unten ansehen. Ein prüfender Blick aus der Distanz, dann steigt der Scherenarm schon wieder empor. So ein Hubwagen kostet, da zählt jede Stunde. Noch ein kurzes Winken und sie malt schon wieder.

Moabit. Am Zentrum für Kunst und Urbanistik in der Nähe des Westhafens.
Moabit. Am Zentrum für Kunst und Urbanistik in der Nähe des Westhafens.

© Lea Fabrikant

Ein paar Tage später lässt sich Ella Ponizovskys Hang zum Improvisierten, Flüchtigen an ihrem Atelier ablesen. Es liegt am Schleusenufer in der Nähe des Osthafens, wo sie sich mit ein paar anderen Künstlern auf einer Brache einen Arbeitsplatz geschaffen hat. In Schiffscontainern. Zeichenpapier, Pinsel, Farbe – viel Material braucht sie nicht für ihre Kunst. Doch das wenige ist immer noch zu viel. Niemand aus ihrer Familie habe länger als eine Generation in einem Land gelebt, sagt sie. Das prägt. „Ich mag keine Dinge, ich will frei sein, jederzeit umziehen zu können.“ Um noch dazu Kunst machen zu können, die man schlecht zu Geld machen kann, übernimmt die Kalligrafin auch Aufträge als Grafikerin. Für Plattencover oder das Marketing von Kulturinstitutionen. Dass ihre Murals nicht ewig halten, bekümmert sie nicht. „Ich finde es aggressiv, Bilder auf Dauerhaftigkeit anzulegen.“

Politische Veränderungen scheinen in Israel derzeit unmöglich

Teil der Arbeit in der Öffentlichkeit sei es, die Kontrolle über ein Bild aufzugeben. „Du kannst es nicht besitzen, es verschwindet, so wie alles auf der Welt.“ Stirnrunzelnd zeigt sie auf Papierrollen mit Zeichnungen, die an der Wand lehnen. „Die sind mir lästig, vielleicht verbrenne ich sie, wenn ich hier weggehe.“ Das hat Ponizovsky allerdings so bald nicht vor. Das von Migranten aus aller Welt angesteuerte Berlin empfindet sie als freiheitlichen Ort. Besonders im Kontrast zu Tel Aviv, wohin sie gelegentlich immer noch pendelt. Da sei die Stimmung unter weltoffenen und religiös liberalen Israelis bedrückt. „Der ultrarechte politische Flügel gewinnt in der Regierung immer mehr Einfluss. Politische Veränderungen scheinen derzeit unmöglich.“ In Berlin dagegen könne sie auch mit palästinensischen Freunden friedlich zusammen im Café sitzen. Und fühlt trotzdem den schon vom Urgroßvater beschriebenen und in ihre Wandgemälde einfließenden Konflikt zwischen der Loyalität zu den kulturellen Wurzeln und der Sehnsucht nach Zugehörigkeit zur neuen Lebenswelt.

Nicht von ungefähr vermischt die Frau, deren Muttersprache Russisch ist und die sich trotzdem im Hebräischen am wohlsten fühlt, dafür drei Sprachen, sowie lateinische und arabische Buchstaben. Ein visueller Mix, der in Israel Alltag ist. „Menschen und Kulturen haben Gesichter. Sie finden sich auch in der visualisierten Sprache“. Dem strikten Reglement von Grammatik und Typografie setzt sie eine Kunstsprache entgegen, in der sich die chaotisch anmutenden arabischen Buchstaben mit ihren unterschiedlichen Höhen und das Gleichmaß der lateinischen Lettern in einem ästhetischen Muster vermengen. „Ich will die Steifheit bekämpfen“, sagt Ella Ponizovsky Bergelson – und bekleidet die Wände mit einem Zeichenteppich, in dem Völker und Zeiten verschmelzen.

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